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»Weil ich sie nicht bedrängen will. Sie braucht Zeit. Raum. Sie ist ein bisschen wie du.« Bjørn nahm Harry die Zigarette ab.

»Ich?«

»Ein Eigenbrötler.«

Harry nahm ihm die Zigarette weg, als Bjørn gerade einen Zug nehmen wollte.

»Das stimmt doch«, protestierte Bjørn.

»Was willst du?«

»Ich werde verrückt, wenn ich noch länger rumlaufe und keine Ahnung habe, wie es weitergeht. Deshalb dachte ich …«

Bjørn kratzte wütend seinen Bart. »Du und Katrine, ihr seid doch so was wie Vertraute. Könntest du …?«

»Checken, wie deine Aktien stehen?«

»So in etwa. Ich muss sie zurückhaben, Harry.«

Harry drückte die Zigarette am Stuhlbein aus und sah zu Rakel. »Natürlich. Ich rede mit Katrine.«

»Aber ohne, dass sie …«

»Kapiert, dass das von dir kommt?«

»Danke«, sagte Bjørn. »Du bist ein guter Freund, Harry.«

»Ich?« Harry steckte die Kippe zurück in die Packung. »Ich bin ein Eigenbrötler.«

Als Bjørn gegangen war, schloss Harry die Augen. Lauschte der Maschine. Dem Countdown.

Kapitel 24

Dienstagabend

Er hieß Olsen und war der Wirt des Olsens, dabei hatte der Laden schon vor über zwanzig Jahren, als er ihn übernommen hatte, so geheißen. Für einige ein unwahrscheinlicher Zufall, aber wie unwahrscheinlich war es wirklich, wenn ständig unwahrscheinliche Dinge passieren, jeden Tag, jede Sekunde? Denn dass irgendjemand den Lottojackpot knackte, war wohl das einzige vollkommen Sichere, auch wenn der Gewinner selbst es für mehr als unwahrscheinlich, ja für ein Wunder hielt. Olsen glaubte deshalb nicht an Wunder, musste aber einräumen, dass das, was gerade passiert war, zu den Grenzfällen zählte. Denn Ulla Swart war zur Tür hereingekommen und hatte sich zu Truls Berntsen an den Tisch gesetzt, der dort schon zwanzig Minuten wartete. Olsen zweifelte keine Sekunde daran, dass es sich um ein Rendezvous handelte. Seit mehr als zwanzig Jahren stand er jetzt hinter dem Tresen und sah nervöse Männer von einem Bein aufs andere treten oder mit den Fingern auf die Tischplatte trommeln, während sie auf ihre Traumfrauen warteten. Ulla Swart war in jüngeren Jahren das hübscheste Mädchen von ganz Manglerud gewesen, während Truls Berntsen von all den Idioten, die am Manglerud Center herumgelungert und im Olsens verkehrten, der größte Verlierer gewesen war. Truls, oder Beavis, war der Schatten von Mikael Bellman gewesen, der die Beliebtheitsliste auch nicht gerade angeführt hatte. Aber Mikael hatte wenigstens gut ausgesehen und war redegewandt gewesen, so dass es ihm gelungen war, den hippen Hockeyjungs und den Motorradfreaks das Mädchen vor der Nase wegzuschnappen, auf das alle scharf gewesen waren. Inzwischen war er sogar Polizeipräsident, irgendetwas musste an diesem Mikael also wohl dran sein. Aber Truls Berntsen? Einmal Verlierer, immer Verlierer. Und deshalb grenzte das, was sich gerade in seinem Laden abspielte, an ein Wunder.

Olsen trat an den Tisch, nahm die Bestellung auf und bekam mit, worüber bei diesem unwahrscheinlichen Rendezvous geredet wurde.

»Ich war ein bisschen zu früh hier«, sagte Truls und warf einen Blick auf sein fast leeres Bierglas.

»Nein, nein, ich bin zu spät«, sagte Ulla, stellte die Handtasche ab und knöpfte sich den Mantel auf. »Ich wäre fast nicht gekommen.«

»Oh?« Truls nahm schnell einen kleinen Schluck aus seinem Glas, damit sie nicht sah, wie sehr seine Hände zitterten.

»Ja, weißt du, Truls … das ist nicht so einfach.« Sie warf ihm ein kurzes Lächeln zu und bemerkte Olsen, der lautlos hinter sie getreten war.

»Ich warte noch ein bisschen, danke«, sagte sie, und er verschwand.

Warten?, dachte Truls. Warum warten? Damit sie abhauen konnte, wenn sie es sich doch noch anders überlegte oder er ihre Erwartungen nicht erfüllte? Aber welche Erwartungen hatte sie? Sie waren hier doch zusammen groß geworden.

