Nur dass du gar nicht geplatzt bist, sagt er. Du bist... tja, was bist du? Hast du dich fortgepflanzt?
Pschti, sagt Mr. Gray, und Bowser bleckt seinen ganzen Kopf voller Zähne, wie um Jonesy aufzufordern, nicht so unhöflich zu sein. Ich mag diesen Song. Du nicht auch?
Im Hintergrund läuft Sympathy for the Devil von den Rolling Stones, sehr passend, da der Titel des Films so ähnlich lautet (mein Film-Debüt, denkt Jonesy, wenn Carla und die Kinder das sehen], aber Jonesy mag den Song nicht, er macht ihn aus irgendeinem Grund traurig.
Wie kannst du das mögen?, fragt er und beachtet Bowsers gebleckte Zähne nicht - Bowser stellt für ihn keine Gefahr dar, das wissen sie beide. Wie kannst du? Genau das haben sie doch gespielt, als sie euch abgeschlachtet haben.
Sie schlachten uns jedes Mal ab, sagt Mr. Gray. Und jetzt sei still und schau dir den Film an. Dieser Teil ist noch etwas , aber es wird noch viel besser.
Jonesy faltet die Hände auf seinem roten Schoß - anscheinend hat er endlich aufgehört zu bluten - und schaut sich Mitgefühl mit den Grauen an, mit dem unvergleichlichen Gary Jones in der Hauptrolle.
Der unvergleichliche Gary Jones zieht die Plane vom Schneemobil herunter, findet die Batterie in einem Karton auf der Werkbank und setzt sie ein, wobei er darauf achtet, die Kabel an die richtigen Anschlüsse zu klemmen. Damit wären seine handwerklichen Kenntnisse dann auch weit gehend erschöpft -schließlich ist er Geschichtslehrer und nicht Mechaniker, und wenn er bei sich zu Hause mal etwas ausbessert, dann höchstens insofern, als er die Kinder hin und wieder dazu bringt, History Cbannel statt Xena zu gucken. Der Schlüssel steckt, und die Instrumentenbeleuchtung springt an, als er ihn umdreht - hat er die Batterie also richtig angeschlossen -, aber der Motor startet nicht. Gibt keinen Mucks von sich. Der Anlasser rasselt ein wenig, und das war's.
»Oje o Mann sein Geschäft machen lassen«, sagt er, spricht alles zusammen mit monotoner Stimme. Er glaubt nicht, dass er jetzt groß Gefühle ausdrücken könnte, selbst wenn er wirklich wollte. Er ist Horrorfilm-Fan, hat Invasion ofthe Body Snatchers zwei Dutzend Mal gesehen (hat sogar die verpfuschte Neuverfilmung mit Donald Sutherland gesehen), und er weiß, was hier vor sich geht. Sein Körper ist entführt worden, einfach so und ganz und gar entführt worden. Es wird aber keine ganze Armee von Zombies geben, nicht mal eine ganze Stadt voll. Er ist einmalig. Er ahnt, dass Pete, Henry und der Biber ebenfalls einmalig sind (einmalig waren, was Biber angeht), aber er ist der Einmaligste von ihnen. So etwas kann man eigentlich nicht sagen, einmalig ist nicht zu steigern, aber dies ist einer der seltenen Fälle, in denen diese Regel nicht zutrifft. Pete und Biber waren einmalig, Henry ist noch einmaliger, und er, Jonesy, ist der Einmaligste. Er spielt ja sogar die Hauptrolle in seinem eigenen Film! Wie einmalig ist das denn jetzt, wie sein ältester Sohn sagen würde.
Der Graue im Krankenhausbett schaut vom Fernseher, wo Jonesy I auf dem Arctic Cat sitzt, zu dem Stuhl hinüber, auf dem Jonesy II nur auf seinem blutigen Johnny sitzt.
Was verbirgst du vor mir?, fragt Mr. Gray.
Nichts.
Wieso siehst du immer wieder eine Ziegelsteinmauer? Was ist Neunzehn noch, außer einer Primzahl? Wer hat »Scheiß auf die Tigers« gesagt? Was bedeutet das? Was ist diese Ziegelsteinmauer? Wann ist diese Ziegelsteinmauer? Was bedeutet das? Warum siehst du sie immer wieder?
Er kann spüren, wie Mr. Gray an seinem Gedächtnis herumhebelt, aber vorläufig ist dieser Kern sicher. Er kann getragen werden, aber nicht verändert. Und anscheinend auch nicht ganz geöffnet. Zumindest noch nicht.
Jonesy hält sich den Zeigefinger vor die Lippen und wiederholt die Worte des Grauen: Sei still und schau dir den Film an.
Er betrachtet ihn mit seinen vorgewölbten schwarzen Augen (sie sind insektenartig, denkt Jonesy, die Augen einer Gottesanbeterin), und Jonesy spürt ihn noch etwas weiter an seinem Gedächtnis hebeln. Dann verschwindet das Gefühl. Es eilt nicht; früher oder später wird er die Hülle um diesen letzten Kern des reinen, noch nicht überwältigten Jonesys auflösen, und dann wird er alles erfahren, was er wissen will.
Einstweilen schauen sie den Film. Und als Bowser Jonesy auf den Schoß kriecht - Bowser mit den scharfen Zähnen und dem Frostschutzmittelgestank -, bemerkt Jonesy das kaum.
