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»Ich glaube, ich sollte meinen Kleinen jetzt wirklich nicht länger warten lassen.«

Truls hob den Blick und sah Ulla mit tiefbesorgter Miene auf ihre Uhr schauen. »Natürlich nicht«, sagte er.

»Ich hoffe wirklich, dass wir beim nächsten Mal mehr Zeit haben.«

Truls schluckte die Frage nach dem Wann herunter. Er stand auf und versuchte, sie nicht zu lang festzuhalten, als sie ihn umarmte. Als die Tür hinter ihr zufiel, ließ er sich auf die Bank sacken und spürte die Wut in sich aufsteigen. Die schwere, zähe, schmerzhafte, angenehme Wut.

»Noch ein Bier?« Wieder hatte Olsen sich lautlos genähert.

»Ja. Oder nein. Ich muss mal telefonieren. Tut’s das da drüben noch?« Er nickte in Richtung der Kabine mit der Glastür, in der Mikael während der Abiparty, bei der alle so besoffen waren, dass niemand mehr bemerkte, was unter Brusthöhe vor sich ging, Stine Michaelsen im Stehen fickte, während Ulla am Tresen stand und für alle Bier holte.

»Na klar.«

Truls ging hinein und suchte auf seinem Handy eine Nummer heraus.

Drückte die glänzenden Tasten des alten Münztelefons.

Wartete. Er hatte ein enges Hemd angezogen, um zu betonen, dass er einen breiteren Brustkorb, größere Oberarmmuskeln und eine schmalere Taille bekommen hatte. Dass er nicht mehr so war, wie Ulla ihn in Erinnerung hatte. Aber sie hatte ihn kaum angesehen. Truls blies sich auf und spürte, dass seine Schultern die Wände der Kabine berührten, die tatsächlich noch enger war als das verfluchte Büro, in das sie ihn heute verfrachtet hatten.

Bellman. Bratt. Wyller. Hole. Sollten sie doch alle zum Teufel gehen.

»Mona Daa.«

»Berntsen. Was bezahlen Sie für die Wahrheit über die Aktion heute im türkischen Bad?«

»Haben Sie einen Aufmacher?«

»Klar. Osloer Polizei riskiert Leben eines unschuldigen Barkeepers, um Valentin zu schnappen.«

»Wir werden uns schon einig werden.«

Er wischte den beschlagenen Badezimmerspiegel ab und starrte sich an.

»Wer bist du?«, flüsterte er. »Wer bist du?«

Dann schloss er die Augen und öffnete sie wieder.

»Ich bin Alexander Dreyer. Du kannst mich Alex nennen.«

Aus dem Wohnzimmer hinter sich hörte er ein überdrehtes ­Lachen, dann das Geräusch einer Maschine oder eines Helikopters, gefolgt von angsterfüllten Schreien, die den Übergang von »Speak to Me« zu »Breathe« markierten. Es waren genau diese Schreie, die er reproduzieren wollte, aber keine von ihnen hatte genau so schreien wollen.

Endlich war der Spiegel wieder klar und sauber, so dass er das Tattoo sehen konnte. So viele, vor allem Frauen, hatten ihn gefragt, warum er sich ausgerechnet einen Dämon in die Brust hatte stechen lassen. Als hätte er das entschieden. Sie wussten nichts. Hatten keine Ahnung, wer er war.

»Wer bist du, Alex? Ich? Ich bin Sachbearbeiter bei Storebrand. Ich will aber nicht über das Unternehmen reden, sprechen wir lieber über dich. Was machst du denn, Tone? Willst du für mich schreien, wenn ich dir die Brustwarzen abschneide und sie aufesse?«

Er ging aus dem Bad ins Wohnzimmer und warf einen Blick auf das Bild, das neben dem weißen Schlüssel auf dem Schreibtisch lag. Tone. Sie war seit zwei Jahren bei Tinder und wohnte in der Professor Dahls gate. Arbeitete in einer Gärtnerei. Sonderlich schön war sie nicht. Etwas zu dick. Er hätte sie lieber etwas schlanker. Marte war schlank. Marte mochte er. Die Sommersprossen standen ihr.

Aber Tone? Er fuhr mit der Hand über den rotbraunen Schaft des Revolvers.

Die Pläne hatten sich nicht geändert, obwohl er heute um ein Haar aufgeflogen wäre. Er hatte den Mann nicht erkannt, der ins Dampfbad gekommen war, es war aber nicht zu übersehen gewesen, dass dieser Mann ihn erkannt hatte. Mit weit aufgerissenen Augen war er wie paralysiert in dem lichten Dampf an der Tür stehen geblieben und dann gleich wieder nach draußen getreten. Trotzdem hatte die Luft nach seiner Angst gerochen.

Der Wagen hatte wie üblich am Rand der wenig befahrenen Straße gestanden, die man über die Hintertür erreichte. Er wäre niemals regelmäßig in ein Bad gegangen, das keinen solchen Fluchtweg hatte. Oder das nicht so sauber war. Und die Schlüssel hatte er immer in der Tasche des Bademantels.

