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Er zuckte zusammen, ein Räuspern im Nebel verriet ihm, dass er nicht mehr allein war.

»Kapatiyoruz.«

»Yes«, antwortete Valentin Gjertsen mit belegter Stimme und schluckte die Tränen hinunter. Sie schlossen.

Vorsichtig berührte er sein Geschlecht. Er wusste ganz genau, wo sie war und wie er mit ihr spielen wollte. Er war bereit. Valentin sog die feuchte Luft in seine Lungen. Und dabei hielt Harry Hole sich für den Jäger.

Valentin Gjertsen stand mit einem Ruck auf und ging zur Tür.

Kapitel 16

Sonntagnacht

Aurora stand vom Bett auf und schlich sich auf den Flur. Sie lief am Schlafzimmer von Mama und Papa und an der Treppe vorbei, die nach unten ins Wohnzimmer führte. Wieder konnte sie es nicht lassen, der dunklen, raunenden Stille dort unten zu lauschen, ehe sie ins Bad schlüpfte und das Licht einschaltete. Sie schloss die Tür, zog sich den Slip herunter und setzte sich auf die Toilette. Wartete, doch es geschah nichts. Sie hatte so dringend Wasser lassen müssen, dass sie nicht schlafen konnte, aber ­warum kam dann jetzt nichts? Hatte sie sich nur eingeredet, aufs Klo zu müssen, um einen Grund dafür zu haben, wach zu sein? Und hier im sicheren Licht zu sein? Sie hatte die Tür abgeschlossen. Als sie noch klein war, hatten ihre Eltern immer gesagt, dass sie das nicht tun sollte, außer sie hatten Gäste. Damit sie ihr helfen konnten, sollte irgendetwas sein.

Aurora schloss die Augen. Lauschte. Waren Gäste im Haus? Sie war von einem Geräusch aufgewacht, das wusste sie jetzt wieder. Dem Knirschen von Schuhen. Stiefeln. Langen, spitzen Stiefeln, deren Leder knirschte, als er sich näherte, bis er stehen blieb. Vor der Badezimmertür wartete. Auf sie. Aurora hatte das Gefühl, dass sie keine Luft bekam, ihr Blick ging automatisch nach unten zur Tür. Aber die Schwelle versperrte den Blick auf einen möglichen Schatten. Außerdem war es da draußen ja auch stockfinster. Bei ihrer ersten Begegnung hatte sie im Garten auf der Schaukel gesessen. Er hatte sie um ein Glas Wasser gebeten und wäre beinahe mit ins Haus gegangen, war dann aber verschwunden, als er das Auto von Mama und Papa kommen hörte. Das zweite Mal war auf dem Mädchenklo der Sporthalle bei ­einem Handballturnier gewesen.

Aurora lauschte. Sie wusste, dass er da war. Im Dunkeln auf der anderen Seite der Tür. Er hatte ja gesagt, dass er zurück­kommen würde. Wenn sie etwas sagte. Weshalb sie nichts mehr sagte. Das war sicherer so. Sie wusste jetzt auch, warum sie nicht pinkeln konnte. Dann wüsste er ja, wo sie ist.

Sie schloss die Augen und konzentrierte sich ganz auf die Geräusche. Aber da war nichts. Sie atmete auf. Er war weg.

Aurora zog den Slip wieder hoch, schloss die Tür auf und schlüpfte nach draußen. Sie lief an der Treppe vorbei bis zum Schlafzimmer ihrer Eltern. Öffnete vorsichtig die Tür und warf einen Blick hinein. Ein Streifen Mondlicht fiel durch den Spalt zwischen den Vorhängen auf Papas Gesicht. Sie konnte nicht ­sehen, ob er atmete. Sein Gesicht war so weiß wie das ihrer Großmutter im Sarg. Aurora schlich sich näher ans Bett heran. Mamas Atem klang wie der blaue Blasebalg, mit dem Aurora immer die Luftmatratze in der Hütte aufblies. Sie ging bis an den Bettrand und hielt ihr Ohr so dicht, wie sie sich traute, vor den Mund ihres Vaters. Ihr Herz machte einen Freudensprung, als sie seinen warmen Atem auf der Haut spürte.

Als sie wieder im Bett lag, kam es ihr so vor, als wäre das alles nicht passiert. Als wäre es nur ein Alptraum gewesen, der vorbei war, wenn sie die Augen schloss und weiterschlief.

Rakel öffnete die Augen.

Sie hatte einen Alptraum gehabt. Aber nicht davon war sie aufgewacht. Jemand war unten zur Tür hereingekommen. Sie warf einen Blick neben sich. Harry war nicht da. Dann war er es wohl. Sie hörte seine Schritte auf der Treppe und lauschte automatisch auf das Vertraute, aber die Schritte klangen irgendwie anders. Es war auch nicht Oleg, sollte der mal wieder nach Hause gekommen sein.

