Er hörte ein Räuspern und hob den Blick.
Katrine stützte sich mit verschränkten Armen auf die seitliche Trennwand seiner Box.
Nachdem Wyller in diesen lächerlichen Boyclub im Heizungsraum umgezogen war, hatte Truls jetzt alle verfügbaren Staffeln von The Shield gesehen, und er hoffte, dass Katrine Bratt nicht irgendetwas im Schilde führte, was ihn aus seiner Arbeitsruhe brachte.
»Bellman will mit Ihnen reden«, sagte sie.
»Okay.« Truls schaltete den PC aus, stand auf und ging so dicht an Katrine Bratt vorbei, dass er ihr Parfüm hätte riechen müssen, wenn sie denn eins benutzen würde. Seiner Meinung nach durften Frauen durchaus ein bisschen Parfüm verwenden. Sie sollten sich damit nicht einnebeln – von den Lösungsmitteln konnte man ja auch krank werden –, aber eben doch genug nehmen, damit die Phantasie in Gang kam, wie sie denn wohl eigentlich riechen würden.
Während er auf den Fahrstuhl wartete, fragte er sich, was Mikael von ihm wollte. Aber sein Hirn war wie leergeblasen.
Erst als er im Büro des Polizeipräsidenten stand, wusste er, dass er aufgeflogen war. Er sah Mikael am Fenster stehen und hörte ihn ohne jede Einleitung sagen: »Du hast mich hintergangen, Truls. Ist diese Hure zu dir gekommen, oder bist du zu ihr gegangen?«
Es fühlte sich an, als leerte jemand einen Eimer Eiswasser über ihm aus. Was war geschehen? War Ulla eingeknickt? Hatte sie ihm alles gebeichtet, oder hatte Mikael sie unter Druck gesetzt? Was sollte er jetzt nur sagen?
Er räusperte sich. »Sie ist zu mir gekommen, Mikael. Sie wollte das so.«
»Natürlich wollte sie das so, diese Huren nehmen, was sie kriegen können. Aber dass sie das von dir bekommen hat, meinem engsten Vertrauten! Nach allem, was wir gemeinsam durchgemacht haben.«
Truls konnte kaum glauben, dass Mikael so über seine Frau redete, über die Mutter seiner Kinder.
»Ich dachte, dass ich zu einem Gespräch kaum nein sagen könnte, es wird nicht wieder vorkommen.«
»Aber es ist noch mehr passiert, oder?«
»Nein, es ist nichts passiert.«
»Nichts? Kapierst du denn nicht, dass du dem Mörder auf diese Weise mitgeteilt hast, was wir wissen und nicht wissen? Wie viel hat sie dir bezahlt?«
Truls kniff die Augen zusammen. »Bezahlt?« Es dämmerte ihm.
»Ich gehe doch mal davon aus, dass Mona Daa die Tips nicht umsonst bekommen hat? Antworte, und vergiss nicht, dass ich dich kenne, Truls.«
Truls Berntsen grinste. Er war vom Haken. Und wiederholte: »Es ist überhaupt nichts passiert.«
Truls beobachtete, wie die Pigmentflecken in Mikaels Gesicht abwechselnd rot aufleuchteten und wieder verblassten, als pulsierte das Blut dicht unter der Haut. Die Flecken waren mit den Jahren größer geworden, wie bei einer Schlange, die sich häutete.
»Lass hören, was ihr zu wissen glaubt«, sagte Truls und nahm, ohne zu fragen, Platz.
Mikael sah ihn verblüfft an. Dann ließ auch er sich auf seinen Stuhl fallen. Vielleicht hatte er in Truls’ Blick gesehen, dass er keine Angst hatte. Und dass er Mikael mit in den Abgrund reißen würde, sollte man ihn fallenlassen. Bis ganz nach unten.
»Ich weiß«, begann Mikael, »dass Katrine Bratt heute Morgen zu nachtschlafender Zeit in meinem Büro aufgetaucht ist, um mir mitzuteilen, dass sie einen Kollegen auf dich angesetzt hat, weil ich sie gebeten hatte, ein extra Auge auf dich zu werfen. Du standest schon da unter Verdacht, das Leck zu sein.«
»Welcher Kollege?«
»Das hat sie nicht gesagt, und ich habe auch nicht gefragt.«
Natürlich nicht, dachte Truls. Solltest du in Bedrängnis geraten, wäre es sicher besser, nichts zu wissen. Truls war vielleicht nicht der Klügste von allen, aber er war auch nicht so dumm, wie die Leute um ihn herum dachten. Und er hatte mit der Zeit verstanden, wie Mikael und die anderen da oben dachten.
