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»Dann bleibt aber nur der Fisch«, sagte der Kellner.

»Genau«, erwiderte Mona, gab ihm die Speisekarte zurück und ließ ihren Blick über die anderen Mittagsgäste in dem gerade erst eröffneten, aber schon gutbesuchten Restaurant schweifen. Sie hatten mit Glück noch den letzten Zweiertisch bekommen.

»Nur Fisch?«, fragte Nora, die einen Caesarsalat ohne Dressing bestellt hatte, wobei Mona ganz genau wusste, dass die Freundin am Ende kapitulieren und sich zum Kaffee einen Nachtisch bestellen würde.

»Ich muss definieren«, sagte Mona.

»Definieren?«

»Ich muss das Unterhautfett wegkriegen, damit die Muskeln sichtbarer werden. In drei Wochen sind die nationalen Meisterschaften.«

»Bodybuilding? Du willst wirklich teilnehmen?«

Mona lachte. »Mit der Hüfte meinst du? Ich setze darauf, dass ich mit Beinen und Oberkörper genug punkten kann. Und natürlich mit meinem einnehmenden Wesen.«

»Du wirkst nervös.«

»Natürlich.«

»Der Wettkampf ist erst in drei Wochen, und du bist nie nervös. Was ist los? Hat das mit den Vampiristenmorden zu tun? Apropos, danke für den Tip, Smith war wunderbar. Und Bratt hat auf ihre Weise auch Terrain gemacht. Sie sah jedenfalls gut aus. Isabelle Skøyen, diese Ex-Senatorin, hat uns übrigens angerufen und gefragt, ob wir uns nicht auch Mikael Bellman als Gast vorstellen könnten.«

»Damit er auf die Kritik reagieren kann, dass Valentin Gjertsen nie gefasst wurde? Vielen Dank. Sie hat uns auch schon angerufen, wir sollen darüber schreiben. Die Frau weiß wirklich, was sie will.«

»Ihr wolltet nicht? Mein Gott, alles, was mit diesem Vampiristen zu tun hat, schafft doch Schlagzeilen.«

»Ich wollte nicht. Meine Kollegen waren da anderer Meinung.« Mona tippte auf ihr iPad und reichte es Nora, die laut von der VG-Homepage vorlas:

»Die frühere Senatorin Isabelle Skøyen weist die Kritik an der Osloer Polizei zurück und betont, dass der Polizeipräsident alles im Griff habe: ›Mikael Bellman und seine Polizeieinheiten haben den Vampiristenmörder bereits identifiziert und sind nun mit einem Großaufgebot auf der Suche nach ihm. Unter anderem hat der Polizeipräsident den berühmten Ermittler Harry Hole ins Team geholt, der nur allzu gerne bereit war, seinem früheren Vorgesetzten zu helfen, und sich darauf freut, diesen armseligen Perversen hinter Schloss und Riegel zu bringen.‹«

Nora gab das iPad zurück. »Ziemlich verrückt, muss ich schon sagen. Was hältst du eigentlich von diesem Hole? Würdest du ihn von der Bettkante stoßen?«

»Definitiv. Du etwa nicht?«

»Ich weiß nicht.« Nora starrte vor sich hin. »Nicht stoßen. Vielleicht nur ein bisschen stupsen. So nach dem Motto ›Jetzt geh doch bitte und fass mich bloß nicht da oder da und ganz bestimmt nicht da an‹.« Nora kicherte.

»Mein Gott«, sagte Mona und schüttelte den Kopf. »Frauen wie du erhöhen eindeutig die Zahl der Missverständnis-Vergewaltigungen.«

»Missverständnis-Vergewaltigung? Gibt es das Wort? Macht das Sinn?«

»Und ob! Mich hat jedenfalls noch nie jemand missverstanden.«

»Was mich daran erinnert, dass ich endlich herausgefunden habe, warum du Old Spice benutzt.«

»Hast du nicht«, sagte Mona genervt.

»Doch! Du willst dich damit vor Vergewaltigern schützen. Oder? Rasierwasser, das nach Testosteron riecht, vertreibt die so sicher wie Pfefferspray. Aber hast du bedacht, dass das auch alle anderen in die Flucht schlägt?«

»Ich gebe es auf«, sagte Mona mit einem Seufzen.

»Ja! Gib auf und sag es endlich!«

»Das ist wegen meinem Vater.«

»Aha?«

»Der hat immer Old Spice benutzt.«

»Stimmt, ihr wart euch so nah. Du vermisst ihn, du Arme.«

»Ich benutze es als Erinnerung an das Wichtigste, das ich von ihm gelernt habe.«

Nora zwinkerte ihr zu. »Sich zu rasieren?«

Mona lachte kurz und nahm ihr Glas. »Niemals aufzugeben, niemals

Nora legte den Kopf schief und sah ihre Freundin ernst an. »Du bist nervös, Mona. Was ist los? Und warum wolltest du nicht mit dieser Skøyen reden? Die Vampiristengeschichte ist doch deine Story.«

»Weil ich einen dickeren Fisch an der Angel habe.« Mona nahm die Hände vom Tisch, als der Kellner erschien.

