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»Wenn du die Wahl hättest«, frotzelte Rakel, »die nächste Nacht entweder mit mir oder deiner Traumfrau zu verbringen? Also ohne dass das irgendwelche Folgen hätte?«

»Hast du heute nicht einen Arzttermin, den du nicht versäumen darfst?«

»Eine einzige Nacht, Harry. Ohne Folgen.«

»Das ist jetzt wohl der Moment, wo ich sagen sollte, dass du meine Traumfrau bist, oder?«

»Jetzt komm schon.«

»Du musst mir schon ein bisschen helfen. Mach mal einen ­Vorschlag.«

»Audrey Hepburn.«

»Nekrophilie?«

»Red dich nicht raus, Harry!«

»Hm. Hast du ganz bewusst eine bereits verstorbene Frau vorgeschlagen, weil das für dich weniger bedrohlich ist, anstatt eine Frau, mit der ich tatsächlich eine Nacht verbringen könnte? Aber okay, ich nehme deinen manipulativen Vorschlag an, und angesichts von Frühstück bei Tiffany antworte ich mit einem lauten und deutlichen Ja.«

»Wenn dem so ist, warum tust du es dann nicht? Warum gehst du nicht fremd?«, fragte Rakel leicht empört.

»Zum einen, weil ich gar nicht weiß, ob meine Traumfrau auch ja sagen würde, und ich kann ganz schlecht damit umgehen, abgewiesen zu werden. Zum anderen, weil die Voraussetzung ohne irgendwelche Folgen gar nicht garantiert ist.«

»Ach?«

Harry konzentrierte sich wieder auf die Zeitung. »Du würdest mich möglicherweise verlassen. Auf jeden Fall würde es unsere Beziehung belasten.«

»Du könntest es geheim halten.«

»Das würde ich nicht aushalten.« Die frühere Sozialsenatorin Isabelle Skøyen kritisierte den amtierenden Senat, keine Notfallpläne für den Tropensturm zu haben, der laut Vorhersage der Meteorologen Anfang der folgenden Woche mit ungeahnter Wucht auf die Westküste treffen und wenige Stunden später mit beinahe unverminderter Kraft auch über Oslo ziehen sollte. Skøyen betonte, dass die Antwort des Senats (»Wir sind nicht in den Tropen, weshalb es für Tropenstürme auch kein Budget gibt«) von unvergleichlicher Arroganz und Verantwortungslosigkeit zeugte. »Diese Leute scheinen zu glauben, dass der Klimawandel nur im Ausland stattfindet«, sagte Skøyen, die sich in einer Pose hatte ablichten lassen, die man bereits von ihr kannte. Was Harry als klares Zeichen deutete, dass sie ihr Comeback in der Politik plante.

»Wenn du sagst, dass du es nicht aushalten würdest, einen Seitensprung geheim zu halten, meinst du dann wirklich nicht aushalten?«, fragte Rakel.

»Ich will das einfach nicht. Solche Geheimnisse sind verdammt anstrengend. Außerdem hätte ich sicherlich ein schlechtes Gewissen.« Er blätterte um, aber es gab keine weiteren Seiten mehr. »Gewissen ist anstrengend.«

»Anstrengend für dich, ja. Und was ist mit mir, machst du dir gar keine Gedanken darüber, wie weh mir so etwas tun würde?«

Harry starrte einen Moment lang auf das Kreuzworträtsel, dann legte er die Zeitung auf die Decke und wandte sich ihr zu. »Wenn du nichts von dem Seitensprung wüsstest, würdest du doch auch nichts spüren.«

Rakel legte eine Hand um sein Kinn und zwang ihn, sie anzusehen. »Aber was, wenn ich davon erführe? Und wenn du erfahren würdest, dass ich mit einem anderen zusammen war. Würde das nicht weh tun?«

Er spürte einen stechenden Schmerz, als sie ihm ein vermutlich graues Brusthaar ausriss, das da nicht sein sollte.

