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»Also, wie viel hat die Hure dir bezahlt, Beavis?«

Kapitel 22

Dienstagnachmittag

Mehmet schlug den Bademantel enger um sich. Er starrte auf das Display seines Telefons und tat so, als achtete er nicht darauf, wer in die Umkleide kam. Die Eintrittskarte für das Cagaloglu Hamam war zeitlich unbegrenzt. Aber trotzdem riskierte er, unangenehm aufzufallen, wenn er stundenlang in der Umkleide sitzen blieb und andere nackte Männer musterte, weshalb er in regelmäßigen Abständen in die verschiedenen Bäder, Saunen und Dampfbäder ging. Auch aus rein praktischen Gründen war das sinnvoll, denn die Räume waren durch Türen miteinander verbunden, so dass er das Risiko einging, Gäste zu verpassen, wenn er nicht hin und her ging. Außerdem wurde ihm sonst auch kalt. Mehmet sah auf die Uhr. Vier. Der türkische Tätowierer hatte geglaubt, sich daran zu erinnern, den Mann mit dem Dämonentattoo am frühen Nachmittag gesehen zu haben, und Serienmörder sollten ja einer gewissen Routine folgen.

Harry Hole hielt Mehmet für den perfekten Spion. Zum einen weil er einer der beiden war, die überhaupt in der Lage waren, das Gesicht von Valentin Gjertsen zu erkennen, zum anderen weil er als Türke in einem Bad, das hauptsächlich von Landsleuten aufgesucht wurde, nicht auffiel. Und drittens, weil Valentin laut Harry jeden Polizisten sofort erkannt hätte.

Im Morddezernat sollte es einen Maulwurf geben, der Infos an die VG weitergab, und es war ja nicht ausgeschlossen, dass er auch noch andere mit Informationen versorgte. Harry und Mehmet waren deshalb zu dem Schluss gekommen, niemanden über die Idee in Kenntnis zu setzen. Harry hatte Mehmet aber versprochen, im Laufe von nur fünfzehn Minuten mit bewaffneter Verstärkung vor Ort zu sein, sollte er Alarm schlagen.

Und Harry hatte ihm versichert, dass Øystein Eikeland die perfekte Vertretung für die Jealousy Bar sei. Dabei hatte der Typ in seiner Flowerpower-Jeans wie eine alte Vogelscheuche aus­gesehen, als er zur Tür hereingekommen war. Mehmet hatte ihn gefragt, ob er schon einmal in einer Kneipe gestanden hätte, aber Eikeland hatte sich nur eine Selbstgedrehte zwischen die Lippen gesteckt und geseufzt: »Jahrelang, Junge. Gestanden, gekniet und gelegen, nur immer auf der anderen Seite des Tresens.«

Eikeland war Harrys Vertrauter, Mehmet musste also darauf bauen, dass es irgendwie funktionierte. Maximal eine Woche, hatte Harry gesagt. Dann könne er wieder zurück in seine Kneipe, die jetzt also nicht mehr nur ihm gehörte. Harry hatte sich sogar verbeugt, als er ihm den Schlüssel samt Plastikanhänger mit dem Logo der Kneipe, einem gebrochenen Herzen, überreicht hatte. Danach hatte er mit ihm über die Musik diskutieren wollen und gemeint, dass es auch jenseits der dreißig Leute gäbe, die nichts gegen neue Musik hätten, und selbst bei Menschen, die im Bad-Company-Sumpf feststeckten, nicht alle Hoffnung vergebens sei. Allein der Gedanke an diese Diskussion ist die Woche Langeweile wert, dachte Mehmet, während er die ­Onlineausabe der VG durchscrollte, obwohl er die Schlagzeilen jetzt sicher bereits zehnmal gelesen hatte. Dann fielen seine ­Augen auf eine neue.

Bekannte historische Vampiristen. Während er auf das Display starrte und darauf wartete, dass der Text geladen wurde, geschah etwas Merkwürdiges. Er hob den Blick und sah die Tür zum Bad langsam zugehen. Dann ließ er seinen Blick durch den Raum schweifen. Die drei anderen Männer in der Umkleide waren vorher auch schon dort gewesen. Jemand musste hereingekommen und direkt durch den Raum gelaufen sein. Mehmet legte das Handy in seinen Umkleideschrank, schloss ab, stand auf und folgte der Person.

Die Kessel im Raum nebenan brummten leise. Harry sah auf die Uhr. Fünf nach vier. Er schob den Stuhl zurück, faltete die Hände hinter dem Kopf und lehnte sich an die Wand. Smith, Bjørn und Wyller sahen ihn an.