»Das will ich auch wirklich hoffen«, sagte Nora und sah auf das mickrige Filet, das der Kellner ihrer Freundin servierte.

Mona stocherte mit der Gabel darin herum. »Und ich bin nervös, weil ich vermutlich überwacht werde.«

»Was sagst du da?«

»Ja, was sage ich? Nichts, weil ich dir nichts sagen kann, Nora. Dir nicht und auch sonst niemandem. Das ist Teil der Abmachung, und es ist durchaus möglich, dass wir abgehört werden.«

»Abgehört? Wir? Du machst Witze! Und ich habe gesagt, dass Hole …« Nora schlug sich die Hand vor den Mund.

Mona lächelte. »Das wird sicher nicht gegen dich verwendet. Es ist durchaus möglich, dass ich kurz vor dem Scoop der Kriminaljournalistik bin. Aller Zeiten.«

»Erzähl!«

Mona schüttelte entschieden den Kopf. »Was ich erzählen kann, ist, dass ich eine Pistole habe.« Sie tippte auf ihre Hand­tasche.

»Du machst mir Angst, Mona! Und was, wenn sie hören, dass du eine Pistole hast?«

»Ich will ja, dass sie das hören! Dann kapieren sie vielleicht, dass sie nicht auf dumme Gedanken kommen sollten.«

Nora stöhnte resigniert auf. »Und warum musst du das allein machen, wenn es so gefährlich ist?«

»Weil es dann in die Geschichte eingeht, liebe Nora.« Mona grinste breit und hob ihr Wasserglas an. »Wenn es läuft, wie es laufen soll, zahle ich das nächste Essen. Und Meisterschaft hin oder her, dann trinken wir Champagner.«

»Ja!«

»Tut mir leid, dass ich so spät bin«, sagte Harry und schloss die Tür des Tattoos & Piercing hinter sich.

»Wir gehen gerade das Sortiment durch«, sagte Anders Wyller lächelnd. Er stand hinter dem Verkaufstisch und blätterte gemeinsam mit einem o-beinigen Mann mit VIF-Cap, schwarzem Hüsker-Dü-T-Shirt und einem Bart, der schon voll ausgebildet war, als alle Hipster gleichzeitig aufgehört hatten, sich zu rasieren.

»Lasst euch nicht stören«, sagte Harry und blieb an der Tür stehen.

»Wie gesagt«, sagte der Bärtige und zeigte in den Katalog. »Die da sind auch nur zum Schmuck und können nicht wirklich in den Mund eingesetzt werden. Die Zähne sind auch nicht spitz, sieht man mal von den Reißzähnen ab.«

»Und was ist mit denen da?«, fragte Anders Wyller.

Harry sah sich um. Es war niemand sonst im Laden, und für andere Kunden wäre auch kaum noch Platz. Jeder Quadratmeter, um nicht zu sagen Kubikmeter, wurde genutzt. Mitten im Raum stand die Tätowierbank, von der Decke hingen T-Shirts herunter, und an den Wänden standen Regale und Ständer mit Piercingschmuck, Totenschädeln und Zeichentrickfiguren aus verchromtem Metall. Die wenigen freien Stellen an den Wänden waren mit Zeichnungen und Fotos von Tattoos beklebt. Auf einem der Fotos erkannte Harry eine russische Gefängnistätowierung, eine Makarow-Pistole, für Eingeweihte ein sicheres Zeichen, dass der Träger einen Polizisten ermordet hatte. Die wenig präzisen Stiche konnten bedeuten, dass das Tattoo auf herkömmliche Weise gestochen worden war, mit einer Gitarrensaite, befestigt an einem Rasierer, und als Farbe die Asche verbrannter Schuhsohle und Urin verwendet worden war.

»Sind das alles Ihre Tattoos?«, fragte Harry.

»Keins davon«, antwortete der Mann. »Die Bilder stammen von überall. Aber cool, oder?«

»Wir sind gleich fertig«, sagte Anders.

»Nehmt euch die Zeit, die …« Harry hielt abrupt inne.

»Tut mir leid, dass ich Ihnen nicht helfen konnte«, sagte der Bärtige zu Wyller. »Was Sie mir da beschrieben haben, finden Sie vielleicht eher in einem Laden für Sex-Fetischisten.«

»Danke, aber das haben wir auch schon überprüft.«