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Harry ließ den Knopf los, die Türen öffneten sich, und Hallstein Smith schlüpfte nach draußen.

Harry blieb stehen, bis die Türen sich wieder zu schließen begannen. Er schob einen Fuß in den Spalt und folgte Smith über die Treppe nach unten in den Kulverten, als sein Handy in der Hosentasche zu vibrieren begann.

Er nahm das Gespräch an.

»Hallo, Harry.« Isabelle Skøyens maskuline, aber sinnlich gurrende Stimme war unverkennbar. »Wie ich höre, sitzt du wieder im Sattel.«

»Da bin ich mir noch nicht so sicher.«

»Wir sind doch schon mal zusammen geritten, Harry. Das war nett und hätte noch viel netter werden können.«

»Ich denke, es war so nett wie eben gerade möglich.«

»Egal, Schwamm drüber, Harry. Ich rufe an, weil ich dich um einen Gefallen bitten möchte. Unser PR-Büro arbeitet auch ein bisschen für Mikael, und du hast ja vielleicht gesehen, dass das Dagbladet in seiner Onlineausabe gerade einen Artikel publiziert hat, der Mikael ziemlich hart trifft.«

»Nein.«

»Sie schreiben darin, Zitat: ›Die Stadt bezahlt nun den Preis dafür, dass die Osloer Polizei unter Mikael Bellman ihren Job nicht anständig gemacht und Leute wie Valentin Gjertsen nicht hinter Gitter gebracht hat. Es ist ein Skandal und Armutszeugnis, dass Gjertsen über drei Jahre hinweg mit der Polizei Katz und Maus spielen konnte. Und jetzt, da er keine Lust mehr hat, die Maus zu sein, setzt er sein Spiel als Katze fort.‹ Was sagst du dazu?«

»Hätte besser geschrieben sein können.«

»Wir hätten nun gern, dass jemand vor die Presse tritt und erklärt, wie ungerecht diese Kritik an Mikael ist. Jemand, der an die hohe Aufklärungsrate bei schweren Gewalttaten erinnert, die unter Bellman erreicht werden konnte. Jemand, der selbst Mordfälle gelöst hat und als integer empfunden wird. Und da du inzwischen ja Dozent an der Hochschule bist, kann dir auch niemand vorwerfen, befangen zu sein. Du wärst genau der Richtige, Harry. Was sagst du?«

»Natürlich helfe ich Ihnen und Bellman gern.«

»Du machst das? Wunderbar.«

»Auf die Art, die ich am besten kann. Indem ich Valentin Gjertsen finde. Womit ich zurzeit auch alle Hände voll zu tun habe. Wenn Sie mich also entschuldigen würden, Skøyen?«

»Ich weiß, dass du hart arbeitest, Harry, aber es kann dauern, bis du ihn hast.«

»Und warum eilt es so, Mikael Bellmans Ruf aufzupolieren? Sparen wir uns die Zeit. Ich werde niemals vor ein Mikro treten und etwas sagen, was mir eine PR-Agentur diktiert hat. Wenn wir jetzt auflegen, können wir sagen, dass wir ein zivilisiertes Telefonat geführt haben und ich Sie am Ende nicht zum Teufel jagen musste.«

Isabelle Skøyen lachte laut. »Du hältst dich gut, Harry. Noch immer verlobt mit dieser hübschen schwarzhaarigen Juristin?«

»Nein.«

»Nicht? Dann sollten wir vielleicht mal wieder was zusammen trinken gehen.«

»Rakel und ich sind nicht verlobt, sondern verheiratet.«

»Aha. Sieh an. Aber ist das ein Hindernis?«

»Für mich schon. Für Sie vielleicht nur eine Herausforderung.«

»Verheiratete Männer sind die Besten. Die machen keinen Ärger. Nie.«

»Wie Bellman?«

»Mikael ist wirklich unglaublich süß. Und er hat den besten Mund der ganzen Stadt. Aber das Gespräch beginnt mich zu langweilen, Harry. Ich lege jetzt auf. Du hast meine Nummer.«

»Nein, habe ich nicht. Tschüss.«

»Okay, aber wenn du nicht das Hohelied auf Mikael singen willst, kann ich ihn ja vielleicht von dir grüßen und ihm sagen, dass du dich freust, diesen armseligen Perversen endlich hinter Schloss und Riegel zu bringen?«

