Выбрать главу

»Na, dann. Aber sagen Sie Bescheid, wenn wir Ihnen irgendwie anders …«

»Das da.«

Die beiden drehten sich zu dem großgewachsenen Polizisten um, der den Zeigefinger auf eine Tattoozeichnung hoch oben an der Wand gerichtet hatte. »Wo haben Sie das her?«

Sie gingen zu ihm.

»Aus der Haftanstalt Ila«, sagte der Bärtige. »Das ist eine der Zeichnungen, die Rico Herrem gemacht hat, ein Tätowierer, der da eingesessen hat. Er ist in Pattaya, Thailand, gestorben, kurz nachdem er seine zwei- oder dreijährige Haftstrafe abgesessen hatte, Milzbrand.«

»Haben Sie dieses Motiv jemandem gestochen?«, fragte Harry und spürte, wie der schreiende Mund des Dämons sie in den Bann zog.

»Nee, nie. Es hat auch keiner danach gefragt, wer will schon mit so etwas herumlaufen?«

»Niemand?«

»Nicht dass ich wüsste. Aber jetzt, wo Sie das sagen, hier hat mal jemand gearbeitet, der dieses Tattoo schon einmal gesehen haben will. Er hat das als Cin bezeichnet. Ich erinnere mich dar­an, weil Cin und seytan die einzigen türkischen Wörter sind, die ich noch kenne. Cin bedeutet Dämon.«

»Hat er gesagt, wo er das gesehen hat?«

»Nein, und er ist zurück in die Türkei gezogen. Ich habe aber noch seine Telefonnummer, sollte das wichtig sein.«

Harry und Wyller warteten, bis der Mann mit einem handgeschriebenen Zettel aus dem Hinterzimmer zurückkam.

»Der spricht allerdings kaum Englisch.«

»Wie …?«

»Zeichensprache, mein Dönertürkisch und sein Kebabnorwegisch. Das hat er inzwischen aber sicher vergessen. Ich empfehle einen Dolmetscher.«

»Nochmals danke«, sagte Harry. »Und ich fürchte, wir müssen diese Zeichnung mitnehmen.« Er drehte sich um und wollte nach einem Stuhl Ausschau halten, um so weit nach oben zu kommen, bemerkte dann aber, dass Wyller ihm schon einen hingestellt hatte.

Harry sah für einen Augenblick seinen jungen, lächelnden Kollegen an. Dann kletterte er auf den Stuhl.

»Was machen wir jetzt?«, fragte Wyller, als sie draußen auf der Storgata standen und die Straßenbahn an ihnen vorbeiratterte.

Harry steckte die Zeichnung in die Innentasche seiner Jacke und sah zu dem Blaukreuzler-Signet hinauf, das an der Hauswand über ihnen prangte.

»Wir gehen in eine Bar.«

Er ging über den Krankenhausflur. Den Blumenstrauß hielt er vor sich in die Höhe, so dass sein Gesicht wenigstens teilweise verdeckt war. Aber keiner, der ihm entgegenkam, weder Besucher noch Personal, bemerkte ihn. Ruhepuls. Er hatte Ruhepuls. Mit dreizehn war er von einer Gardinenleiter gefallen, als er über den Zaun hinweg die Nachbarsfrau beobachten wollte. Er schlug mit dem Kopf auf der betonierten Terrasse auf und verlor das Bewusstsein. Als er wieder zu sich kam, lag seine Mutter mit dem Ohr an seiner Brust über ihm, so dass er ihren Duft riechen konnte, ihr Lavendelparfüm. Sie hielt ihn für tot, da sie weder sein Herz schlagen hörte noch seinen Puls finden konnte. Ob das, was er in diesem Moment in ihrer Stimme wahrnahm, Erleichterung oder Enttäuschung war, wusste er nicht. Auf jeden Fall hatte sie ihn zu einem jungen Arzt gebracht, auch der hatte nur mit größter Mühe seinen Puls finden können. Bei dieser ­Untersuchung war festgestellt worden, dass sein Herz ungewöhnlich langsam schlug. Dabei führten Gehirnerschütterungen eigentlich zu einem erhöhten Puls. Man hatte ihn in ein Krankenhaus eingewiesen, wo er eine Woche in einem weißen Bett gelegen und blendend weiße Träume gehabt hatte. Überbelichtete Bilder, etwa so, wie man in Filmen das Leben nach dem Tod darstellte. Engelsweiß. Nichts in einem Krankenhaus bereitet dich auf das Schwarz vor, das draußen wartet.

Das Schwarz, das jetzt die Frau erwartete, die in dem Zimmer lag, dessen Nummer sie ihm bereitwillig gegeben hatten.

Das Schwarz, das den Polizisten mit dem besonderen Blick erwartete, wenn er erfuhr, was passiert war.

