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In derselben Nacht war der alte Gaul in seiner Box zusammengebrochen und gestorben.

Jetzt war es Rakel, die im Bett lag. Still. Und er, der eine Entscheidung fällen musste.

Etwas, wozu du zu gebrauchen bist.

Harry nahm die Stange vom Stativ und ließ sie auf seine Brust sinken. Holte tief Luft. Spannte die Muskeln. Und brüllte.

Teil II

Kapitel 21

Dienstagmorgen

Es war 7.30 Uhr. Feiner Regen lag in der Luft, als Mehmet die Straße überqueren wollte und den Mann vor der Jealousy Bar bemerkte. Er hatte die Hände an die Scheibe gelegt und versuchte hineinzuschauen. Zuerst dachte Mehmet, dass Danial Banks etwas vor der Zeit die nächste Rate einfordern wollte, doch als er näher kam, sah er, dass der Mann blond und etwas größer als Banks war. Er nahm an, dass es einer der alten Alkis war, der zurückwollte und hoffte, dass die Kneipe wie früher um sieben Uhr morgens öffnete.

Doch als der Mann sich wieder zur Straße umdrehte und an der Zigarette zog, die zwischen seinen Lippen steckte, sah Mehmet, dass es der Polizist war.

»Guten Morgen«, sagte Mehmet und nahm die Schlüssel heraus. »Durst?«

»Das auch. Aber ich komme mit einem Angebot.«

»Was für ein Angebot?«

»Eins von denen, die man ablehnen kann.«

»Klingt interessant«, sagte Mehmet, ließ den Polizisten herein und schloss die Tür hinter ihnen wieder ab. Dann schaltete er das Licht über dem Tresen ein.

»Im Grunde ist das eine schöne Kneipe«, sagte Harry, legte die Ellenbogen auf den Tresen und sog die Luft ein.

»Wollen Sie sie kaufen?«, fragte Mehmet trocken und goss Wasser in den türkischen Kaffeekessel.

»Ja«, sagte Harry.

Mehmet lachte. »Dann machen Sie mir ein Angebot.«

»Vierhundertfünfunddreißigtausend.«

Mehmet zog die Stirn in Falten. »Wo haben Sie den Betrag her?«

»Von Danial Banks. Ich habe ihn heute früh getroffen.«

»Heute früh? Es ist doch erst …«

»Ich bin früh aufgestanden. Und er auch. Das heißt, ich musste ihn wecken und aus dem Bett zerren.«

Mehmet starrte in die blutunterlaufenen Augen des Polizisten.

»Bildlich gesprochen«, sagte Harry. »Ich weiß, wo er wohnt, habe geklingelt und ihm ein Angebot gemacht.«

»Was für ein Angebot?«

»Eins von der anderen Sorte. Das man nicht ablehnen kann.«

»Das heißt?«

»Ich habe Ihre Schulden für die Jealousy Bar gekauft und Banks im Gegenzug versichert, ihm nicht das Dezernat für Wirtschaftskriminalität auf den Hals zu hetzen, obwohl er mit seinen Wucherzinsen gegen Paragraph 295 verstoßen hat.«

»Sie machen Witze!«

Harry zuckte mit den Schultern. »Möglich, dass ich übertreibe, und auch möglich, dass er hätte ablehnen können. Schließlich hätte er mich darauf hinweisen können, dass Paragraph 295 vor ein paar Jahren abgeschafft worden ist. Aber wo würde das hinführen, wenn die Kriminellen sich mit den Gesetzen besser auskennen als die Polizei? Egal, Schwamm drüber, Ihre Schulden waren ihm aber wohl auch nicht wichtig genug, um all den Ärger auf sich zu nehmen, den ich ihm in Aussicht gestellt habe. Dieses Dokument hier«, der Polizist legte eine handschriftliche Notiz auf den Tisch, »bestätigt, dass Danial Banks ausbezahlt wurde und ich, Harry Hole, nun der stolze Besitzer eines Schuldscheins über vierhundertfünfunddreißigtausend Kronen bin. Ausgestellt von Mehmet Kalak, der als Sicherheit die Jealousy Bar samt Pachtvertrag ausweist.«

Mehmet las die wenigen Zeilen und schüttelte den Kopf. »Verrückt. Und Sie hatten fast eine halbe Million auf der hohen Kante, die Sie Banks einfach so geben konnten?«

