Выбрать главу

»Tord hat auch das Facebook-Profil dieses Vidar überprüft«, sagte Katrine, »Es ist wenig überraschend falsch und wurde erst kürzlich eingerichtet. Über einen Computer, den wir nicht orten können. Letzteres bedeutet laut Tord, dass Gjertsen sich mit Computern recht gut auskennen muss.«

»Oder Hilfe hat«, sagte Harry. »Auf jeden Fall haben wir eine Person, die Valentin Gjertsen gesehen und sogar mit ihm geredet hat, bevor dieser vor drei Jahren vom Radar verschwunden ist. Leider arbeitet Ståle nicht mehr als Berater des Dezernats, trotzdem hat er sich bereit erklärt, heute hierherzukommen.«

Ståle Aune stand auf und knöpfte sich seine Tweedjacke zu.

»Ich hatte das zweifelhafte Vergnügen, für einen recht kurzen Zeitraum einen Patienten namens Paul Stavnes betreuen zu dürfen. Als schizophrener Psychopath war er sich seiner Krankheit bewusst, auf jeden Fall bis zu einem gewissen Grad. Überdies ist es ihm gelungen, mich zu manipulieren, so dass ich nicht wusste, wer er wirklich ist oder was er getan hat. Bis zu dem Tag, an dem er sich durch einen Zufall verraten und dann versucht hat, mich umzubringen. Danach ist er von der Bildfläche verschwunden.«

»Ståles Beschreibung war die Grundlage für dieses Phantombild.« Harry drückte eine Taste. »Das Bild ist natürlich nicht mehr aktuell, aber auf jeden Fall besser als das Überwachungsfoto aus dem Stadion.«

Katrine neigte den Kopf. Die Zeichnung zeigte eine Veränderung der Haare, Nase und Augenform. Ja, sogar die Kopfform wirkte irgendwie spitzer als auf den Fotos. Nur das Lächeln war noch da. Das, was sie für Lächeln hielten. Das Lächeln eines Krokodils.

»Wie wurde er ein Vampirist?«, ertönte eine Frage aus dem hintersten Winkel des Raumes.

»Tja, ich persönlich bin noch gar nicht davon überzeugt, dass es Vampiristen überhaupt gibt«, sagte Aune. »Es kann eine ganze Reihe von Gründen geben, warum Valentin Gjertsen Blut trinkt, eine endgültige Antwort wage ich da noch nicht zu geben.«

Eine lange Stille folgte.

Harry räusperte sich. »Bei keinem von Valentins alten Fällen gab es Anzeichen für Beißen oder Bluttrinken. In der Regel halten sich Täter wie er an ein gewisses Muster. Sie werden wieder und wieder von den gleichen Phantasien heimgesucht.«

»Wie sicher sind wir uns denn, dass das wirklich Valentin Gjertsen ist?«, fragte Skarre. »Und nicht nur einer, der uns das glauben lassen will?«

»Neunundachtzig Prozent«, sagte Bjørn Holm.

Skarre lachte. »Exakt neunundachtzig?«

»Ja, wir haben Körperhaare an den Handschellen gefunden, mit denen er Penelope Rasch gefesselt hat. Vermutlich stammen diese Haare von seinem Handrücken. Bei einer DNA-Analyse ist man bei einer Übereinstimmung schnell bei neunundachtzig Prozent Sicherheit. Die restlichen elf Prozent brauchen Zeit. Die endgültige Antwort haben wir in zwei Tagen. Die Handschellen, die er benutzt hat, kann man übrigens im Internet kaufen. Eine Replik von Handschellen aus dem Mittelalter. Deshalb Eisen und nicht Stahl. Bestimmt beliebt bei Leuten, die ihre Liebes­nester wie mittelalterliche Kerker eingerichtet haben.«

Ein einzelnes, grunzendes Lachen ertönte.

»Und wie verhält es sich mit diesen Eisenzähnen?«, fragte eine Beamtin. »Wo kann er die herhaben?«

»Das ist schwieriger«, sagte Bjørn Holm. »Wir haben noch keinen Produzenten gefunden, der solche Zähne herstellt, jedenfalls nicht aus Eisen. Vielleicht hat er bei einem Schmied eine Sonderanfertigung in Auftrag gegeben. Oder er hat sie selber gemacht. Die Methode ist auf jeden Fall neu. Wir haben noch nie davon gehört, dass jemand solche Zähne benutzt hätte.«

