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»Wäre es möglich, meine Frau mit auf das Foto zu nehmen?«, fragte Smith sichtlich aufgeregt. »Ich meine … VG … das ist für uns schon eine große Sache.«

Mona Daa musste lächeln. Süß. Für einen Moment flatterte das Bild des Psychologen, der seiner Frau in den Hals biss, an ihrem inneren Auge vorbei. Aber nein, das ging sicher zu weit. Das würde die ernste Situation ins Lächerliche ziehen.

»Meine Redakteure hätten Sie lieber allein«, sagte sie.

»Verstehe, aber fragen kostet ja nichts«, sagte Smith unschuldig lächelnd.

»Ich bleibe hier und schreibe derweil. Vielleicht können wir das Interview dann gleich ins Netz stellen. Haben Sie WLAN im Haus?«

Mona bekam das Passwort und war bereits halb fertig, als sie draußen ein Blitzlicht wahrnahm.

Die inoffizielle Erklärung, warum sie auf Aufnahmegeräte verzichtete, war, dass es dann keine zweifelsfreie Dokumentation gab, was wirklich gesagt worden war. Nicht dass Mona Daa bewusst etwas schrieb, das ihre Interviewpartner so nicht gesagt hatten, aber so hatte sie einfach mehr Spielraum, den Aussagen den nötigen Pfeffer zu geben, die Zitate so zusammenzufassen, dass sie ins Tabloid-Format passten und die Leser die Schlagzeilen auch anklickten.

Psychologe: Vampirist kann ganzes Dorf ausradieren!

Sie sah auf die Uhr. Truls Berntsen hatte gesagt, dass er um zehn anrufen wollte, falls es etwas Neues gab.

»Ich mag keine Science-Fiction-Filme«, sagte der Mann, der Penelope Rasch gegenübersaß. »Am meisten nerven mich die Geräusche, wenn ein Raumschiff an der Kamera vorbeizieht.« Er spitzte die Lippen und machte einen Zischlaut. »Im Weltraum ist keine Luft, also gibt es auch keine Geräusche. Da herrscht vollkommene Stille. Wir werden angelogen.«

»Amen«, lachte Penelope und hob ihr Wasserglas.

»Ich mag Alejandro González Iñárritu«, sagte der Mann und nahm auch sein Mineralwasserglas. »Biutiful und Babel sind meine Filme. Viel mehr als Birdman oder The Revenant. Ich habe die Befürchtung, dass auch er jetzt immer mehr in Richtung Mainstream geht.«

Penelope lief ein Schauer über den Rücken, ein wohliger Schauer. Nicht nur, weil er gerade zwei ihrer Lieblingsfilme genannt hatte, sondern weil er auch den wenig bekannten anderen Nachnamen von Iñárritu kannte. Und das, nachdem er vorher schon ihren Lieblingsautor Cormac McCarthy und ihr Lieblingsreiseziel erwähnt hatte.

Die Tür ging auf. Sie waren die einzigen Gäste in dem kleinen, versteckten Restaurant, das er für ihr erstes Treffen vorgeschlagen hatte. Jetzt kam ein weiteres Paar herein. Er drehte sich um. Nicht zur Tür, um zu sehen, wer kam, sondern in die andere Richtung, so dass sie ihn für ein paar Sekunden unbemerkt mustern konnte. Er war schlank und etwa so groß wie sie, hatte gute Manieren und war anständig gekleidet. Doch war er auch gutaussehend? Schwer zu sagen. Er war definitiv nicht abstoßend, aber irgendwie zu glatt. Und sie glaubte nicht, dass er erst vierzig war, wie in seinem Profil stand. Die Haut um die Augen und am Hals wirkte irgendwie gestrafft, als hätte er sich liften lassen.

»Ich kannte dieses Restaurant gar nicht«, sagte sie. »Sehr still.«

»Z-zu still?«, fragte er lächelnd.

»Still ist gut.«

»Beim nächsten Mal können wir ja irgendwo hingehen, wo sie Kirin-Bier haben und schwarzen Reis servieren«, sagte er. »Wenn du das magst.«

Sie sah ihn überrascht an. Er verblüffte sie zunehmend. Woher wusste er, dass sie schwarzen Reis liebte? Die meisten ihrer Freunde wussten nicht einmal, dass es so etwas gab. Roar hatte diesen Reis gehasst und gemeint, er schmecke nach Reformhaus und unnötigem Luxus. Beides stimmte, schwarzer Reis enthielt mehr Antioxidantien als Blaubeeren und wurde lange für die verbotenen, nur dem Kaiser und seiner Familie vorbehaltenen Sushis verwendet.

»Ich liebe schwarzen Reis«, sagte sie. »Was magst du sonst noch?«

»Meine Arbeit«, erwiderte er.