»Ich habe eine Zeitlang als Geldeintreiber in Hongkong ge­arbeitet. Das war … gut bezahlt. Ich bin da zu ein bisschen Kapital gekommen. Banks hat einen Scheck und einen Kontoauszug gekriegt.«

Mehmet lachte. »Dann treiben Sie jetzt die Wucherzinsen ein?«

»Nicht, wenn Sie mein Angebot annehmen.«

»Und das wäre?«

»Dass wir die Schulden umwandeln.«

»Sie übernehmen die Bar?«

»Ich kaufe mich ein. Wir sind Partner, und Sie können mich ausbezahlen, wenn Sie das wollen.«

»Und als Gegenleistung mache ich … was?«

»In ein türkisches Bad gehen, während ein Kumpel von mir die Kneipe führt.«

»Was?«

»Sie sollen im Cagaloglu Hamam schwitzen, bis die Haut schrumpelt, und darauf warten, dass Valentin Gjertsen auftaucht.«

»Ich? Und warum ausgerechnet ich?«

»Weil nach Penelope Raschs Tod Sie und ein fünfzehnjähriges Mädchen die Einzigen sind, die wissen, wie Valentin Gjertsen heute aussieht.«

»Weiß ich das …?«

»Sie werden ihn erkennen.«

»Wieso glauben Sie das?«

»Ich habe den Bericht gelesen. Sie haben in etwa gesagt: Ich habe ihn nicht lange genug angesehen, um ihn genau beschreiben zu können.«

»Eben.«

»Ich hatte früher eine Kollegin, die jedes Gesicht, das sie mal gesehen hatte, wiedererkennen konnte. Sie hat mir erklärt, dass die Fähigkeit, Gesichter zu unterscheiden und unter Millionen von anderen Gesichtern zu erkennen, von einem Ort im Gehirn ausgeht, der Gyrus fusiformis heißt, und dass der Mensch ohne diese Fähigkeit als Spezies nie überlebt hätte. Können Sie den letzten Gast beschreiben, der gestern hier war?«

»Äh … nein.«

»Trotzdem würden Sie ihn im Bruchteil einer Sekunde wiedererkennen, wenn er jetzt reinkäme.«

»Wahrscheinlich.«

»Und genau darauf setze ich.«

»Sie setzen vierhundertfünfunddreißigtausend Kronen aus Ihrem eigenen Besitz darauf? Und wenn ich ihn nicht wieder­erkenne?«

Harry schob die Unterlippe vor. »Dann gehört mir wenigstens eine Kneipe.«

Um 7.45 Uhr öffnete Mona Daa die Eingangstür der VG-Redaktion und walzte hinein. Es war eine Scheißnacht gewesen. Obwohl sie vom Containerhafen direkt ins Gain gefahren war, um dort bis zum Umfallen zu trainieren, hatte sie anschließend nicht schlafen können. Irgendwann hatte sie sich entschlossen, den Redakteur einzuweihen, ohne dabei aber ins Detail zu gehen. Sie wollte ihn fragen, ob eine Quelle auch dann noch Schutz genoss, wenn sie den Journalisten komplett verarscht hatte. Mit anderen Worten: Konnte sie damit jetzt zur Polizei gehen, oder war es klüger zu warten, bis er noch einmal Kontakt aufnahm? Es war ja nicht auszuschließen, dass es einen guten Grund für sein Fernbleiben gab.

»Du siehst müde aus, Daa«, rief der Redaktionschef. »Warst du gestern auf einer Party?«

»I wish«, sagte Mona leise, warf die Sporttasche neben ihren Schreibtisch und schaltete den PC ein.

»Oder die etwas experimentellere Variante?«

»I wish«, wiederholte Mona laut, hob den Kopf und sah einige der anderen in der offenen Redaktion amüsiert und neugierig die Köpfe heben.

»Was?«, rief sie.

»Nur ein Strip oder auch Tiersex?«, kam es leise von irgend­woher, bevor ein paar junge Frauen laut losprusteten.

»Check deine E-Mails. Ein paar von uns haben Kopien gekriegt.«

Mona wurde kalt. Sie ahnte bereits das Schlimmste, als sie die Hände auf die Tastatur legte.

Die Mail kam von der Polizei.

Kein Text, nur ein einzelnes Bild. Aufgenommen mit einer hochsensiblen Kamera, da sie keinen Blitz gesehen hatte. Und vermutlich mit Tele. Im Vordergrund war der Hund zu erkennen, der in den Käfig gepisst hatte, dahinter sie selbst, wie sie angespannt ins Dunkel starrte wie ein wildes Tier.