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Scheiß Win-win, dachte Katrine, als sie die Treppe runter ins Dezernat nahm.

Um 18 Uhr begann sie die Besprechung mit der Ermittlergruppe. Als Erstes betonte sie, wie wichtig es sei, dass die Berichte geschrieben und im internen Netz veröffentlicht wurden, damit nicht so etwas passierte wie bei Geir Sølle, dem Tinder-Date von Elise Hermansen, der wegen des fehlenden Berichts ein zweites Mal kontaktiert werden musste.

»Natürlich ist das aufwendig, aber so vermeiden wir, dass die Leute da draußen das Gefühl kriegen, hier im Präsidium wüsste die eine Hand nicht, was die andere tut.«

»Das muss ein Computer- oder Systemfehler gewesen sein«, sagte Truls Berntsen, obwohl Katrine seinen Namen gar nicht genannt hatte. »Ich habe den Bericht geschrieben und veröffentlicht.«

»Tord?«, sagte Katrine.

»In den letzten Tagen wurde kein Systemfehler dokumentiert«, sagte Tord Gren, rückte seine Brille zurecht, sah Katrine an und deutete deren Blick richtig. »Aber es kann natürlich sein, dass mit Ihrem PC etwas nicht stimmt, Berntsen, ich werde mir den mal ansehen.«

»Apropos, Tord, kannst du uns deinen neuesten Geniestreich vorstellen?«

Der IT-Experte wurde rot, nickte und begann etwas steif zu erzählen, als würde er aus einem Manuskript vortragen.

»Standortdienste. Die meisten Handybesitzer lassen durch eine oder mehrere Apps fortlaufend aufzeichnen, wo sie sich gerade befinden, viele machen das mit Sicherheit, ohne es zu wissen.«

Pause. Tord schluckte. Katrine wusste, wie schwer es ihm fiel, vor der Gruppe zu reden. Er hatte offensichtlich sein Manuskript auswendig gelernt, nachdem sie ihn gebeten hatte, seine Arbeit in der Ermittlergruppe vorzustellen.

»Viele dieser Apps verkaufen die Standorte an kommerzielle Dritte, nicht aber an die Polizei. Ein solcher Drittnutzer ist zum Beispiel Geopard. Drittnutzer sammeln Standortdaten und können diese Daten, ohne rechtliche Beschränkung, an die Öffentlichkeit, also auch an die Polizei weiterverkaufen. Kommen ­Sexualstraftäter frei, speichern wir deren Daten, also Adresse, Handynummer und E-Mail, da wir routinemäßig Kontakt zu diesen Personen aufnehmen, wenn es zu ähnlichen Sexualstraftaten kommt. Man geht gemeinhin davon aus, dass das Risiko einer Wieder­holungstat bei dieser Art von Verbrechen sehr hoch ist. Obwohl moderne Forschungen belegen, dass diese Annahme falsch ist. Vergewaltigungen gehören tatsächlich zu den Straftaten mit der geringsten Wiederholungsrate. BBC Radio 4 hat erst kürzlich in einem Bericht die Rückfallquote bei Straftätern mit 60 Prozent für die USA und 50 Prozent für Großbritannien angegeben. ­Häufig handelt es sich dabei um die gleiche Art des Verbrechens. Bei Vergewaltigungen sehen die Zahlen ganz anders aus. Eine Statistik des amerikanischen Justizministe­riums zeigt, dass 78,8 Prozent der Straftäter, die wegen Diebstahls eines Motorfahrzeugs verhaftet worden sind, innerhalb von drei Jahren noch einmal wegen einer ähnlichen Straftat verhaftet werden. Bei Hehlerei sind es 77,4 Prozent und so weiter. Während das nur bei 2,5 Prozent der Vergewaltiger der Fall ist.«

Tord zögerte. Vermutlich spürte er, wie begrenzt die Aufnahmekapazität der Gruppe für solche Berechnungen war. Dann räusperte er sich.

»Wie dem auch sei. Wenn wir die Kontaktdaten unserer Straftäter an Geopard senden, können die uns eine Karte generieren, aus der ersichtlich wird, wo sich die Mobilgeräte dieser Personen zu einem bestimmten Zeitpunkt oder über einen begrenzten Zeitraum hinweg, zum Beispiel am Mittwochabend, befunden haben, vorausgesetzt natürlich, sie nutzen einen der relevanten Standortdienste.«

»Wie genau sind die?«, rief Magnus Skarre.

