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Für einen Moment machte es den Anschein, als hätten sowohl das Publikum als auch der Moderator das ernste Thema vergessen. Bis Smith sie in die Wirklichkeit zurückholte:

»Aber ich weiß nicht, wie man Vampiristen fängt.«

Stille.

»Es gibt jedenfalls kein allgemeingültiges Rezept. Vampiristen sind selten, und noch seltener treten sie in Erscheinung. Lassen Sie mich erst einmal sagen, dass wir zwischen zwei Typen von Vampiristen unterscheiden müssen. Die eine Gruppe ist ziemlich ungefährlich, es handelt sich dabei um Personen, die sich von dem Mythos der Unsterblichkeit angezogen fühlen, den blutsaugenden Halbgöttern, auf die die modernen Vampirgeschichten über Dracula zurückgehen. Diese Form des Vampirismus hat klare erotische Untertöne und wurde sogar von unserem geschätzten Freud kommentiert. Diese Vampiristen nehmen aber nur selten Leben. Dann gibt es Menschen, die an klinischem Vampirismus leiden, auch als Renfield-Syndrom bekannt, und die davon besessen sind, Blut zu trinken. Die meisten Artikel dar­über finden sich in rechtspsychiatrischen Publikationen, weil es sich in der Regel um äußert brutale Verbrechen handelt. Von der etablierten Psychologie ist Vampirismus nie als Phänomen anerkannt worden, sondern wird als Sensationshascherei abgetan. Als etwas, mit dem sich nur Scharlatane beschäftigen. Man findet den Begriff nicht einmal in den Nachschlagewerken der Psychiatrie. Wir, die wir den Vampirismus erforschen, werden beschuldigt, einen Menschentyp zu erfinden, den es gar nicht gibt. In den letzten drei Tagen habe ich mir gewünscht, dass diese Behauptung stimmt. Aber dem ist leider nicht so. Es gibt zwar keine Vampire, wohl aber Vampiristen.«

»Wie wird ein Mensch zu einem Vampiristen?«

»Auch darauf gibt es keine allgemeingültige Antwort, der klassische Fall ist ein Schlüsselerlebnis in der Kindheit. Der Betreffende erlebt eine Situation, in der er selbst oder ein anderer stark blutet. Oder Blut trinkt. Und dies speichert er dann als spannungsgeladen ab. Der bekannte Vampirist und Serienmörder John George Haigh wurde zum Beispiel von seiner streng religiösen Mutter bestraft, indem sie ihn mit einer Haarbürste geschlagen hat. Er hat sich anschließend immer das Blut von der Haut geleckt. Später, in der Pubertät, wird das Blut typischerweise eine Quelle sexueller Erregung. Im Anfangsstadium experimentieren Vampiristen häufig noch mit Blut. Zuerst handelt es sich meistens um Autovampirismus, die Betreffenden verletzen sich selbst und trinken ihr eigenes Blut. Dann töten sie vielleicht eine Maus, eine Ratte oder eine Katze und trinken deren Blut. Irgendwann gehen sie dann einen Schritt weiter und trinken das Blut eines anderen Menschen. Es ist dabei die Regel, dass sie den Menschen, dessen Blut sie getrunken haben, anschließend umbringen. Damit sind sie dann im wahrsten Sinne des Wortes, entschuldigen Sie den Ausdruck, Vollblutvampiristen.«

»Und Vergewaltigung? Wie passt die ins Bild? Wir wissen ja, dass Elise Hermansen vergewaltigt wurde.«

»Ja. Auch wenn das Sexuelle nie ganz verschwindet, ist für ­einen erwachsenen Vampiristen doch das Erlebnis von Macht und Kontrolle wichtiger. John George Haigh zum Beispiel war nicht sonderlich interessiert an Sex. Er hat angegeben, nur an dem Blut seiner Opfer interessiert gewesen zu sein, das er übrigens aus einem Glas getrunken hat. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass für den Vampiristen hier in Oslo auch das Blut im Vordergrund steht und nicht der sexuelle Übergriff.«

»Hauptkommissarin Bratt? Sind Sie derselben Meinung? Glauben Sie auch, dass für unseren Vampiristen das Blut wichtiger ist als der Sex?«

»Das kann und will ich nicht kommentieren.«

Katrine sah, dass der Moderator eine Entscheidung traf und sich wieder Smith zuwandte. Dort war wohl mehr zu holen.