»Der Kollege von Bratt war proaktiv«, sagte Mikael. »Er hat festgestellt, dass du in der letzten Woche mindestens zweimal Telefonkontakt mit Mona Daa hattest.«
Toller Kollege, dachte Truls, wenn der seine Anrufe überprüfte und dafür sogar Kontakt mit den Telefonanbietern aufgenommen hatte. Bestimmt Anders Wyller. Truls war nicht dumm, nein.
»Um definitiv zu beweisen, dass du Mona Daas Quelle bist, hat er sie angerufen. Er hat sich als Vampirist ausgegeben und sie zu ihrer eigenen Absicherung gebeten, ihre Quelle anzurufen, um ein Detail zu überprüfen, das nur der Täter und die Polizei wissen konnten.«
»Der Smoothie-Mixer.«
»Dann gestehst du das?«
»Dass Mona Daa mich angerufen hat? Ja.«
»Gut, denn der Kollege hat Katrine Bratt heute Nacht geweckt und ihr gesagt, dass er eine Telefonliste in der Hand hält, die beweist, dass Mona Daa dich direkt nach seinem Bluff angerufen hat. Da wirst du kaum noch den Kopf aus der Schlinge ziehen können, Truls.«
Truls zuckte mit den Schultern. »Habe ich gar nicht vor. Mona Daa hat mich angerufen und nach einem Smoothie-Mixer gefragt, was ich natürlich nicht kommentiert habe. Ich habe sie an die Ermittlungsleitung verwiesen. Das Gespräch war nach zehn oder zwanzig Sekunden vorbei, das sollte aber auch aus der Telefonliste hervorgehen. Vielleicht hatte Mona Daa ja Lunte gerochen und gemerkt, dass da jemand ihre Quelle entlarven wollte. Weshalb sie dann statt dieser Quelle mich angerufen hat.«
»Laut dem Kollegen ist sie aber zur verabredeten Zeit am Treffpunkt im Containerhafen aufgetaucht, um den Vampiristen zu treffen, der Kollege hat sogar Fotos davon gemacht. Jemand muss das mit dem Smoothie-Mixer also bestätigt haben.«
»Vielleicht hat Mona Daa erst das mit dem Treffpunkt abgesprochen und ist hinterher zu ihrer Quelle gefahren, um sich das alles von Angesicht zu Angesicht bestätigen zu lassen. Polizisten wie Journalisten wissen, wie leicht es ist, sich solche Telefonlisten zu beschaffen. Überprüf die Liste. Mona Daa hat mich angerufen, aber ich habe nie sie angerufen. Dass sie in ihrer Hartnäckigkeit ein paar Minuten braucht, bis sie erkennt, wo nichts zu holen ist, und es trotzdem immer wieder probiert, ist ihr Problem. Ich habe tagsüber ja auch viel Zeit.«
Truls lehnte sich im Stuhl zurück. Er faltete die Hände und sah zu Mikael, der langsam nickend über Truls’ Worte nachdachte und sich fragte, welche Löcher er übersehen haben konnte. Ein kaum sichtbares Lächeln und eine gewisse Wärme in den braunen Augen deuteten an, dass er zu einem Ergebnis gekommen war. Mit etwas Glück war es tatsächlich möglich, Truls noch einmal vom Haken zu kriegen.
»Okay«, sagte Mikael. »Sollte sich wirklich herausstellen, dass nicht du die Quelle bist, wer ist es dann?«
Truls schürzte die Lippen, wie es ihn sein französisches megafettes Onlinedate gelehrt hatte, wenn sie beim Abschied die immer wieder komplizierte Frage »Wann sehen wir uns wieder?« stellte.
»Tja. Keiner will bei so einem Fall ja dabei gesehen werden, wie er zu oft mit einer Journalistin wie Daa redet. Der Einzige, den ich dabei gesehen habe, war Kommissar Wyller. Und wenn ich mich recht erinnere, hat er ihr eine Telefonnummer gegeben, unter der sie ihn anrufen kann. Und sie hat ihm gesagt, dass er sie in diesem Gain-Fitnessstudio finden kann.«
Mikael Bellman sah Truls an. Er lächelte leicht verblüfft, wie jemand, der nach Jahren entdeckt, dass sein Partner singen kann, adelig ist oder eine Universitätsausbildung hat.
»Du willst damit also sagen, dass das Leck vermutlich jemand ist, der hier noch neu ist.« Bellman legte Mittel- und Zeigefinger nachdenklich ans Kinn. »Eine plausible Annahme, da das Leck ja erst kürzlich entstanden ist und so gesehen – wie sage ich das? – nicht für die Kultur steht, die wir hier bei der Osloer Polizei in den letzten Jahren gepflegt haben. Aber wer das ist oder nicht ist, werden wir niemals erfahren, da die Journalistin verpflichtet ist, ihre Quelle zu schützen.«
Truls lachte schnaubend. »Gut, Mikael.«
Mikael nickte. Beugte sich vor und packte, noch bevor Truls reagieren konnte, ihn am Jackenkragen.