Er fragte sich, ob er Tone mit dem Revolver erschießen sollte, nachdem er sie gebissen hatte. Nur um Verwirrung zu stiften. Außerdem war er gespannt auf die Schlagzeilen. Andererseits wäre das ein Verstoß gegen die Regeln. Und der andere war wegen der Sache mit der Bedienung schon jetzt wütend.

Er drückte den Revolver gegen seinen Bauch, um den kalten Stahl zu spüren, dann legte er ihn wieder weg. Wie nah war dieser Polizist ihm gekommen? In der VG stand, dass die Polizei auf irgendeinen Gerichtsbeschluss aus den USA wartete, um Facebook zwingen zu können, die Adressen freizugeben. Von diesen Sachen verstand er nichts, er machte sich darüber aber auch keine Sorgen. Weder Alexander Dreyer noch Valentin Gjertsen kümmerte das. Seine Mutter hatte immer gesagt, dass sie ihn nach Valentino benannt habe, dem größten Lover der frühen Filmgeschichte. Da musste sie sich also an die eigene Nase fassen, dass er seinem Namen alle Ehre machte. Anfangs war er kaum ein Risiko eingegangen. Denn wenn man ein Mädchen vergewaltigte, bevor man selbst strafmündig und die Glückliche nicht minderjährig war, sollte sie klug genug sein, um zu wissen, dass sie selbst eine Anklage wegen Unzucht mit Minder­jährigen riskierte, sollte das Gericht zu dem Schluss kommen, dass es keine Vergewaltigung, sondern freiwilliger Sex war. War man erst strafmündig, war das Risiko für eine Anklage deutlich höher. Außer man vergewaltigte diejenige, die für den Namen Valentino verantwortlich war. Wobei Vergewaltigung … als sie begonnen hatte, sich einzuschließen, und er ihr erklärt hatte, dass es entweder sie oder die Nachbarstochter, die Lehrerin, die Tante oder zufällige Opfer auf der Straße treffen würde, hatte sie die Tür wieder geöffnet. Die Psychologen, denen er das erzählt hatte, waren allesamt nicht bereit gewesen, ihm zu glauben … bis sie ihm dann doch irgendwann geglaubt hatten, alle.

Pink Floyd begannen jetzt »On the Run«. Nerviges Schlagzeug, pulsierende Synthesizer, ein Geräusch von laufenden Füßen. Flucht. Vor der Polizei? Vor Harry Holes Handschellen? Armseliger Perverser?

Er nahm das Glas mit der Limonade vom Tisch. Trank einen Schluck, starrte hinein und schleuderte es an die Wand. Das Glas zersplitterte, und die gelbe Flüssigkeit rann an der weißen Tapete hinunter. Er hörte Fluchen aus der Nachbarwohnung.

Dann ging er ins Schlafzimmer. Überprüfte die Fußfesseln und die Handschellen am Bettgitter. Warf einen Blick auf die Frau mit den Sommersprossen, die in seinem Bett schlief. Mit gleichmäßigem Atem. Die Drogen wirkten, wie sie sollten. Ob sie träumte? Von dem blauschwarzen Gnom? Oder tat nur er das? Einer der Psychologen hatte gesagt, dass der immer wiederkehrende Alptraum eine halbverdrängte Kindheitserinnerung war und er seinen Vater auf seiner Mutter hatte sitzen sehen. Natürlich war das Schwachsinn, er hatte seinen Vater nie gesehen, laut Aussage seiner Mutter hatte er sie einmal vergewaltigt und war dann verschwunden. Ein bisschen wie die Jungfrau Maria und der Heilige Geist. Und so war er selbst zum Erlöser geworden. Warum nicht? Er würde zurückkommen und richten.

Er streichelte Marte über die Wange. Es war lange her, dass eine echte, lebendige Frau in seinem Bett gelegen hatte. Und er zog Harrys Holes Bedienung seiner toten japanischen Freundin definitiv vor. Es war wirklich schade, dass er sie gehen lassen musste. Dass er nicht dem Willen des Dämons gehorchen konnte, sondern auf den anderen hören musste, die Stimme der Vernunft. Und diese Stimme hatte voller Zorn klare Anweisungen gegeben. Ein Wald an einer verlassenen Straße im Nord­osten der Stadt.

Er ging zurück ins Wohnzimmer und setzte sich in einen Sessel. Das glatte Leder drückte sich wohlig gegen die nackte Haut, die nach der glühend heißen Dusche noch immer kribbelte. Er schaltete das neue Telefon mit der neuen Sim-Karte ein. Die Tinder-App lag gleich neben der VG-App. Er tippte zuerst auf das VG-Zeichen. Das Warten machte einen Teil der Spannung aus. War er noch immer die Top-Schlagzeile? Er konnte die B-Promis gut verstehen, die alles Erdenkliche taten, um in die Schlagzeilen zu kommen. Eine Sängerin, die Essen mit einem Clown von Fernsehkoch zubereitete, weil sie – wie sie bestimmt selbst glaubte – nicht in Vergessenheit geraten durfte.