Jonesy I, der Schuppen-Jonesy (der jetzt eigentlich Mr. Gray ist) geht auf Gedankenfang. Es gibt viele Gedankenströme, auf die er zugreifen kann, sie überlagern einander wie nächtliche Funksignale, und er findet ganz einfach ein Hirn, das die Informationen enthält, die er braucht. Das ist, als würde man an einem Computer eine Datei öffnen und statt eines Textes einen sehr detaillierten 3-D-Film vorfinden.
Mr. Grays Quelle ist Emil »Dawg« Brodsky aus Menlo Park, New Jersey. Brodsky ist Technical Sergeant bei der Army, einer von der Instandsetzungstruppe. Nur dass Technical Sergeant Brodsky hier, als Angehöriger von Kurtz' taktischer Eingreiftruppe, keinen Dienstgrad hat. Das hat hier niemand. Seine Vorgesetzten ruft er »Boss« und seine Untergebenen (und das sind bei diesem Grillfest eine ganze Menge) »Hey Sie«.
Düsenjäger überfliegen das Gebiet, aber nicht viele (sie werden alle Bilder, die sie brauchen, aus einer niedrigen Erdumlaufbahn bekommen, sobald sich die Wolken erst einmal verziehen), und mit denen hat Brodsky sowieso nichts zu tun. Die Jäger steigen von der Basis der Air National Guard in Bangor auf, und er ist hier in Jefferson Tract. Brodskys Job sind die Hubschrauber und die LKWs ihres ständig wachsenden Fuhrparks (seit zwölf Uhr mittags sind in diesem Teil von Maine sämtliche Straßen gesperrt, und es dürfen dort nur noch die olivgrünen LKWs mit verdeckten Insignien verkehren). Außerdem ist er dafür zuständig, mindestens vier Generatoren zu installieren, die dem Lager Strom liefern sollen, das rund um Gosselin's Market aufgeschlagen wird. Und Strom brauchen auch die Bewegungsmelder, die Laternen, die Scheinwerfer an der Umzäunung und der behelfsmäßige Operationssaal, der in aller Eile in einem Windstar-Wohnmobil eingerichtet wird.
Kurtz hat betont, dass ihm das Licht sehr wichtig sei - es soll hier die ganze Nacht lang taghell erleuchtet sein. Die meisten Laternen werden rund um den Stall und hinten um das aufgebaut, was früher ein Pferch und eine Koppel war. Auf der Wiese, auf der früher die vierzig Milchkühe der alten Reggie Gosselin weideten, sind zwei Zelte aufgebaut worden. Das größere hat ein Schild auf dem grünen Dach: Intendantur. Das andere Zelt ist weiß und nicht bezeichnet. Es stehen keine Kerosinöfen darin wie in dem größeren Zelt, und es werden auch keine benötigt. Das ist die behelfsmäßige Leichenhalle, so viel versteht Jonesy. Bisher liegen dort lediglich drei Leichname (darunter ein Banker, der versucht hat wegzulaufen, so ein Dummkopf), aber bald könnten es viele mehr sein. Es sei denn, es käme zu einem Zwischenfall, der die Bergung der Leichen erschweren oder unmöglich machen würde. Und Kurtz, dem Boss, käme ein solcher Zwischenfall sehr gelegen.
Aber das nur am Rande. Jonesy I hat jetzt mit Emil Brodsky aus Menlo Park zu tun.
Brodsky hastet über den verschneiten, schlammigen, aufgewühlten Boden zwischen dem Helikopterlandeplatz und der Koppel, auf der die Ripley-Positiven untergebracht sind (es sind schon eine ganze Menge da, und sie wandern mit dem verdatterten Gesichtsausdruck umher, den eben erst Inhaftierte überall auf der Welt haben, rufen den Wachen zu, bitten um Zigaretten und Informationen und stoßen leere Drohungen aus). Emil Brodsky ist ein gedrungener Mann mit Bürstenhaarschnitt, einem Bulldoggengesicht, das wie geschaffen aussieht für billige Zigarren (aber Jonesy weiß, dass Brodsky ein frommer Katholik ist, der nie im Leben geraucht hat). Im Moment ist er ungefähr so beschäftigt wie ein einarmiger Tapezierer. Er hat einen Kopfhörer auf, und ein Mikro hängt ihm vor den Lippen. Er steht in Funkkontakt mit dem Treibstoffnachschubkonvoi, der auf dem Interstate Highway 95 unterwegs ist - der ist von entscheidender Bedeutung, denn die im Einsatz befindlichen Hubschrauber müssen bei ihrer Rückkehr betankt werden -, spricht aber auch mit Cambry, der neben ihm hergeht, über das Kontroll-und Überwachungszentrum, das Kurtz bis 21 Uhr, allerspä-testens bis Mitternacht aufgebaut sehen will. Dieser Einsatz W1rd in spätestens achtundvierzig Stunden vorbei sein, heißt es jedenfalls, aber woher will man das schon wissen? Angeblich ist ihr Hauptziel, Blue Boy, bereits ausgeschaltet, aber Brodsky sieht nicht, wieso sich da irgendjemand sicher sein könnte, denn die großen Kampfhubschrauber sind noch nicht zurück. Und im Grunde ist ihre Aufgabe ja auch ganz simpeclass="underline" den ganzen Laden bis Stufe elf aufdrehen und dann die Knöpfe abbrechen.