Выбрать главу

Sie war verarscht worden. Es war nicht der Vampirist gewesen, der sie angerufen hatte.

Smith, Wyller, Holm und Harry kamen um 8.15 Uhr im Heizungsraum zusammen.

»Wir haben eine Vermisstenmeldung, die mit dem Vampiristen in Zusammenhang stehen könnte«, sagte Harry. »Marte Ruud, vierundzwanzig Jahre, ist gestern kurz vor Mitternacht aus dem Restaurant Schrøder verschwunden. Katrine informiert auch die Ermittlergruppe.«

»Die Spurensicherung ist bereits vor Ort«, sagte Bjørn Holm. »Sie haben aber bisher nichts gefunden, abgesehen von dem, das du schon erwähnt hast.«

»Und was ist das?«, fragte Wyller.

»Ein mit Lippenstift geschriebenes V auf einer Tischdecke. Der Winkel zwischen den Strichen ist der gleiche wie bei Ewa Dolmen.« Bjørn wurde von einer Steel-Gitarre unterbrochen, die Harry sofort Don Helms in »Your Cheatin’ Heart« von Hank Williams zuordnen konnte.

»Ah, wir haben Netz«, sagte Bjørn Holm und nahm das Handy aus der Tasche. »Holm. Was? Ich höre nichts. Moment.«

Bjørn verschwand durch die Tür in den Kulverten.

»Es sieht so aus, als hätte diese Entführung mit mir zu tun«, sagte Harry. »Das Schrøder ist mein Stammlokal, und die Decke lag auf meinem Tisch.«

»Nicht gut«, sagte Smith und schüttelte den Kopf. »Er hat die Kontrolle verloren.«

»Ist es nicht gut, wenn er die Kontrolle verliert?«, fragte Wyller. »Heißt das nicht, dass er unvorsichtig wird?«

»Dieser Aspekt mag eine gute Nachricht sein«, sagte Smith. »Aber jetzt, da er das Gefühl hat, alle Fäden in der Hand zu halten, darf niemand ihm diese Macht nehmen. Es ist richtig, dass er es auf dich abgesehen hat, Harry. Und wisst ihr, warum das so ist?«

»Wegen dem VG-Artikel«, sagte Wyller.

»Du hast ihn darin als armseligen Perversen bezeichnet, den du … was stand da?«

»Den du hinter Schloss und Riegel bringen willst«, antwortete Wyller.

»Du hast ihn ›armselig‹ genannt und drohst ihm damit, ihm die Macht und die Kontrolle zu entziehen.«

»Isabelle Skøyen hat ihn so genannt, nicht ich, aber das hat vermutlich nichts zu sagen«, erwiderte Harry und strich sich über den Nacken. »Glaubst du, dass er das Mädchen benutzen wird, um an mich heranzukommen, Smith?«

Smith schüttelte den Kopf. »Die Frau ist tot. Er will keine Konfrontation, er will nur dir und allen anderen zeigen, wer hier die Macht hat. Dass er in dein Stammlokal gehen und sich eine der Deinen holen kann.«

Harry erstarrte. »Eine der Meinen

Smith antwortete nicht.

Bjørn Holm platzte wieder in den Raum. »Der Anruf war von der Ullevål-Klinik. Unmittelbar vor Penelope Raschs Tod hat sich ein Mann an der Rezeption als jemand ausgewiesen, den Penelope als Angehörigen genannt hatte. Ein gewisser Roar Wiik, ihr Ex-Verlobter.«

»Das ist der, der den Verlobungsring gekauft hat, den Valentin aus ihrer Wohnung gestohlen hat«, sagte Harry.

»Sie haben diesen Wiik jetzt angerufen und gefragt, ob ihm an Penelope irgendetwas aufgefallen sei«, sagte Bjørn Holm. »Aber Roar Wiik gibt an, gar nicht im Krankenhaus gewesen zu sein.«

Es wurde still im Heizungsraum.

»Nicht der Verlobte«, sagte Smith. »Aber dann …«

Die Räder von Harrys Bürostuhl kreischten, als dieser leer und mit rasendem Tempo in Richtung Wand fuhr.

Harry selbst war bereits an der Tür. »Wyller, komm!«

Harry rannte.

Der Krankenhausflur erstreckte sich schier endlos vor ihm und schien immer länger zu werden, je schneller er lief. Wie ein sich ausdehnendes Universum, das weder Licht noch Gedanken durchdringen konnten.

Gerade noch konnte er einem Mann ausweichen, der mit seinem Infusionsständer aus einem der Zimmer kam.

Eine der Deinen.

Valentin hatte Aurora genommen, weil sie Ståle Aunes Tochter war.

Marte Ruud, weil sie in seiner Stammkneipe arbeitete.