»Garantiert«, sagte er. »Deshalb das schlechte Gewissen, sollte es andersherum sein.«

Sie ließ sein Kinn los. »Mann, Harry, du redest, als würdest du in einem Mordfall ermitteln. Fühlst du denn nichts?«

»Mann, Harry?« Er verzog den Mund zu einem Lächeln und sah sie über die Brille hinweg an. »Sagt man das noch?«

»Jetzt antworte schon, sonst schick ich dich dahin … wo … der Pfeffer wächst.«

Harry lachte. »Ich versuche, dir nur so ehrlich wie möglich zu antworten. Aber dafür muss ich nachdenken und rational sein, so bin ich eigentlich nicht. Wäre ich meinen ersten Gefühlen gefolgt, hätte ich vermutlich gesagt, was du hören willst. Das als Warnung: Ich bin nicht ehrlich, ich bin ein gerissener Hund. Die Ehrlichkeit, die ich dir jetzt zeige, ist nur eine langfristige Investition in meine Glaubwürdigkeit. Es könnte nämlich irgendwann der Tag kommen, an dem ich tatsächlich lügen muss, und dann wäre es natürlich toll, wenn du mich für ehrlich halten würdest.«

»Lass dieses Lächeln, Harry. Du willst damit also sagen, dass du ein untreues Schwein wärst, wenn das nicht so viele Probleme mit sich bringen würde?«

»Sieht ganz so aus.«

Rakel schubste ihn, schwang verächtlich schnaubend die Beine aus dem Bett und verschwand durch die Tür. Dann hörte Harry ein neuerliches Schnauben unten vom Treppenabsatz.

»Setzt du noch Kaffeewasser auf?«, rief er.

»Cary Grant«, rief sie. »Und Kurt Cobain. Gleichzeitig.«

Er hörte sie unten herumkramen. Dann brodelte das Wasser im Wasserkocher. Harry legte die Zeitung auf das Nachtschränkchen und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Lächelte. Glücklich. Als er aufstand, glitt sein Blick über ihren Teil der Zeitung, der noch auf dem Kopfkissen lag. Er sah ein Bild, einen Tatort und davor das Absperrband der Polizei. Er schloss die Augen und trat ans Fenster. Öffnete sie wieder, starrte zwischen die Fichten und spürte, dass er es jetzt schaffen könnte, den Namen zu vergessen. Den Namen dessen, den sie nicht gefasst hatten.

Er wachte auf. Er hatte wieder von seiner Mutter geträumt. Und von einem Mann, der behauptete, sein Vater zu sein. Er spürte nach, was das für ein Aufwachen gewesen war. Er war ausgeruht. Entspannt. Zufrieden. Die Ursache dafür lag weniger als eine Armlänge von ihm entfernt. Er drehte sich zu ihr. Er war gestern wieder in den Jagdmodus gewechselt. Unbeabsichtigt. Aber als er sie – die Polizistin – in der Bar gesehen hatte, schien es, als würde das Schicksal seinen Lauf nehmen. Oslo war eine kleine Stadt, man sah sich immer wieder. Trotzdem war er nicht Amok gelaufen, er hatte die Kunst der Selbstbeherrschung gelernt. Er studierte die Linien ihres Gesichts, die Haare, den Arm, der in ­einem etwas unnatürlichen Winkel auf dem Bett lag. Sie war kalt und atmete nicht, der Geruch nach Lavendel war beinahe verflogen, aber das war okay. Sie hatte ihre Arbeit getan.

Er warf die Decke zur Seite, trat an den Garderobenschrank und nahm die Uniform heraus. Bürstete sie und fühlte schon jetzt, wie das Blut schneller durch seine Adern pumpte. Es würde ein guter Tag werden.

Kapitel 7

Freitagvormittag

Harry Hole ging neben Ståle Aune durch den Flur der Polizeihochschule. Mit seinen 193 Zentimetern war Harry gut zwanzig Zentimeter größer als sein zwanzig Jahre älterer und deutlich runderer Freund.

»Es überrascht mich, dass ausgerechnet du einen derart klaren Fall nicht lösen kannst«, sagte Aune und versicherte sich, dass seine gepunktete Fliege richtig saß. »Das ist nicht so schwer, du bist Lehrer geworden, weil deine Eltern das auch waren. Oder genauer gesagt, dein Vater. Noch post mortem suchst du bei ihm die Anerkennung, die du als Polizist nie bekommen hast. Oder besser gesagt, die du als Polizist nicht haben wolltest, weil die Rebellion gegen deinen Vater ja gerade darauf ausgerichtet war, nicht so zu werden wie er. Für dich war er eine jämmerliche Figur, weil er es nicht geschafft hat, das Leben deiner Mutter zu retten. Du hast deine eigene Unzulänglichkeit auf ihn übertragen und bist Polizist geworden, um gutzumachen, dass auch du nicht dazu in der Lage warst, sie zu retten. Du wolltest uns alle vor dem Tod bewahren, genauer gesagt vor den Mördern.«

»Hm. Wie viel zahlen dir die Leute eigentlich für dieses Zeugs? Pro Stunde?«

Aune lachte. »Apropos Stunde, was ist denn bei Rakels Arzttermin rausgekommen? Wegen ihrer Kopfschmerzen.«