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Er hatte diese Möglichkeit eingeplant und das Auto vorsorglich in der Nähe geparkt. Er war schnell gefahren. Nicht so schnell, dass er riskierte, von der Polizei angehalten zu werden, aber schnell genug, um sich in dem Wäldchen verstecken zu können, bevor sie aus der U-Bahn kam. Sie hatte sich nicht umgedreht, als er ihr gefolgt war, auch nicht, als sie die Schlüssel aus der Tasche genommen und die Tür aufgeschlossen hatte. Und so hatte er einen Fuß in die Tür gesetzt, bevor diese zufallen konnte.

Ein Zittern fuhr durch ihren Körper, bald würde sie das Bewusstsein verlieren. Seine Erektion drückte sich gegen ihr Gesäß. Auch Mutter hatte so einen kräftigen, breiten Po gehabt.

Er spürte, dass der Junge kam, dass er übernehmen wollte, vor Hunger schrie. Er wollte gefüttert werden. Jetzt!

»Ich liebe dich«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Ich liebe dich wirklich, Penelope, und deshalb will ich dich zu einer ehrbaren Frau machen, ehe wir weitergehen.«

Sie wurde schlaff in seinen Armen, und er beeilte sich, hielt sie mit einem Arm fest, während er mit der anderen Hand in seine Jackentasche griff.

Penelope Rasch wachte auf und wusste, dass sie einen Moment weg gewesen war. Es war dunkel. Sie hing, und etwas zerrte an ihren Armen und schnitt ihr in die Handgelenke. Sie sah nach oben. Handschellen. Und etwas, das matt an ihrem Ringfinger glänzte.

Da spürte sie den Schmerz zwischen den Beinen und sah nach unten, als er gerade die Finger aus ihr zog.

Sein Gesicht lag halb im Schatten, aber sie sah, wie er sich die Finger unter die Nase hielt und schnupperte. Sie versuchte zu schreien, aber es kam kein Ton.

»Gut, meine Geliebte«, sagte er. »Du bist sauber, dann können wir anfangen.«

Er knöpfte sich die Jacke und das Hemd auf und entblößte eine Tätowierung, ein Gesicht, das ebenso lautlos schrie wie sie. Mit geschwellter Brust stand er vor ihr, als wollte er ihr diese Tätowierung unbedingt zeigen. Vielleicht war es aber auch umgekehrt. Vielleicht war sie es, die gezeigt wurde. Einem schreienden Dämon.

Er griff in die Tasche seiner Jacke, nahm etwas heraus und zeigte es ihr. Schwarz. Eisen. Zähne.

Penelope bekam ein bisschen Luft. Und schrie.

»So, ja, meine Geliebte. Das ist die Musik für meine Arbeit«, sagte er lachend, machte den Mund auf und setzte sich die Zähne ein.

Sein Lachen und ihre Schreie hallten in den Wänden wider.

Der Raum war erfüllt von Stimmen und Kommentaren internationaler Nachrichtensender, die über die Bildschirme an der Wand der VG-Redaktion flimmerten.

Der Onlineredakteur und der Nachrichtenchef bearbeiteten fortlaufend die Onlineausabe der Zeitung. Mona Daa und der Fotograf standen hinter dem Stuhl des Nachrichtenredakteurs und sahen sich das Foto auf seinem Dashboard an.

»Ich habe alles versucht, aber es ist schlichtweg unmöglich, ihn irgendwie gefährlich aussehen zu lassen«, sagte der Fotograf seufzend.

Mona sah, dass er recht hatte. Hallstein Smith sah im Licht des Vollmonds einfach nur jovial aus.

»Das geht sicher trotzdem«, sagte der Redakteur, »schaut euch mal die Klicks an. Jetzt sind es schon neunhundert pro Minute.«

Mona sah auf den Zahlenstand an der rechten Seite des Bildschirms.

