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»Also«, sagte Mikael Bellman. »Du denkst, dass die Öffentlichkeit ihn im Ausland vermuten wird, sollte Valentin Gjertsen jetzt eine Pause einlegen? Und nicht meint, dass wir nicht fähig sind, ihn zu fassen? Sollte uns das doch gelingen, sind wir gut, und geschieht ein weiterer Mord, ist ohnehin alles vergessen, was vorher gesagt wurde.« Er drehte sich zu ihr um.

Warum sie das große Doppelbett ins Wohnzimmer gestellt hatte, obwohl das Schlafzimmer ebenso groß war, verstand er nicht. Insbesondere, da die Nachbarn reinsehen konnten. Aber vielleicht war ja gerade das der Grund. Isabelle Skøyen war eine große Frau, ihre langen, kräftigen Beine und ihre üppigen Formen malten sich unter dem schweren goldenen Seidenlaken ab. Allein das machte ihn wieder scharf.

»Du sagst nur ein Wort, bringst damit aber die Idee vom Ausland in die Köpfe der Menschen«, sagte sie. »In der Psychologie nennt man das Verankerung. Simpel, aber effektiv. Weil die Menschen simpel sind.« Sie musterte ihn langsam von Kopf bis Fuß und lächelte breit. »Besonders Männer.«

Dann zog sie das Seidenlaken mit einem kräftigen Ruck auf den Boden.

Er sah sie an und dachte wieder daran, dass ihn der Anblick dieses Körpers unglaublich anmachte, viel mehr als die eigent­liche Berührung, während es bei seiner Frau genau umgekehrt war. Dabei war Ullas Körper objektiv betrachtet schöner als Isabelles. Aber Isabelles gewaltige, fast wütende Begierde erregte ihn mehr als Ullas Zärtlichkeit und ihre stillen, in Tränen erstickten Orgasmen.

»Hol dir einen runter!«, kommandierte sie, zog die Knie an, so dass sie wie die Flügel eines Raubvogels nach oben zeigten, und legte zwei Finger auf ihr Geschlecht.

Er tat, was sie wollte. Schloss die Augen. Und hörte es auf dem Glastisch vibrieren. Verdammt, er hatte Katrine Bratt vergessen. Er griff zum Telefon und nahm das Gespräch an.

»Ja?«

Die Frauenstimme am anderen Ende sagte etwas, aber Mikael verstand sie nicht, weil im gleichen Moment das Horn einer Fähre aufheulte.

»Die Antwort lautet ja«, rief er ungeduldig. »Geh zum Sonntagsmagazin, ich bin im Augenblick beschäftigt, aber ich rufe dich später noch mal an, um dir ein paar Anweisungen zu geben, okay?«

»Ich bin’s.«

Mikael Bellman erstarrte. »Schatz, du? Ich dachte, das wäre Katrine Bratt.«

»Wo bist du?«

»Wo? Im Büro natürlich.«

In der viel zu langen Pause, die folgte, wurde ihm bewusst, dass auch sie das Signalhorn der Fähre gehört haben musste und genau deshalb gefragt hatte. Er atmete schwer durch den Mund und starrte auf seine schlaffer werdende Erektion.

»Das Essen wird nicht vor halb sechs fertig sein«, sagte sie.

»Okay«, antwortete er. »Was …?«

»Rindersteak«, erwiderte sie und legte auf.

Harry und Anders Wyller stiegen vor dem Jøssingveien 33 aus dem Auto. Harry zündete sich eine Zigarette an und betrachtete den roten Ziegelbau hinter der hohen Mauer. Sie waren bei Sonnenschein und prächtigen Herbstfarben am Präsidium losgefahren, aber auf dem Weg hier hinauf waren Wolken aufgezogen, die sich zu einer zementfarbenen Decke geformt und der Landschaft sämtliche Farben entzogen hatten.

»Das ist Ila?«, fragte Wyller.

Harry nickte und sog fest an seiner Zigarette.