»Und du bist?«

»Künstler.«

»Wie spannend! Was …?«

»Installationen.«

»Roar … mein Ex, war auch Künstler, vielleicht kennst du ihn ja.«

»Kaum, ich verkehre nicht in den etablierten Künstlerkreisen. Und ich bin Autodidakt, wenn du so willst.«

»Wenn du von deiner Kunst leben kannst, ist es wirklich erstaunlich, dass ich noch nie von dir gehört habe. Oslo ist klein.«

»Ich mache andere Sachen, um Geld zu verdienen.«

»Was zum Beispiel?«

»Ich arbeite als Wachmann.«

»Aber du stellst deine Kunst aus?«

»In der Regel sind das geschlossene Ausstellungen für ein ausgesuchtes, professionelles Publikum, zu denen die Presse keinen Zutritt hat.«

»Also, hört sich exklusiv an. Ich habe Roar oft geraten, es auch so zu machen. Was verarbeitest du in deinen Installationen?«

Er wischte sein Glas mit einer Serviette ab. »Modelle.«

»Modelle wie in … also lebende Modelle?«

Er lächelte. »Sowohl als auch. Aber reden wir doch über dich, Penelope. Was magst du?«

Sie legte einen Finger unter ihr Kinn. Tja, was mochte sie? Eigentlich hatte sie das Gefühl, dass er schon alles gesagt hatte. Als hätte er ein Buch über sie gelesen.

»Ich mag Menschen«, sagte sie. »Und Ehrlichkeit. Meine Familie. Und Kinder.«

»Und festgehalten zu werden«, sagte er und warf einen Blick auf das Paar, das zwei Tische von ihnen entfernt saß.

»Entschuldigung?«

»Du magst es, festgehalten zu werden, wenn dich jemand hart rannimmt.« Er beugte sich über den Tisch. »Das sehe ich dir an, Penelope. Und das ist in Ordnung, denn das mag ich auch. Es wird hier drinnen langsam voll, sollen wir zu dir nach Hause ­gehen?«

Penelope brauchte eine Sekunde, um zu verstehen, dass er das ernst meinte. Sie senkte den Blick und sah, dass er seine Hand vorgeschoben hatte und mit den Fingerkuppen fast ihre Hand berührte. Sie schluckte. Was war nur mit ihr, dass sie immer an die falschen Männer geriet? Ihre Freundinnen waren der Meinung, dass sie am besten über Roar hinwegkommen würde, wenn sie andere Männer traf. Und sie hatte es versucht, aber entweder waren das verklemmte, sozialgestörte IT-Nerds gewesen, die kaum ein Wort über die Lippen gebracht hatten, oder eben Männer wie der hier, die es nur auf eine schnelle Nummer abgesehen hatten.

»Ich glaube, ich gehe lieber allein nach Hause«, sagte sie und hielt nach dem Kellner Ausschau. »Die Rechnung, bitte.« Sie saßen erst knapp zwanzig Minuten zusammen, aber ihre Freundinnen hatten ihr das dritte und wichtigste Tinder-Gebot eingebläut: Don’t play games, leave if you don’t click.

»Die zwei Flaschen Mineralwasser übernehme ich«, sagte der Mann lächelnd und zupfte an seinem hellblauen Hemdenkragen. »Lauf, Aschenputtel.«

»Dann … danke.«

Penelope nahm ihre Tasche und verließ das Lokal.

Die scharfe Herbstluft strich ihr angenehm kühlend über die heißen Wangen. Sie ging den Bogstadveien hoch. Es war Samstagabend, und die Straßen waren voller aufgedrehter Menschen. Am Taxistand wartete eine lange Schlange, aber bei den Taxipreisen in Oslo nahm sie sich eh nur eins, wenn es wirklich schüttete. Auf Höhe der Sorgenfrigata dachte sie, dass sie immer davon geträumt hatte, mit Roar mal in eins dieser schönen Häuser zu ziehen. Die Wohnung musste nicht größer als siebzig oder achtzig Quadratmeter sein, hatten sie sich geeinigt, solange sie nur frisch renoviert war, mindestens das Bad. Dass es schweineteuer werden würde, war ihnen klar gewesen, aber sowohl ihre als auch Roars Eltern hatten ihnen finanzielle Unterstützung versprochen und mit dieser »Unterstützung« natürlich gemeint, dass sie die ganze Wohnung finanzieren wollten. Sie hatte als frischdiplomierte Designerin noch keinen Job gehabt, und auch Roars enormes Talent war auf dem Kunstmarkt noch niemandem aufgefallen. Außer der verfluchten Galeristin, die ihn in die Falle gelockt hatte. In der ersten Zeit nach Roars Auszug war Penelope überzeugt gewesen, dass Roar irgendwann erkennen würde, dass die alte Schachtel nur einen jungen Loverboy wollte, mit dem sie sich eine Weile amüsieren konnte. Aber das war nicht passiert. Im Gegenteil, irgendwann hatten sie ihre sogenannte Verlobung in Form einer idiotischen Installation aus Zuckerwatte bekannt­gegeben.