»Bis auf wenige Quadratmeter genau«, sagte Katrine. »Aber das GPS ist nur zweidimensional, wir sehen also nicht, in welcher Höhe oder auf welcher Etage sich das Telefon befunden hat.«

»Ist das wirklich gesetzeskonform?«, fragte Gina, eine der Analytikerinnen. »Ich meine, wie ist das mit dem Datenschutz …?«

»Der kann mit der technischen Entwicklung kaum Schritt halten«, fiel ihr Katrine ins Wort. »Ich habe mit dem Staatsanwalt gesprochen. Er meint, wir bewegen uns da in einer Grauzone, verstoßen aber nicht gegen geltendes Recht. Und was nicht ­verboten ist, ist bekanntlich …« Sie breitete die Arme aus, doch niemand im Raum wollte ihren Satz zu Ende bringen. »Weiter, Tord.«

»Mit Einwilligung der Staatsanwaltschaft und der Genehmigung von Gunnar Hagen haben wir Standortdaten gekauft. Die Karten der Mordnacht nennen uns die GPS-Positionen von 91 Prozent der bekannten Sexualverbrecher.« Tord hielt inne und dachte einen Moment nach. »Das war’s.«

Katrine war klar, dass Tord am Ende seines Vortrags angekommen war. Ihr war nur nicht klar, warum kein begeistertes Raunen durch den Raum ging.

»Versteht ihr denn nicht, wie viel Arbeit wir uns so sparen können? Wenn wir, wie früher, jeden Einzelnen hätten abhaken müssen …?«

Ein Räuspern war zu hören. Es kam von Wolff, dem Ältesten von ihnen allen. Er hätte längst pensioniert sein sollen. »Abhaken heißt dann wohl, dass die Karte keinen Treffer bei Elise Hermansen ergeben hat?«

»Ja«, sagte Katrine und stemmte die Hände in die Seiten. »Und dass wir nur bei den letzten neun Prozent das Alibi überprüfen müssen.«

»Wo das Telefon von einem ist, gibt einem doch noch kein Alibi«, sagte Skarre und sah sich beifallheischend um.

»Du verstehst schon, was ich meine«, sagte Katrine resigniert. Was war nur mit dieser Gruppe los? Sie waren hier, um einen Mord aufzuklären, und nicht, um sich gegenseitig die Energie zu rauben. »Kriminaltechnik«, sagte sie und setzte sich in die erste Reihe, um ihre Kollegen nicht ständig ansehen zu müssen.

»Nicht viel«, sagte Bjørn Holm und stand auf. »Das Labor hat die Farbe in der Wunde untersucht. Ziemlich spezielles Zeugs. Wir nehmen an, dass es sich um in Essig aufgelöste Eisenspäne handelt, denen aus Tee gewonnene pflanzliche Gerbsäure beigemischt war. Weitere Recherchen haben ergeben, dass diese Farbe in einer alten japanischen Tradition benutzt wurde, bei der man sich die Zähne schwarz gefärbt hat.«

»Ohaguro«, sagte Katrine. »Dunkelheit, nachdem die Sonne untergegangen ist.«

»Ja, korrekt«, sagte Bjørn und warf ihr den gleichen anerkennenden Blick zu wie manchmal beim Frühstück im Café, wenn es ihr endlich einmal gelungen war, vor ihm die Aftenposten-Quizfrage zu lösen.

»Danke«, sagte Katrine, und Bjørn setzte sich. »Dann zu unserem eigentlichen Problem. Die VG nennt es Quelle, für uns ist es ein Leck.« In dem bereits stillen Raum wurde es noch stiller.

»Eine Sache ist der bereits entstandene Schaden. Der Mörder weiß jetzt, was wir wissen, und kann sein Vorgehen anpassen. Schlimmer ist, dass wir hier in diesem Raum nicht wissen, ob wir einander vertrauen können. Deshalb stelle ich die Frage ganz direkt: Wer hat mit der VG gesprochen?«

Zu ihrer Überraschung schnellte eine Hand in die Höhe.

»Ja, Truls?«

»Müller und ich haben gestern nach der Pressekonferenz mit Mona Daa geredet.«

»Sie meinen Wyller?«

»Ja, der Neue. Wir haben nichts gesagt. Aber die Frau hat dir ihre Visitenkarte gegeben, nicht wahr, Müller?«

Alle Blicke richteten sich auf Anders Wyller, der unter seinen hellen Haaren knallrot geworden war.

»Ich … ja, aber …«

»Wir wissen alle, dass Mona Daa die Kriminalreporterin der VG ist«, sagte Katrine. »Man braucht keine Visitenkarte, um bei denen in der Zentrale anzurufen und zu ihr durchgestellt zu werden.«

»Warst du das, Wyller?«, fragte Magnus Skarre. »Komm schon, jeder Anfänger macht mal Fehler.«

»Aber ich habe nicht mit der VG gesprochen«, sagte Wyller. Seine Stimme klang verzweifelt.

»Berntsen hat doch gerade gesagt, dass ihr mit dieser Frau gesprochen habt«, sagte Skarre. »Willst du behaupten, dass Berntsen lügt?«