»Warum hat dieser Typ eigentlich den Beinamen der Verlobte?«

»Weil er seine Vergewaltigungsopfer geschwängert und ihnen dann unter Drohungen das Versprechen abgenommen hat, die Kinder auszutragen.«

»Und wenn nicht?«

»Dann wollte er zurückkommen und den Kaiserschnitt persönlich durchführen.«

Harry inhalierte ein letztes Mal, drückte die Glut auf der Packung aus und steckte die Zigarette zurück. »Bringen wir es hinter uns.«

»Gemäß den Vorschriften dürfen wir ihn nicht anketten, wir beobachten ihn aber die ganze Zeit über die Überwachungskameras«, sagte der Gefängniswärter, der sie am Eingang abgeholt und durch den langen Korridor mit den beidseitigen grauen Stahltüren geführt hatte. »Wir haben es uns zur Regel gemacht, ihm nicht näher als maximal einen Meter zu kommen.«

»Oh«, sagte Wyller. »Wird er gewalttätig?«

»Nein«, sagte der Wärter und steckte den Schlüssel in das Schloss der letzten Tür. »Svein Finne hat in den zwanzig Jahren, die er jetzt hier einsitzt, nicht einen Vermerk bekommen.«

»Aber?«

Der Gefängniswärter zuckte mit den Schultern und drehte den Schlüssel herum. »Ich denke, Sie verstehen das gleich.«

Er öffnete die Tür, ging einen Schritt zur Seite, und Wyller und Harry betraten die Zelle.

Der Mann auf dem Bett saß im Schatten.

»Finne«, sagte Harry.

»Hole.« Die Stimme klang, als mahlte sie Steine.

Harry zeigte auf den einzigen Stuhl, der im Raum stand. »Darf ich mich setzen?«

»Wenn du glaubst, Zeit dafür zu haben? Mir ist zu Ohren gekommen, dass du gut zu tun hast.«

Harry setzte sich, während Wyller vor der Tür stehen blieb.

»Hm. Ist er es?«

»Wer?«

»Du weißt schon, wen ich meine.«

»Ich antworte dir darauf, wenn du mir eine ehrliche Antwort auf meine Frage gibst. Hast du es vermisst?«

»Was vermisst, Finne?«

»Einen Spielkameraden auf Augenhöhe zu haben. Wie damals bei mir?«

Der Mann im Schatten beugte sich vor, so dass sein Kopf von dem Licht beleuchtet wurde, das durch das vergitterte Fenster hoch oben an der Wand fiel. Harry hörte, wie Wyllers Atem sich beschleunigte. Das Gitter warf Schattenstreifen auf das pockennarbige Gesicht mit der ledrigen rotbraunen Haut, in das sich tiefe, messerscharfe Falten schnitten, die bis auf die Knochen zu reichen schienen. Der Mann trug ein rotes Tuch um den Hals, wie ein Indianer, und ein Bart rahmte seine dicken, feuchten Lippen ein. Das Weiß der Augen, das eine braune Iris mit kleiner ­Pupille umgab, wirkte irgendwie vergilbt, sein Körper war aber noch immer schlank und muskulös wie bei einem Zwanzigjährigen. Harry rechnete nach. Svein »Verlobter« Finne musste inzwischen fünfundsiebzig sein.

»Seinen Ersten vergisst man nie, nicht wahr, Hole? Mein Name wird auf deiner Liste immer ganz oben stehen. Ich habe dir die Unschuld genommen, oder?« Sein Lachen klang, als würde er mit Kies gurgeln.

»Nun«, sagte Harry und faltete die Hände. »Wenn Ehrlichkeit meinerseits damit belohnt wird, dass du es auch bist, sage ich dir gerne, dass ich es nicht vermisst habe. Und dass ich dich nie vergessen werde, Svein Finne. Oder eine derjenigen, die du misshandelt und ermordet hast. Ihr alle sucht mich regelmäßig in der Nacht heim.«

»Bei mir ist es ebenso. Meine Verlobten sind mir treu.« Finnes fleischige Lippen öffneten sich, als er grinste und sich gleichzeitig die rechte Hand vor das rechte Auge legte. Harry hörte, dass Wyller einen Schritt zurücktrat und gegen die Tür stieß. Finnes Auge starrte Wyller durch ein golfballgroßes Loch im Hand­rücken an.

»Hab keine Angst, mein Junge«, sagte Finne. »Wenn du vor ­jemandem Angst haben solltest, dann vor deinem Chef hier. Er war damals so jung, wie du es jetzt bist, und ich lag bereits auf dem Boden und konnte mich nicht mehr wehren. Trotzdem hat er seine Pistole auf meinen Handrücken gesetzt und abgedrückt. Dein Chef hat ein schwarzes Herz, Junge, vergiss das nie. Und jetzt hat er wieder Durst. Genau wie der andere dort draußen. Und dieser Durst ist wie ein Brand, deshalb heißt es ja auch Durst löschen. Solange er nicht gelöscht wird, wird er alles vernichten, was mit ihm in Kontakt kommt. Nicht wahr, Hole?«