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»In welcher?«, fragte Katrine und überflog die anderen SMS, die sie bekommen hatte, während sie im Krankenhaus gewesen waren.

»Der Barkeeper in der Jealousy Bar. Irgend so ein Mehmet.«

»Dein Gedächtnis funktioniert noch, das muss man dir lassen. Die wollen mich als Gast im Sonntagsmagazin haben, um über den Vampiristen zu reden.« Sie tippte etwas.

»Was antwortest du?«

»Dass das nicht in Frage kommt. Ist doch logisch. Bellman hat klar gesagt, dass er so wenig Öffentlichkeit wie nur möglich will.«

»Auch wenn der Fall aufgeklärt ist?«

Katrine drehte sich zu Harry um. »Wie meinst du das?«

Harry zuckte mit den Schultern. »Na ja, so könnte der Polizeipräsident landesweit im Fernsehen damit prahlen, den Fall in nur drei Tagen aufgeklärt zu haben. Und zweitens könnten wir die Öffentlichkeit gut brauchen, um ihn zu erwischen.«

»Haben wir den Fall gelöst?« Wyller sah Harry über den Rückspiegel an.

»Aufgeklärt«, sagte Harry. »Nicht gelöst.«

Wyller wandte sich an Katrine. »Wie meint er das?«

»Wir wissen jetzt, wer der Täter ist, der Fall ist aber erst gelöst, wenn der lange Arm des Gesetzes den Täter geschnappt hat. In diesem Fall hat sich der Arm des Gesetzes bisher als nicht lang genug erwiesen, denn die betreffende Person wird weltweit bereits seit drei Jahren gesucht.«

»Wer ist er?«

Katrine seufzte tief. »Ich mag nicht mal seinen Namen nennen. Erzähl du, Harry.«

Harry starrte aus dem Fenster. Katrine hatte natürlich recht. Er hätte ablehnen können. Was er aber aus einem einzigen, egoistischen Grund nicht getan hatte. Nicht wegen der Opfer, des Wohlergehens der Stadt oder des Prestiges der Polizei. Ja nicht einmal wegen seines eigenen Rufs, sondern einzig und allein deswegen, weil er ihnen entkommen war. Ja, Harry fühlte sich schuldig, ihn nicht früher gestoppt zu haben. Wegen all der Mordopfer, wegen jedes Tages, den er frei herumlief. Deshalb dachte er an nichts anderes als daran, dass es ihm gelingen musste, ihn zu fassen. Dass er, Harry, ihn in Handschellen legen musste. Warum, wusste er nicht. Brauchte er wirklich den schlimmsten Serienmörder und Vergewaltiger, um seinem eigenen Leben eine Richtung und einen Sinn zu geben? Weiß der Teufel! Und der Teufel wusste vielleicht auch, ob es nicht genau umgekehrt war. Ob dieser Mann nicht einzig und allein wegen ihm, Harry, aus seinem Versteck gekrochen war, ein V auf die Tür von Ewa Dolmen gemalt und sein Dämonentattoo Penelope Rasch gezeigt hatte. Penelope hatte ihn gefragt, warum der Täter sie nicht getötet hatte. Und Harry hatte gelogen. Der Täter hatte sie am Leben gelassen, damit sie reden konnte. Damit sie Harry erzählen konnte, was sie gesehen hatte, damit er sich endlich dem Spiel stellte.

»Nun«, sagte Harry. »Wollt ihr die lange oder die kurze Version?«

Kapitel 14

Sonntagmorgen

»Valentin Gjertsen«, sagte Harry Hole und zeigte auf das hellerleuchtete Gesicht, das auf der drei Quadratmeter großen Leinwand im Besprechungsraum prangte.

Katrine studierte die schmalen Züge. Braune Haare, tiefliegende Augen. Vielleicht lag Letzteres aber auch nur daran, dass der Mann auf dem Foto die Stirn nach vorne schob, wodurch das Licht in einer ganz bestimmten Weise darauf fiel. Katrine wunderte sich, dass der Polizeifotograf diese Kopfhaltung zugelassen hatte. Besonders auffällig war aber der Gesichtsausdruck. Unmittelbar nach der Verhaftung aufgenommene Polizeifotos ließen in den Gesichtern in der Regel Angst, Verwirrung oder Resignation erkennen. Nicht so bei Valentin Gjertsen. Er lächelte, als würde er sich freuen. Als wüsste er etwas, das sie nicht wussten. Noch nicht.

