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»Habe ich gerade gemacht. Sieht alles okay aus.«

»Alles?« Katrine hatte Wyller und Berntsen beauftragt, den Handybetreiber zu kontaktieren, um an die Liste mit Nummern und Namen der Leute zu kommen, mit denen das Opfer in den letzten sechs Monaten gesprochen hatte. Sie sollten die Liste aufteilen und die Alibis der betreffenden Personen überprüfen.

»Ja. Doch. Es gab allerdings einen Typen aus Åneby im Nittedal, dessen Vorname auf y endet. Er hat Elise Anfang des Sommers auffällig oft angerufen, weshalb ich den genauer unter die Lupe genommen habe.«

»Der Vorname endet auf y?«

»Lenny Hell, lass dir den Namen mal auf der Zunge zergehen.«

»Tue ich. Du verdächtigst Leute wegen der Buchstaben in ihren Namen?«

»Unter anderem. Es ist eine Tatsache, dass das y in der Kriminalstatistik überrepräsentiert ist.«

»Und das heißt?«

»Das heißt, dass ich zum Telefon gegriffen habe, als ich gesehen habe, dass Berntsen Hells Alibi einfach so abgehakt hat, obwohl der bloß angegeben hat, zur Tatzeit mit einem Kumpel im Åneby Pizza & Grill gewesen zu sein. Bestätigt worden ist das übrigens nur durch den Pizzeriabesitzer, weshalb ich die lokale Polizeiwache angerufen und mich dort erkundigt habe.«

»Weil der Typ Lenny heißt?«

»Weil der Pizzabesitzer Tommy heißt.«

»Und was hat der Beamte da oben gesagt?«

»Dass Lenny und Tommy zwei gesetzestreue Bürger sind, denen man trauen kann.«

»Du hast dich also geirrt.«

»Das wird sich noch zeigen. Der Ortspolizist heißt Jimmy.«

Katrine lachte laut und spürte, wie gut das tat. Anders Wyller antwortete ihr mit einem Lächeln. Vielleicht brauchte sie auch dieses Lächeln. Jeder versucht, einen guten ersten Eindruck zu machen, trotzdem hatte sie das Gefühl, dass Wyller von sich aus nicht gesagt hätte, dass er auch Berntsens Arbeit gemacht hatte. Und das zeigte, dass Wyller – wie sie – Truls Berntsen nicht traute. Katrine hatte einen bestimmten Gedanken immer zu verdrängen versucht, doch jetzt entschied sie sich, ihn auszusprechen.

»Komm rein und mach die Tür zu.«

Wyller tat, worum sie ihn bat.

»Es gibt noch etwas anderes, um das ich dich bitten möchte. Leider. Dieses Leck. Du bist derjenige, der am engsten mit Truls Berntsen zusammenarbeiten wird. Könntest du …?«

»Augen und Ohren offen halten?«

Katrine seufzte. »So in etwa. Das bleibt aber unter uns, und wenn du etwas bemerkst, redest du nur mit mir, verstanden?«

»Verstanden.«

Wyller ging. Katrine wartete noch ein paar Sekunden, bis sie das Handy vom Schreibtisch nahm und eine Nummer wählte. Bjørn. Sie hatte ein Foto von ihm gespeichert, das gleichzeitig mit der Nummer angezeigt wurde. Er lächelte. Bjørn Holm war kein Schmuckstück. Sein Gesicht war blass und etwas aufge­dunsen, und die roten Haare waren dünn und hell geworden. Aber es war Bjørn. Das Gegengift für all diese anderen Bilder. Wovor hatte sie eigentlich solche Angst? Wenn Harry Hole es schaffte, mit einem anderen Menschen zusammenzuleben, war­um schaffte sie das dann nicht? Ihr Zeigefinger näherte sich dem Anrufsymbol neben der Telefonnummer, als die Warnungen wieder durch ihren Kopf geisterten. Die Warnungen von Harry Hole und Hallstein Smith. Die Nächste.

Sie legte das Telefon weg und konzentrierte sich auf die Fotos.

Die Nächste.

Was, wenn der Täter bereits an die Nächste dachte?

»Du musst dir mehr M-Mühe geben, Ewa«, flüsterte er.

Er hasste es, wenn sie nicht alles gaben.

Wenn sie ihre Wohnungen nicht putzten. Ihre Körper nicht pflegten. Wenn sie es nicht schafften, den Mann zu halten, der sie geschwängert hatte. Wenn sie dem Kind kein Abendessen gaben, sondern es im Schrank einsperrten und Schokolade versprachen, damit es still war, während sie Männer empfingen, ihnen Abendessen servierten, sie mit der Schokolade fütterten, ihnen alles gaben und mit ihnen spielten, laut juchzend, wie sie es mit ihrem Kind nie gemacht hatten.

Nein.

Dann sollte lieber das Kind mit der Mutter spielen. Oder solchen wie Mutter.