»Es sind jetzt sechzehn Stunden vergangen, seit Marte Ruud verschwunden ist«, sagte Harry. »Irgendetwas Neues?«

»Haare«, sagte Bjørn Holm. »Die Spurensicherung hat am Eingang des Schrøders Haare gefunden, die möglicherweise mit Valentin Gjertsens Haaren an den Handschellen übereinstimmen. Sie werden gerade abgeglichen. Haare deuten auf einen Kampf hin und darauf, dass er dieses Mal nicht hinter sich aufgeräumt hat. Das würde dann wiederum auch erklären, warum am Tatort kein Blut ist. Vielleicht war sie noch am Leben, als er mit ihr von dort verschwunden ist.«

»Gut«, sagte Smith. »Es gibt also eine Möglichkeit, dass sie noch lebt und er sie irgendwo wie eine Kuh gefangen hält.«

»Kuh?«, fragte Wyller.

Es wurde still im Heizungsraum. Harry schnitt eine Grimasse. »Du meinst, dass er sie … melkt

»Der Körper braucht einen Tag, um ein Prozent seiner roten Blutkörperchen zu reproduzieren«, sagte Smith. »Bestenfalls stillt das seinen Blutdurst für eine Weile. Schlimmstenfalls heißt es nur, dass er sich noch stärker darauf konzentriert, Macht und Kontrolle zu gewinnen. Und dass seine Wut sich noch stärker gegen die richtet, die ihn gedemütigt haben. Also gegen dich und die Deinen, Harry.«

»Meine Frau steht rund um die Uhr unter Polizeischutz, und ich habe meinem Sohn eine Nachricht hinterlassen, dass er wachsam sein soll.«

»Dann ist es möglich, dass er auch Männer attackiert?«, fragte Wyller.

»Absolut«, erwiderte Smith.

Harry spürte es in seiner Hosentasche vibrieren. Er nahm das Telefon. »Ja?«

»Hier ist Øystein, wie macht man einen Daiquiri? Ich habe hier einen schwierigen Kunden, und Mehmet geht nicht ans ­Telefon.«

»Woher soll ich das denn wissen? Weiß der Kunde das denn nicht?«

»Nein.«

»Das ist irgendwas mit Rum und Limone. Google, schon mal was davon gehört?«

»Ich bin kein Idiot, Harry, das ist im Internet, oder?«

»Probier es mal aus, du wirst es mögen. Ich lege jetzt auf.« Harry wandte sich an die anderen. »Sorry. Sonst noch was?«

»Die Zeugenvernehmungen rund um das Schrøder«, sagte Wyller. »Niemand hat etwas gesehen oder gehört. Merkwürdig in einer derart stark befahrenen Straße.«

»Montags gegen Mitternacht ist es da ziemlich leer«, sagte Harry. »Aber es sollte trotzdem kaum möglich sein, eine Person, bewusstlos oder nicht, durch das Viertel zu schleppen, ohne bemerkt zu werden. Er muss ein Auto draußen vor der Tür gehabt haben.«

»Auf Valentin Gjertsen sind keine Autos angemeldet, und in seinem Namen wurde gestern auch nichts angemietet«, sagte Wyller.

Harry drehte sich zu ihm.

Wyller sah ihn fragend an. »Ich weiß, dass die Wahrscheinlichkeit, dass er seinen eigenen Namen genutzt hat, gegen null geht, habe es sicherheitshalber aber trotzdem überprüft. Ist das nicht …?«

»Doch, das ist vollkommen in Ordnung«, sagte Harry. »Schick das Phantombild zu den Autoverleihern. Neben dem Schrøder ist ein Deli di Luca, der rund um die Uhr aufhat.«

»Ich war bei der Morgenbesprechung der Ermittlergruppe, die haben bereits die Überwachungskamera des Ladens überprüft«, sagte Bjørn. »Nada.«

»Okay, sonst noch etwas, das ich wissen sollte?«

»In den USA arbeiten Kollegen daran, Zugang zu den Facebook-IP-Adressen der Opfer zu bekommen. Sie versuchen es jetzt mit ­einer subpoena statt mit einem offiziellen Gerichtsbeschluss«, sagte Wyller. »Damit würden wir zwar nicht an die Inhalte kommen, hätten aber alle Adressen von Sendern und Empfängern. Wenn es klappt, dauert das statt Monaten nur Wochen.«

Mehmet stand vor der Tür des Dampfbades, die langsam ins Schloss gefallen war, als er aus der Umkleide ins Bad getreten war. Dort hatte auch der andere den Mann mit der Tätowierung gesehen. Mehmet wusste, wie unwahrscheinlich es war, dass Valentin Gjertsen bereits am ersten Tag hier auftauchte. Außer er kam mehrmals in der Woche. Warum also zögern?