Harry ließ das Gesicht ein paar Sekunden auf die Anwesenden wirken, bevor er fortfuhr. »Zum ersten Mal angeklagt mit sechzehn, weil er an einem neunjährigen Mädchen herumfingerte, nachdem er es in ein Ruderboot gelockt hatte. Mit siebzehn wurde er von seiner Nachbarin wegen versuchter Vergewaltigung im Waschkeller angezeigt. Als Valentin Gjertsen sechsundzwanzig war und eine Strafe wegen diverser Übergriffe auf Minderjährige absaß, hatte er im Ila-Gefängnis einen Zahnarzttermin. Mittels eines Zahnarztbohrers hat er die Zahnärztin ­gezwungen, sich die Strumpfhose aus- und über den Kopf zu ziehen. Dann hat er sie im Zahnarztstuhl vergewaltigt und anschließend die Strumpfhose angesteckt.«

Harry drückte auf eine Taste am PC, und das Foto auf der Leinwand machte einem anderen Platz. Ein Stöhnen kam von den Anwesenden. Katrine sah, dass auch einige der erfahrenen Ermittler den Blick senkten.

»Ich zeige Ihnen dieses Bild nicht aus Vergnügen, sondern um Ihnen vor Augen zu führen, mit welchem Menschen wir es hier zu tun haben. Im Übrigen hat er die Zahnärztin am Leben gelassen. Genau wie Penelope Rasch. Ich glaube nicht an einen Arbeitsunfall. Ich glaube, Valentin Gjertsen spielt ein Spiel mit uns.«

Harry drückte wieder eine Taste, und erneut war ein Foto von Gjertsen zu sehen, dieses Mal der Online-Steckbrief von Interpol.

»Valentin ist vor knapp vier Jahren auf spektakuläre Weise aus Ila ausgebrochen. Er hat einen Mithäftling, Judas Johnsen, aufs Brutalste totgeprügelt, ihm dann eine Kopie seines eigenen Tattoos in die Brust gestochen und die Leiche schließlich in der Bibliothek versteckt, wo Gjertsen selbst arbeitete. Als Judas beim nächsten Appell nicht auftauchte, ging man davon aus, dass er ausgebrochen war. In der Nacht seiner Flucht hat Gjertsen dem Leichnam dann seine eigene Kleidung angezogen und ihn in ­seiner Zelle auf den Boden gelegt. Als die Gefängniswärter die nicht mehr zu identifizierende Leiche fanden, gingen sie natürlich davon aus, es mit Valentin zu tun zu haben. Eigentlich war niemand sonderlich überrascht. Wie alle anderen Pädophilen war auch Valentin Gjertsen bei den übrigen Insassen verhasst. Man überprüfte weder seine Fingerabdrücke, noch wurde ein DNA-Test an der Leiche vorgenommen. Deshalb dachten wir lange, dass Valentin Gjertsen ein Kapitel der Vergangenheit war. Bis er in Verbindung mit einem neuen Mordfall auftauchte. Wir wissen nicht, wie viele Morde und Vergewaltigungen auf sein Konto gehen, aber sicher mehr als die, die wir mit ihm in Verbindung bringen oder für die er verurteilt wurde. Was wir wissen, ist, dass eines seiner letzten Opfer vor seinem zwischenzeit­lichen Verschwinden seine frühere Vermieterin Irja Jacobsen war.« Erneuter Tastendruck. »Das Bild stammt aus der WG, in der sie wohnte und sich vor Gjertsen versteckt hielt. Wenn ich mich richtig erinnere, waren Sie, Berntsen, als Erster am Tatort, wo Sie sie erdrosselt unter einem Stapel Kindersurfbretter mit Haimotiv gefunden haben.«

Grunzendes Lachen von ganz hinten. »Stimmt. Die Bretter ­waren Diebesgut, das die blöden Junkies noch nicht vertickt ­hatten.«

»Irja Jacobsen wurde aller Wahrscheinlichkeit nach getötet, weil sie die Polizei über Valentin informiert hatte. Das erklärt möglicherweise, warum es anschließend so schwierig war, auch nur einen zu finden, der etwas über seinen Aufenthaltsort sagen konnte. Wer ihn kennt, wagt es nicht, den Mund aufzumachen.« Harry räusperte sich. »Ein anderer Grund, warum Valentin bislang nicht zu finden war, ist der Tatsache geschuldet, dass er nach der Flucht umfangreiche plastische Operationen hat vornehmen lassen. Die Person auf den Fotos sieht derjenigen, die wir auf einem körnigen Überwachungsfoto aus dem Ullevål-­Stadion erkennen, nicht einmal mehr ähnlich. Dieses Überwachungsfoto ließ er uns mit Absicht sehen. Die Tatsache, dass wir ihn nicht gefunden haben, lässt vermuten, dass er noch weitere Operationen hat vornehmen lassen. Vermutlich sind diese Operationen irgendwo im Ausland gemacht worden, da wir alle plastischen Chirurgen hier in Skandinavien gründlich geprüft haben. Die Annahme, dass sein Gesicht stark verändert ist, wird auch dadurch untermauert, dass Penelope Rasch ihn auf den Bildern, die wir ihr gezeigt haben, nicht erkannt hat. Leider ist sie auch nicht in der Lage, ihn zu beschreiben, und die Tinder-Fotos, die sie von diesem sogenannten Vidar auf ihrem Handy hat, zeigen mit Sicherheit nicht Valentin Gjertsen.«