»Wir haben einen Sieger«, sagte der Nachrichtenchef. »Wir stellen das ganz nach oben. Vielleicht sollten wir die Chefin vom Dienst fragen, ob wir nicht auch die Titelseite austauschen können.«

Der Fotograf ballte die Faust, und Mona Daa drückte ihre Knöchel pflichtschuldig gegen seine. Ihr Vater meinte, Tiger Woods und sein Caddy hätten diese Geste populär gemacht. Von dem obligatorischen High five waren sie abgekommen, nachdem der Caddy die Hand des Golfspielers nach einem perfekten Pitch am sechzehnten Loch in der letzten Runde bei den Masters durch ein allzu begeistertes Abklatschen verletzt hatte. Es war die große Sorge ihres Vaters gewesen, dass Mona wegen ihres angeborenen Hüftschadens nie die Golfspielerin werden würde, die er sich gewünscht hatte. Sie selbst hasste Golf, seit er sie zum ersten Mal mit auf die Driving Range genommen hatte. Da das Niveau so seltsam niedrig gewesen war, hatte sie trotzdem ­weitergespielt und gewonnen, was man gewinnen konnte. Ihr Schlag war aber so kurz und hässlich, dass der Trainer der Juniorennationalmannschaft sich schlichtweg geweigert hatte, sie aufzunehmen. Seine Begründung war, dass er lieber mit einem Team verlöre, das wenigstens so aussah, als spielte es Golf. Danach hatte sie die Golfschläger in den Keller zu denen ihres Vaters gestellt und war in den Kraftraum gegangen. Dort hatte niemand Einwände dagegen, wie sie die hundertzwanzig Kilo in die Höhe stemmte. Anzahl Kilo, Anzahl Schläge, Anzahl Klicks. Erfolg war in Zahlen messbar, wer etwas anderes behauptete, hatte Angst vor der Wahrheit oder glaubte vielleicht ernsthaft, dass Durchschnittsmenschen eine Lebenslüge brauchten. Im Augenblick richtete sie ihre ganze Aufmerksamkeit aber auf das Kommentarfeld. Ihr war etwas in den Sinn gekommen, als Smith gesagt hatte, der Vampirist scheue kein Risiko. Es war durchaus möglich, dass er die VG las und vielleicht sogar einen Kommentar schrieb.

Ihr Blick ging über die eingehenden Zeilen.

Es waren die Üblichen:

Die Mitfühlenden, die ihre Anteilnahme mit den Opfern ausdrückten.

Die selbsternannten Soziologen, die erklärten, warum die eine oder andere politische Partei Schuld an der Misere trug, dass die Gesellschaft immer mehr unerwünschte Individuen hervorbrachte, in diesem Fall einen Vampiristen.

Und die Henker, die – sobald sich die Gelegenheit bot – nach Todesstrafe und Kastration schrien.

Und natürlich die Wannabe-Stand-up-Komiker mit ihren schrägen Vorbildern, die vor nichts zurückschreckten. »Musiktip: Wampire«; »Verkaufen Sie Ihre Tinder-Aktien jetzt!«

Was würde sie tun, wenn tatsächlich ein verdächtiger Kommentar gepostet wurde? Würde sie es Katrine Bratt & Co. melden? Das schuldete sie Truls Berntsen. Oder sollte sie den Blonden anrufen, diesen Wyller, damit auch er in ihrer Schuld stand? Auch wenn man nicht bei Tinder war, konnte man den einen nach links und den anderen nach rechts schieben.

Sie gähnte. Ging zu ihrem Schreibtisch und nahm die Tasche.

»Ich geh zum Training«, rief sie zur Chefin vom Dienst hin­über.

»Jetzt? Es ist mitten in der Nacht.«

»Ruf mich an, wenn was passiert.«

»Deine Schicht war vor einer Stunde zu Ende, Daa, jetzt sind andere dran …«

»Das ist meine Story, und du rufst mich an, okay?«

Sie hörte jemanden lachen, als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel. Vielleicht wegen ihres Ganges oder wegen ihrer Kluges-Mädchen-schafft-alles-allein-Attitüde. Es war ihr egal. Sie hatte einen seltsamen Gang. Und sie wollte alles allein schaffen.

Fahrstuhl, Pförtner, Schwingtür, dann war sie raus aus dem gläsernen Medienhaus und stand im Licht des Vollmonds. Mona holte tief Luft. Etwas Großes stand bevor, das wusste sie ganz einfach. Und sie würde daran teilhaben.

Truls Berntsen hatte seinen Wagen am Rand der kurvigen, steilen Straße geparkt. Unter ihm, im Dunkeln, lag Oslos stillgelegte Industrie, stumm gewordene Ziegelbauten mit zugewucherten Eisenbahnschienen. Und dahinter die neuen Bauklötze der Architekten: Barcode, die Verspieltheit der neuen Businesswelt als Kontrast zu dem düsteren Ernst einer vergangenen Arbeitswelt, in der Minimalismus noch eine kostensparende Notwendigkeit und kein ästhetisches Ideal gewesen war.