Das Schwarz, das uns alle erwartete.

Harry starrte auf die Flaschen, die vor dem Spiegel auf dem Barregal standen. Der goldene Inhalt funkelte warm in dem reflektierenden Licht der Lampen. Rakel schlief. Fünfundvierzig Prozent. Die Überlebenschancen und der Alkoholgehalt stimmten in etwa überein. Schlafen. Er könnte gemeinsam mit ihr dort sein, wo sie jetzt war. Er hob den Blick. Sah Mehmet, dessen Lippen unverständliche Worte formten. Harry hatte irgendwo gelesen, dass die türkische Grammatik die drittschwerste der Welt sein sollte.

»Saggolun«, sagte Mehmet und gab Harry das Handy zurück. »Er hat gesagt, dass er den Cin auf der Brust eines Mannes in einem türkischen Bad in Sagene gesehen hat. Es soll Cagaloglu Hamam heißen. Er will ihn dort sogar ein paarmal gesehen haben, das letzte Mal vor knapp einem Jahr, bevor er zurück in die Türkei gegangen ist. Der Mann soll die meiste Zeit einen Bademantel getragen haben, sogar im Bad. Nur im Hararet soll er den abgelegt haben.«

»Im was?«

»Im Dampfbad. Wenn da die Tür aufgeht, entweicht ein wenig Dampf, hat er gesagt, und da hat er ihn für ein paar Sekunden gesehen. Er meinte, dass man so ein Tattoo nie vergisst, es hätte ausgesehen, als würde dieser seytan im wahrsten Sinne des Wortes versuchen, aus der Haut zu fahren.«

»Hm. Haben Sie mit ihm über irgendwelche besonderen Merkmale gesprochen?«

»Ja, ich habe gefragt, aber er hat die Narben unter dem Kinn, von denen Sie gesprochen haben, nicht gesehen. Und auch sonst nichts.«

Harry nickte nachdenklich, während Mehmet die Kaffeekanne holte, um ihnen nachzuschenken.

»Überwachen wir das Bad?«, fragte Wyller, der neben Harry auf einem Barhocker saß.

Harry schüttelte den Kopf. »Wir wissen nicht, ob und wann er wieder auftaucht, und selbst wenn, haben wir keine Ahnung, wie Valentin aussieht. Er ist viel zu klug, um sein Tattoo jetzt zu zeigen.«

Mehmet kam zurück und füllte die Tassen vor ihnen auf dem Tresen.

»Danke für die Hilfe, Mehmet«, sagte Harry. »Es hätte uns sicher einen Tag gekostet, einen vereidigten türkischen Dolmetscher zu finden.«

Mehmet zuckte mit den Schultern. »Bei so was muss man doch helfen. Außerdem war Elise vor ihrer Ermordung hier bei mir.«

»Hm.« Harry starrte in seine Tasse. »Anders?«

»Ja?« Anders Wyller klang froh, vielleicht weil es das erste Mal war, das Harry ihn beim Vornamen genannt hatte.

»Holst du schon mal den Wagen und fährst vor?«

»Ja, aber, der steht doch nur …«

»Ich komme dann raus.«

Als Wyller durch die Tür war, trank Harry einen Schluck von dem Kaffee. »Es geht mich ja nichts an, Mehmet, aber Sie stecken in Schwierigkeiten, oder?«

»Schwierigkeiten?«

»Sie haben eine blitzsaubere Akte, das habe ich überprüft. Aber das trifft nicht auf den Typen zu, der hier war und sofort wieder gegangen ist, als wir gekommen sind. Er hat mich zwar nicht gegrüßt, aber Danial Banks und ich sind alte Bekannte. Hat er Sie am Wickel?«

»Wie meinen Sie das?«

»Ich meine, dass Sie hier eine neue Kneipe aufgemacht haben, laut Steuerbescheid, aber kein Vermögen besitzen. Banks hat sich darauf spezialisiert, Leuten wie Ihnen Geld zu leihen.«

»Leuten wie mir?«

»Die bei keiner Bank Geld kriegen würden. Was er macht, ist gegen das Gesetz, das wissen Sie? Wucherzinsen sind laut Strafgesetzbuch verboten. Sie können ihn anzeigen, dann kommen Sie da raus. Lassen Sie mich Ihnen helfen.«

Mehmet starrte den Polizisten mit den blauen Augen an. Dann nickte er. »Sie haben recht, Harry …«

»Gut.«

»… das geht Sie nichts an. Hört sich an, als würde Ihr Kollege bereits warten.«

Er schloss die Tür des Krankenzimmers hinter sich. Die Jalousien waren heruntergelassen worden, und nur wenig Licht drang in den Raum. Er legte den Blumenstrauß auf das Nachtschränkchen, das am Kopfende des Bettes stand. Sah auf die schlafende Frau. Sie sah einsam aus.