Ulla sah sich um. »Mein Gott, letztes Mal war ich beim Klassentreffen hier, vor zehn Jahren! Erinnerst du dich?«

»Nein«, sagte Truls. »Ich war nicht da.«

Sie senkte den Blick und fingerte am Ärmel ihres Pullovers her­um.

»Der Fall, an dem ihr arbeitet … das ist eine echt unangenehme Sache. Schade, dass ihr ihn heute nicht gekriegt habt, Mikael hat mir erzählt, was passiert ist.«

»Tja«, sagte Truls. Mikael. Musste sie ihn als Erstes aus dem Hut zaubern und wie einen Schild zwischen sie stellen? War sie nur nervös, oder wusste sie nicht, was sie wollte? »Und? Was hat er dir erzählt?«

»Dass Harry Hole den Barkeeper eingespannt hat, der den Mörder vor dem ersten Mord gesehen hat. Mikael war total wütend.«

»Den Barkeeper der Jealousy Bar

»Ich glaube schon.«

»Eingespannt? Und für was?«

»Um in ein türkisches Bad zu gehen und dort Ausschau nach dem Mörder zu halten. Wusstest du das nicht?«

»Ich habe mich heute … auf ein paar andere Fälle konzen­triert.«

»Ist ja auch egal. Schön, dich zu sehen. Ich kann zwar nicht lange bleiben, aber …«

»Lange genug, um noch ein Bier zu trinken?«

Er sah ihr Zögern. Verdammt.

»Wegen der Kinder?«, fragte er.

»Was?«

»Ist eins krank?«

Truls sah Ullas Verwirrung, dann ergriff sie aber doch den Rettungsring, den er ihr darbot. Ihnen beiden.

»Unser Kleinster kränkelt etwas.« Sie schien zu frösteln und sich in ihrem Pullover verkriechen zu wollen, als sie sich im Lokal umsah. Es waren nur vier Tische besetzt, und Truls tippte, dass sie keinen der anderen Gäste kannte, sie sah anschließend auf jeden Fall etwas entspannter aus. »Du, Truls?«

»Ja?«

»Darf ich dich etwas Seltsames fragen?«

»Klar.«

»Was willst du?«

»Wollen?« Er trank noch einen Schluck, um sich ein kurzes ­Time-out zu gönnen. »Jetzt, meinst du?«

»Ich meine, was wünschst du dir. Was wünschen wir uns?«

Ich wünsche mir, dir die Kleider vom Leib zu reißen, dich zu ficken und zu hören, wie du nach mehr jammerst, dachte Truls. Und anschließend wünsche ich mir, dass du an den Kühlschrank gehst, mir ein kaltes Bier holst, dich in meine Armbeuge legst und sagst, dass du mir zuliebe alle verlassen wirst. Die Kinder, Mikael, das verfluchte Haus, dessen Veranda ich betoniert habe, alles. Um mit mir, Truls Berntsen, zusammen sein zu können. Denn jetzt, nach diesem Augenblick hier, ist es mir unmöglich, mit jemand anders als mit dir zusammen zu sein. Mit dir, dir und nochmals dir. Und dann wünsche ich mir, dass wir es noch einmal machen.

»Wir wünschen uns doch, geschätzt zu werden, nicht wahr?«

Truls schluckte. »Klar.«

»Geschätzt zu werden von dem, den wir lieben. Die anderen sind nicht so wichtig, oder?«

Truls spürte, dass sein Gesicht sich zu einer Grimasse verzog, von der er nicht einmal selbst wusste, was sie aussagte.

Ulla beugte sich vor und senkte die Stimme. »Und manchmal, wenn wir das Gefühl haben, nicht geschätzt zu werden, wenn jemand auf uns herumtrampelt, haben wir das Bedürfnis zurückzutreten, nicht wahr?«

»Ja«, sagte Truls und nickte. »Dann haben wir das Bedürfnis zurückzutreten.«

»Dieses Bedürfnis verschwindet aber, sobald wir merken, dass wir doch geschätzt werden. Und weißt du was? Heute Abend hat Mikael gesagt, dass er mich liebt. In einem Nebensatz und nicht direkt, aber …« Sie biss sich auf ihre sinnliche, pralle Unterlippe, auf die Truls starrte, seit er sechzehn war. »Mehr braucht es nicht, Truls. Ist das nicht seltsam?«

»Sehr seltsam«, sagte Truls und bohrte den Blick in sein leeres Bierglas. Er fragte sich, wie er es ausdrücken sollte. Wie er sagen konnte, was er sagen wollte. Dass es manchmal nichts zu bedeuten hatte – nicht den geringsten Scheiß –, wenn jemand sagte, dass er einen liebt. Besonders dann nicht, wenn diese Worte von einem derart schwanzgesteuerten Arsch wie Mikael Bellman kamen.