»Herr Smith, halten sich Vampiristen für Vampire? Glauben sie, mit anderen Worten, dass sie unsterblich sind, solange sie das Sonnenlicht meiden? Dass sie andere zu Vampiren machen können und so weiter?«

»Nicht der klinische Vampirist mit Renfield-Syndrom. So gesehen ist es ein schlechter Witz, dass das Syndrom nach Renfield benannt ist, der ja Graf Draculas Diener in Bram Stokers Roman war. Es sollte Noll-Syndrom heißen. Nach dem Psychiater, der es zuerst beschrieben hat. Andererseits hat auch Noll den Vampirismus nicht ernst genommen, der Artikel, den er über das Syndrom geschrieben hat, war eher parodistisch gemeint.«

»Ist es denkbar, dass die Person diese Krankheit nicht in sich trägt, sondern eine Droge genommen hat, durch die sie derartige Lust auf Blut bekommt? Ähnlich wie bei MDPV, auch bekannt als Badesalz, das extrem gewalttätig machen kann? In Miami und New York sollen 2012 Täter sogar Teile ihrer Opfer verspeist haben.«

»Nein. Wenn Konsumenten von MDPV sich kannibalistisch verhalten, liegt eine Psychose vor, sie sind außerstande, rational zu denken oder ihr Handeln zu kontrollieren. Die Polizei hat all diese Leute ja auf frischer Tat ertappt, und keiner der Täter hat versucht, sich zu verstecken. Es gibt auch unter den Vampiristen solche, die derart von ihrem Blutdurst angetrieben werden, dass sie nicht in erster Linie daran denken, wie sie nach einer Tat ungesehen verschwinden können. In unserem Fall ist die Planung der Taten aber so perfekt, dass sie oder er nicht einmal Spuren hinterlässt. Das behauptet auf jeden Fall die Zeitung VG

»Sie?«

»Ich … äh, wollte nur politisch korrekt sein. Ein Vampirist ist in der Regel ein Mann, auf jeden Fall, wenn seine Taten wie bei uns mit gewalttätigen Übergriffen gepaart sind. Weibliche Vampiristen begnügen sich in der Regel mit Autovampirismus. Oder sie suchen Gleichgesinnte, mit denen sie Blut tauschen können, oder sie holen es sich von Schlachthöfen oder Blutbanken. Ich hatte in Litauen einmal eine Patientin, die die Kanarienvögel ihrer Mutter bei lebendigem Leibe verspeist hat …«

Katrine hörte ein Raunen durch das Publikum gehen. Jemand lachte kurz, verstummte dann aber gleich wieder.

»Meine Kollegen und ich gingen erst von einem Fall von Species Identity Disorder aus, das heißt, dass ein Patient meint, nicht in der Spezies geboren zu sein, zu der er eigentlich gehört, in diesem Fall eine Katze. Bis uns dann irgendwann klarwurde, dass wir es tatsächlich mit einem Fall von Vampirismus zu tun hatten. Leider war Psychology Today nicht dieser Meinung. Wenn Sie mehr über diesen Fall erfahren wollen, müssen Sie einen Blick auf meine Website werfen. Hallstein.Psykolog.com.«

»Hauptkommissarin Bratt, können wir festhalten, dass es sich um einen Serienmörder handelt?«

Katrine dachte zwei Sekunden nach, ehe sie antwortete: »Nein.«

»Aber die VG schreibt, dass Harry Hole, ein Spezialist für Se­rienmorde, die Ermittlungen unterstützt. Bedeutet das nicht …?«

»Es kommt durchaus vor, dass wir uns mit Feuerwehrleuten beraten – auch wenn es nicht brennt.«

Der Einzige, der lachte, war Smith. »Gute Antwort! Psychiater und Psychologen würden verhungern, wenn sie nur Patienten hätten, die wirklich krank sind.«

Er erntete Lacher, und der Moderator lächelte Smith dankbar zu. Katrine ahnte bereits, dass Smith bessere Karten hatte, wieder eingeladen zu werden.

»Serienmörder oder nicht – was glauben Sie beide, wird der Vampirist wieder zuschlagen? Und wird er warten, bis wieder Vollmond ist?«

»Ich möchte darüber keine Spekulationen anstellen«, sagte Katrine und sah einen Anflug von Verärgerung im Blick des Moderators. Verdammt, erwartete er wirklich von ihr, dass sie die Regenbogenpresse mit neuem Material versorgte?

»Ich will auch nicht darüber spekulieren«, sagte Hallstein Smith. »Das ist auch gar nicht nötig, weil ich es weiß. Jemand, der unter Paraphilie leidet – also einer Störung der Sexualpräferenz – und nicht behandelt wird, hört nur sehr selten auf eigenen Antrieb hin auf. Und ein Vampirist nie. Ich glaube im Übrigen, dass die Tatsache, dass wir beim letzten Mordversuch Vollmond hatten, ein reiner Zufall war. Die Medien haben sich vermutlich mehr darüber gefreut als der Vampirist.«