Penelope Rasch, um ihnen zu zeigen, dass er es konnte.

Eine der Deinen.

301.

Harry steckte die Hand in die Tasche, und seine Finger umklammerten den Schaft der Pistole. Eine Glock 17, die bald anderthalb Jahre unangetastet und weggesperrt in einem Schrank im ersten Stock gelegen hatte. Heute Morgen hatte er sie mitgenommen. Nicht weil er glaubte, sie benutzen zu müssen, sondern weil er sich zum ersten Mal seit drei Jahren nicht sicher gewesen war, dass er sie nicht brauchen würde.

Er drückte die Tür mit der linken Hand auf und zog die Waffe.

Der Raum war leer. Vollkommen leer.

Rakel war weg. Das Bett war weg.

Harry schnappte nach Luft.

Ging an die Stelle, an der das Bett gestanden hatte.

»Tut mir leid, Sie kommen zu spät«, sagte eine Stimme hinter ihm. Harry wirbelte herum. Oberarzt Steffens stand in der Tür. Die Hände in den Taschen seines weißen Kittels. Er zog eine Augenbraue hoch, als er die Waffe sah.

»Wo ist sie?«, fauchte Harry.

»Das sage ich Ihnen, wenn Sie die da wegtun.«

Harry ließ die Pistole sinken.

»Untersuchungen«, sagte Steffens.

»Ist sie … ist sie okay?«

»Ihr Zustand ist unverändert. Stabil instabil. Aber sie wird den Tag überleben, wenn Sie sich darum Sorgen machen. Was ist der Grund für diese … Dramatik?«

»Sie muss bewacht werden.«

»Im Augenblick wird sie von fünf Leuten unseres medizinischen Personals bewacht.«

»Wir werden einen Polizisten vor ihrer Tür postieren. Irgendwelche Einwände?«

»Nein, aber das geht mich auch nichts an. Fürchten Sie, dass der Mörder hierherkommt?«

»Ja.«

»Weil sie die Frau von jemandem ist, der ihn jagt? Die Zimmernummer erfahren nur Angehörige.«

»Das hat denjenigen, der sich für den Verlobten von Penelope Rasch ausgegeben hat, auch nicht aufgehalten.«

»Wieso?«

»Ich bleibe hier, bis der Polizist da ist.«

»In diesem Fall möchten Sie vielleicht eine Tasse Kaffee?«

»Sie brauchen nicht …«

»Nein, aber Sie brauchen das. Einen Augenblick, wir haben hier im Schwesternzimmer wirklich faszinierend schlechten Kaffee.«

Steffens verließ das Zimmer, und Harry sah sich um. Die Stühle, auf denen Oleg und er gesessen hatten, standen noch so da, wie sie sie verlassen hatten, rechts und links der freien Fläche, auf der das Bett gestanden hatte. Harry nahm auf einem der beiden Platz und starrte auf das graue Linoleum. Spürte den Puls sinken, hatte aber trotzdem das Gefühl, dass nicht genug Sauerstoff im Raum war. Ein Sonnenstrahl fiel durch die Gardine auf ein blondes Haar auf dem Boden zwischen den Stühlen. Er hob es auf. Konnte Valentin trotzdem im Zimmer gewesen sein? Hatte er sie gesucht, war aber zu spät gekommen? Harry schluckte. Es gab keinen Grund für solche Gedanken, sie war in Sicherheit.

Steffens kam herein und reichte Harry einen Pappbecher. Er nahm einen Schluck von seinem eigenen und setzte sich auf den anderen Stuhl, so dass sich die beiden Männer mit einem guten Meter Abstand gegenübersaßen.

»Ihr Sohn war hier«, sagte Steffens.

»Oleg? Er sollte doch erst nach der Schule kommen?«

»Er hat nach Ihnen gefragt. Er war ziemlich aufgebracht, dass Sie seine Mutter allein gelassen hatten.«

Harry nickte und nahm einen Schluck Kaffee.

»Sie sind in dem Alter gerne wütend und irre moralisch«, sagte Steffens. »Die Väter kriegen dann die Schuld für alles, was schiefgeht, und wer auch immer einmal ihr großes Vorbild war, wird dann plötzlich zum Abbild dessen, was sie ganz sicher nicht wollen.«

»Reden Sie aus eigener Erfahrung?«

»Natürlich, das tun wir immer.« Steffens’ Lächeln verschwand ebenso schnell, wie es gekommen war.

»Hm. Darf ich Ihnen eine persönliche Frage stellen, Steffens?«

»Aber sicher.«

»Landen Sie im Plusbereich?«

»Entschuldigung?«

»Ist die Freude über die Leben, die Sie retten konnten, größer als die Verzweiflung über die, die Sie verloren haben, aber hätten retten können