Und er hatte gespielt, wild. Bis sie ihn eines Tages im Jøssingveien 33 im Schrank eingesperrt hatten. Ila Haft- und Verwahrungsanstalt. In den Statuten stand, es handele sich um eine landesweite Anstalt für männliche Gefangene mit »ausgeprägter Hilfsbedürftigkeit«.

Einer dieser Homopsychologen hatte ihm erklärt, dass sowohl die Vergewaltigungen als auch sein Stottern auf Traumata in der Kindheit zurückzuführen seien. Dieser Idiot. Das Stottern hatte er von seinem Vater, den er nie gesehen hatte. Das Stottern und einen dreckigen Anzug. Und vom Vergewaltigen träumte er schon, solange er denken konnte. Außerdem hatte er nur das getan, was diese Frauen nicht schafften. Er hatte sich Mühe gegeben, vollen Einsatz gezeigt. Das Stottern war fast weg. Er hatte die Gefängniszahnärztin vergewaltigt. Und er war aus Ila ausgebrochen und hatte weitergespielt. Härter als jemals zuvor. Dass die Polizei ihn jagte, war nur das i-Tüpfelchen seiner Karriere gewesen. Bis er eines Tages direkt vor dem Polizisten gestanden und die Entschlossenheit und den Hass in seinem Blick gesehen und verstanden hatte, dass dieser Mann dazu in der Lage sein würde, ihn zu schnappen und in die Dunkelheit seiner Kindheit zu verbannen. In den verriegelten Schrank, in dem er die Luft angehalten hatte, um nicht den Gestank von Schweiß und Tabak riechen zu müssen, der aus Vaters schmierigem Anzug drang, den Mama angeblich nur behalten hatte, falls er eines Tages wieder zurückkehrte. Er würde es nicht überleben, noch einmal eingesperrt zu werden. Deshalb hatte er sich vor dem Polizisten mit dem Mörderblick versteckt. Hatte sich drei Jahre nicht vom Fleck gerührt. Drei Jahre, ohne zu spielen. Bis sich auch das zu einem Gefängnis entwickelt hatte, seinem Kleiderschrank. Dann war diese Chance da. Eine Möglichkeit, ganz in Sicherheit zu spielen. Wobei es natürlich auch nicht zu sicher sein durfte. Er musste die Furcht riechen, um richtig erregt zu werden. Bei sich und bei ihnen. Es war egal, wie alt sie waren, wie sie aussahen, ob sie groß oder klein waren. Hauptsache, es waren Frauen. Oder potentielle Mütter, wie einer dieser idiotischen Psychiater es einmal ausgedrückt hatte.

Er legte den Kopf schief und sah sie an. Die Wohnung war ­hellhörig, aber das machte ihm keine Sorgen mehr. Erst jetzt, da er im hellen Licht ganz dicht an ihrem Gesicht war, bemerkte er, dass Ewa mit w kleine Pickel rund um den offenen Mund hatte. Sie versuchte zweifelsohne zu schreien, aber das würde ihr nicht gelingen, sosehr sie sich auch bemühte. Denn unter ihrem offenen Mund hatte sie einen neuen. Ein blutiges, klaffendes Loch im Hals, dort, wo ihr Kehlkopf gewesen war. Er drückte sie auf den Boden, und aus dem Ende der abgebissenen Luftröhre war ein Gurgeln zu hören. Rosa Blutblasen spritzten heraus. Die Muskeln in ihrem Hals spannten sich abwechselnd und erschlafften, als sie versuchte, Luft zu holen. Ihre Lungen arbeiteten noch, sie würde noch ein paar Sekunden leben. Aber am meisten faszinierte ihn, dass er ihrem schrillen Schnattern ein Ende hatte machen können, indem er ihr mit den Eisenzähnen die Stimmbänder durchgebissen hatte.

Und während das Licht in ihren Augen langsam erlosch, suchte er in ihrem Blick die Todesangst, den Wunsch, noch eine Sekunde leben zu dürfen. Aber da war nichts. Sie hätte sich mehr Mühe geben müssen. Vielleicht fehlte ihr die Phantasie. Oder die Lebensfreude. Er hasste es, wenn sie ihr Leben so einfach aufgaben.

Kapitel 10

Samstagmorgen

Harry lief. Er tat das nicht gern. Manche Menschen laufen angeblich, weil sie das mögen, wie Haruki Murakami. Harry mochte die Bücher von Murakami, nur eben das eine über das Laufen nicht, das hatte er zur Seite gelegt. Harry lief, um anzukommen, und weil er das Gefühl liebte, gelaufen zu sein. Krafttraining war eher nach seinem Geschmack. Konkrete Schmerzen, die von der Leistungskraft der Muskeln und nicht vom Willen abhingen, Schmerzen zu ertragen. Vermutlich sagte das etwas über seinen schwachen Charakter aus, seine Neigung, wegzulaufen und eine Linderung der Schmerzen zu suchen, bevor es überhaupt richtig weh tat.