»Neue Vorgehensweise«, sagte Aune, öffnete seine Jacke und präsentierte seinen Bauch. »Dabei sind grundlegende Wechsel der Vorgehensweise eigentlich ausgeschlossen. Menschen sind Gewohnheitstiere, sie bestehen darauf, immer wieder dieselben Fehler zu machen, selbst wenn sie über neue Informationen verfügen. Das ist auf jeden Fall meine These, die in Psychologenkreisen aber so umstritten ist, dass sie auch Aunes Postulat genannt wird. Wenn wir trotzdem beobachten, dass ein Individuum das Verhalten ändert, muss das an einer Veränderung des Umfelds liegen, an das es sich anpasst. Die grundlegende Motivation des Individuums bleibt dabei dieselbe. Es ist keineswegs selten, dass ein Sexualverbrecher neue Phantasien und Gelüste entwickelt, denn auch bei solchen Leuten entwickelt sich der Geschmack langsam weiter, aber grundsätzlich ändert sich dafür nichts am Individuum. Als ich ein Teenager war, hat mein Vater zu mir gesagt, dass ich, wenn ich älter bin, Beethoven schon zu schätzen wissen würde. Damals hasste ich Beethoven und war überzeugt davon, dass er sich irrte. Valentin Gjertsen hatte schon als junger Mensch einen recht breit gefächerten Geschmack in sexueller Hinsicht. Er hat sowohl junge als auch alte Frauen vergewaltigt, ja vielleicht sogar Jungs. Erwachsene Männer waren nicht dabei, aber dafür kann es auch rein praktische Gründe geben, sie können sich einfach besser wehren. Pädophilie, Nekrophilie, Sadismus, all das steht auf Valentin Gjertsens Speisekarte. Abgesehen von Svein Finne, den wir auch als den ›Verlobten‹ kennen, ist Valentin Gjertsen die Person, mit der die Osloer Polizei die meisten sexuell motivierten Morde in Verbindung bringt. Dass er jetzt auf den Geschmack von Blut gekommen ist, heißt bloß, dass er wirklich offen für neue Erfahrungen ist. In der Psychologie spricht man von der Offenheit für Erfahrungen. Ich sage, ›auf den Geschmack gekommen‹, weil die eine oder andere Beobachtung, wie die Tatsache, dass er dem Blut in einem Fall Zitrone beigemischt hat, mehr darauf hindeutet, dass Valentin Gjertsen mit Blut experimentiert und nicht wirklich davon besessen ist.«

»Nicht besessen?«, rief Skarre. »Ein Opfer pro Tag! Während wir hier sitzen, ist er vermutlich bereits wieder auf der Jagd. Oder nicht, Professor?« Die Ironie war deutlich herauszuhören.

Aune breitete seine kurzen Arme aus. »Um es noch einmal zu sagen: Ich weiß es nicht. Wir wissen es nicht. Niemand kann das wissen.«

»Valentin Gjertsen«, sagte Mikael Bellman. »Sind wir uns da ganz sicher, Bratt? Wenn dem wirklich so ist, brauche ich zwei Minuten, um nachzudenken. Ja, ich verstehe, dass es eilt.«

Bellman unterbrach die Verbindung und legte das Handy auf den ClassiCon-Tisch. Isabelle hatte ihm gerade erzählt, dass der Tisch aus mundgeblasenem Glas sei, fünfzigtausend Kronen teuer. Und dass sie die neue Wohnung lieber mit ein paar wenigen Qualitätsmöbeln einrichten wollte als mit einem Haufen Schrott. Von seinem Platz aus sah Mikael einen künstlichen Badestrand und ein paar Fähren, die durch den Oslofjord pflügten. Scharfe Windböen peitschten das violette Wasser auf, so dass es etwas weiter draußen fast weiß wirkte.

»Und?«, fragte Isabelle aus dem Bett hinter ihm.

»Die leitende Ermittlerin fragt sich, ob sie heute Abend zum Sonntagsmagazin gehen soll. Es geht natürlich um die Vampiristenmorde. Wir wissen jetzt, wer der Täter ist, aber nicht, wo er sich aufhält.«

»Ist doch ganz einfach«, sagte Isabelle Skøyen. »Wäre der Typ schon geschnappt worden, müsstest du natürlich selbst dort auftreten. Bei einem Teilerfolg ist es richtig, eine Vertretung zu schicken. Erinnere sie daran, dass sie ›wir‹ und nicht ›ich‹ sagt und dass sie ruhig andeuten soll, dass der Täter sich möglicherweise auch über die Grenze abgesetzt haben könnte.«

»Die Grenze? Warum das denn?«

Isabelle Skøyen seufzte. »Stell dich nicht dümmer, als du bist, Liebling, das nervt.«

Bellman stand auf und trat an die Verandatür. Er sah nach unten auf die Menschen, die wie jeden Sonntag in Richtung Tjuvholmen strömten, um das Astrup-Fearnley-Museum für Neue Kunst zu besuchen oder um die hypermoderne Architektur zu bewundern und viel zu teuren Cappuccino zu trinken. Oder um von einer der wahnwitzig teuren Wohnungen zu träumen, die noch nicht verkauft waren. Er hatte gehört, dass im Museum ein Mercedes ausgestellt wurde, der anstelle des Mercedessterns einen soliden braunen Scheißhaufen auf der Motorhaube hatte. Okay, für manche war fester Stuhlgang eben ein Statussymbol. Andere brauchten die teuersten Wohnungen, das neueste Auto oder die größte Yacht, um sich gut zu fühlen. Und dann gab es solche – wie Isabelle und ihn selbst –, die alles haben wollten: Macht ohne zermürbende Verpflichtungen, Ansehen und Respekt mit ausreichender Anonymität, um sich frei bewegen zu können, eine Familie, die ihnen einen sicheren Rahmen bot und die Gene weitergab, freien Zugang zu Sex außerhalb der eigenen vier Wände, Auto und festen Stuhlgang.