»Sagen Sie, was Sie wollen. Einen schönen Tag noch.«

Die Verbindung war weg. Rakel. Er hatte vergessen, dass sie angerufen hatte. Er suchte ihre Nummer heraus, während er nur zum Spaß nachfühlte, ob Isabelle Skøyens Anmache in irgend­einer Weise auf ihn gewirkt hatte. Hatte sie ihn geil gemacht? Nein. Doch. Ein bisschen vielleicht. Aber hatte das etwas zu sagen? Nein. Und wenn, dann so wenig, dass er sich keine Gedanken darüber zu machen brauchte, ob er ein Schwein war. Was nicht hieß, dass er kein Schwein war. Dieses Kitzeln, dieser unwillkürliche, bruchstückhafte Gedanke an eine Situation, der durch seinen Kopf gehuscht war – ihre langen Beine mit den breiten Hüften –, reichte aber nicht, um ihn anzuklagen. Wirklich nicht. Er hatte sie abgewiesen. Auch wenn er wusste, dass seine Ablehnung Isabelle Skøyen nur anspornen würde, ihn wieder anzurufen.

»Rakel Faukes Telefon. Sie sprechen mit Doktor Steffens.«

Harry spürte ein Kribbeln im Nacken. »Hier ist Harry Hole. Ist Rakel da?«

»Nein, Hole, das ist sie nicht.«

Harry spürte, wie sich sein Hals zuzog und die Panik kam. Er konzentrierte sich auf seinen Atem.

»Wo ist sie?«

In der langen Pause, die folgte und für die es sicher einen Grund gab, gingen Harry Unmengen von Gedanken durch den Kopf. Und von all den Schlussfolgerungen, die sein Hirn ganz automatisch zog, blieb eine in seinem Kopf hängen. Das war das Ende, und der einzige Wunsch, den er wirklich gehabt hatte, dass die Tage heute und morgen eine Kopie des gestrigen waren, würde nicht in Erfüllung gehen.

»Sie liegt im Koma.«

Aus Verwirrung oder reiner, blanker Verzweiflung versuchte sein Hirn ihm zu sagen, dass Koma irgendein medizinisches Untersuchungsgerät war.

»Aber sie hat versucht, mich anzurufen. Vor weniger als einer Stunde.«

»Ja«, sagte Steffens. »Und Sie sind nicht drangegangen.«

Kapitel 18

Montagmorgen

Sinnlos.

Harry saß auf einem harten Stuhl und versuchte sich auf das zu konzentrieren, was der Mann in dem weißen Kittel hinter dem Schreibtisch sagte. Aber die Worte ergaben ebenso wenig Sinn wie das Vogelgezwitscher, das durch das geöffnete Fenster hereinschallte. Sie waren ebenso sinnlos wie der blaue Himmel oder die Tatsache, dass die Sonne sich entschieden hatte, an diesem Tag besonders warm zu scheinen. Wärmer als in den letzten Wochen. Sinnlos wie die Schautafeln mit den grauen Organen und der signalroten Darstellung des Blutkreislaufs oder das Kreuz mit dem blutenden Jesus, das an der Wand hing.

Rakel.

Nur sie hatte in seinem Leben wirklich Bedeutung.

Keine Wissenschaft, keine Religion, keine Gerechtigkeit, keine bessere Welt, kein Genuss, kein Rausch, nicht die Abwesenheit von Schmerzen oder gar Glück. Nur diese fünf Buchstaben. R-a-k-e-l. Wenn es sie nicht gäbe, wäre da keine andere, dann wäre da gar nichts.

Und gar nichts wäre besser als das jetzt.

Wo nichts ist, kann nichts genommen werden.

Irgendwann durchbrach Harry den Schwall der Worte. »Was heißt das?«

»Das heißt«, sagte Oberarzt Dr. Steffens, »dass wir es nicht wissen. Wir wissen, dass ihre Nieren nicht so funktionieren, wie sie sollten. Als Ursache dafür kommt eine Reihe unterschiedlicher Dinge in Frage, die naheliegendsten Gründe haben wir bereits ausschließen können.«

»Und was glauben Sie?«

»Ein Syndrom«, sagte Steffens. »Das Problem ist nur, dass es Tausende davon gibt, eines obskurer als das andere.«

»Und das heißt?«

»Dass wir weitersuchen müssen. Bis dahin haben wir sie in ein künstliches Koma versetzt, weil sie Atemprobleme hatte.«

»Wie lange …?«

»Bis auf weiteres. Wir müssen nicht nur herausfinden, was Ihrer Frau fehlt, sondern auch, wie wir sie behandeln können. Erst wenn wir sicher sind, dass sie wieder aus eigener Kraft atmen kann, können wir sie aus dem Koma holen.«

»Wird sie … wird sie …?«

»Ja?«

»Kann sie sterben, während sie im Koma liegt?«

»Das wissen wir nicht.«

»Doch, das wissen Sie.«

Steffens legte die Fingerkuppen aneinander. Wartete, um das Tempo des Gesprächs zu verlangsamen.