Sie starrte auf die geschlossene Schlafzimmertür.

Die Schritte näherten sich.

Die Tür ging auf.

Eine große, dunkle Silhouette stand in der Türöffnung.

Mit einem Mal erinnerte Rakel sich, was sie geträumt hatte. Es war Vollmond gewesen, und er hatte sich selbst an das Bett gekettet, unter sich die zerfetzten Laken. Sich vor Schmerzen windend, hatte er an seinen Fesseln gezerrt, in den Nachthimmel geheult und schließlich sich selbst die Haut vom Leib gerissen. Darunter war sein anderes Ich zum Vorschein gekommen. Ein Werwolf mit Klauen und Reißzähnen, einem eisblauen, wahnsinnigen Blick, aus dem die Lust zu morden sprach.

»Harry?«, flüsterte sie.

»Habe ich dich geweckt?« Seine tiefe, ruhige Stimme klang wie immer.

»Ich habe von dir geträumt.«

Ohne das Licht anzumachen, trat er in das Zimmer, öffnete den Gürtel und zog sich das T-Shirt über den Kopf. »Von mir? Vergeudete Traumzeit, ich gehöre dir ja schon.«

»Wo bist du gewesen?«

»In einer Kneipe.«

Der ungewohnte Rhythmus seiner Schritte. »Hast du getrunken?«

Er schob sich neben sie ins Bett. »Ja, ich habe getrunken, und du bist früh ins Bett gegangen.«

Sie hielt die Luft an. »Was hast du getrunken, Harry? Und wie viel?«

»Zwei Tassen. Türkischen Kaffee.«

»Harry!« Sie schlug ihn mit dem Kissen.

»Tut mir leid!«, sagte er lachend. »Wusstest du, dass türkischer Kaffee nicht kochen darf? Und dass Istanbul drei große Fußballclubs hat, die sich seit hundert Jahren spinnefeind sind? Warum, haben sie vergessen. Außer dass es natürlich menschlich ist, jemanden zu hassen, der einen hasst.«

Sie drückte sich an ihn und legte den Arm um seine Brust. »All das ist ganz neu für mich, Harry.«

»Ich weiß ja, dass du es schätzt, wenn man dir immer wieder ein neues Stückchen Welt erklärt.«

»Ich weiß nicht, wie ich ohne dich klarkommen würde.«

»Du hast nicht gesagt, warum du so früh ins Bett gegangen bist.«

»Du hast nicht gefragt, du hast das bloß festgestellt.«

»Dann frage ich jetzt.«

»Ich war müde. Außerdem habe ich morgen vor der Arbeit noch einen Termin in Ullevål.«

»Davon hast du mir nichts gesagt.«

»Nein, den Termin habe ich auch erst heute bekommen. Doktor Steffens selbst hat angerufen.«

»Sicher, dass das ein Termin ist und nicht bloß ein Vorwand?«

Rakel lachte leise, drehte ihm den Rücken zu und schob sich dicht an ihn. »Sicher, dass du nicht den Eifersüchtigen spielst, nur um mir eine Freude zu machen?«

Er biss ihr vorsichtig in den Nacken. Rakel schloss die Augen und hoffte, dass die Kopfschmerzen der Lust Platz machen würden, der süßen, alle Schmerzen betäubenden Lust. Aber dem war nicht so. Und vielleicht spürte Harry das, auf jeden Fall blieb er ganz still liegen und hielt sie nur in seinen Armen. Sein Atem ging tief und gleichmäßig, trotzdem wusste sie, dass er nicht schlief. Er war ganz woanders. Er war bei seiner Geliebten.

Mona Daa war auf dem Laufband. Aufgrund ihres Hüftschadens startete sie das Lauftraining immer erst, wenn sie sich sicher war, allein zu sein. Dabei liebte sie es, nach dem harten Training noch ein paar Kilometer zu joggen und zu spüren, wie die Milchsäure sich in der Muskulatur abbaute, während sie über den im Dunkeln liegenden Frognerpark schaute. The Rubinoos, eine 70er-Jahre-Power-Pop-Band, die ein Lied zu ihrem früheren Lieblingsfilm Die Rache der Eierköpfe beigesteuert hatte, säuselte ihr bittersüß durch die Kopfhörer ins Ohr, bis ein Anruf hereinkam.

Sie spürte, dass sie unbewusst darauf gewartet hatte.

Dabei wünschte sie sich nicht, dass er wieder zuschlug. Sie wünschte sich gar nichts. Sie vermittelte nur, was passierte, redete sie sich immer wieder ein.