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Harry Hole starrte ihn mürrisch an.

Barkeeper von Elise Hermansen von der Polizei eingespannt.

Er tippte auf Beitrag lesen und scrollte nach unten.

Einer Quelle zufolge wurde der Barkeeper in das Dampfbad geschickt, um für die Polizei zu spionieren …

Der Typ im türkischen Bad. Ein Mann der Polizei. Harry Holes Mann.

 … weil er der Einzige im Umfeld der Polizei ist, der Valentin Gjertsen mit Sicherheit identifizieren kann.

Mit einem Schmatzen löste sich die Haut vom Leder, als er aufstand. Er ging zurück ins Bad.

Starrte in den Spiegel. Wer bist du? Wer? Du bist der Einzige. Der Einzige, der das Gesicht gesehen hat und kennt, das ich jetzt sehe.

Es wurde weder der Name von dem Typen genannt noch ein Foto gezeigt. Und er hatte den Barkeeper nicht angesehen, als er an jenem Abend in die Jealousy Bar gekommen war. Weil Blickkontakt etwas ist, an das die Menschen sich erinnern. Aber jetzt hatten sie Blickkontakt gehabt. Und er erinnerte sich. Dann fuhr er mit dem Finger über das Gesicht des Dämons. Er wollte raus, musste raus.

Im Wohnzimmer kam »On the Run« zum Ende, das Lachen ­eines verrückten alten Mannes mündete in die gewaltige, langgezogene Explosion eines herabstürzenden Flugzeugs.

Valentin Gjertsen schloss die Augen und sah die Flammen vor sich.

»Worin besteht das Risiko, sie zu wecken?«, fragte Harry und starrte auf den Gekreuzigten über Dr. Steffens’ Kopf.

»Auf diese Frage gibt es viele richtige Antworten«, sagte Steffens. »Und eine ehrliche.«

»Und die wäre?«

»Dass wir es nicht wissen.«

»Wie Sie nicht wissen, was ihr fehlt?«

»Ja.«

»Hm. Was wissen Sie eigentlich?«

»Allgemein betrachtet, wissen wir eine ganze Menge. Aber wenn die Menschen wüssten, wie viel wir nicht wissen, hätten sie Angst, Harry. Eine unnötige Angst. Also versuchen wir, diesen Teil nicht so intensiv zu kommunizieren.«

»Wirklich?«

»Wir sagen immer, dass wir in der Reparaturbranche sind, in erster Linie sind wir aber wohl in der Trostbranche.«

»Und warum erzählen Sie mir das, Steffens, statt mich zu trösten?«

»Weil ich mir sicher bin, dass Sie längst wissen, dass Wahrheit eine Illusion ist. Als Mordermittler verkaufen auch Sie etwas anderes, als Sie vorgeben. Sie geben den Menschen das Gefühl, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wird, dass Ordnung und Sicherheit herrschen. Aber es gibt keine vollkommene, keine objektive Wahrheit, wie es auch keine wahrhafte Gerechtigkeit gibt.«

»Hat sie Schmerzen?«

»Nein.«

Harry nickte. »Darf ich hier rauchen?«

»Im Arztzimmer eines öffentlichen Krankenhauses?«

»Kein schlechter Ort, wenn Rauchen wirklich so gefährlich ist, wie Sie es sagen.«

Steffens lächelte. »Ein Pfleger hat mir gesagt, dass die Putzfrauen Asche unter dem Bett von Zimmer 301 gefunden haben. Ich würde es vorziehen, wenn Sie draußen rauchen. Wie nimmt Ihr Sohn das Ganze eigentlich auf?«

Harry zuckte mit den Schultern. »Mit Trauer, Angst und Wut.«

»Ich habe ihn eben kommen sehen. Oleg, nicht wahr? Ist er im Zimmer geblieben? Wollte er nicht mit herkommen?«

»Er wollte nicht mit mir herkommen. Oder mit mir reden. Seiner Meinung nach lasse ich sie im Stich, wenn ich an den Ermittlungen teilnehme, während sie hier liegt.«

Steffens nickte. »Die Jugend ist einfach schon immer beneidenswert selbstsicher gewesen, wenn es darum geht, moralisch zu urteilen. In einem Punkt hat er aber vielleicht recht, vermehrte Polizeiaktivität ist nicht immer der effektivste Weg, um kriminelle Elemente zu bekämpfen.«

»Ach?«

»Wissen Sie, was die Kriminalität in den USA in den neunziger Jahren vermindert hat?«

Harry schüttelte den Kopf, legte die Hände auf die Armlehnen und sah zur Tür.

»Betrachten Sie das als Pause von all dem, worüber Sie sich das Hirn zermartern«, sagte Steffens. »Raten Sie.«

»Raten«, sagte Harry. »Es ist doch allgemein bekannt, dass die Kriminalität durch Bürgermeister Giulianis Nulltoleranz und vermehrte Polizeipräsenz gesunken ist.«

»Und eben das stimmt nicht. Die Kriminalität ging nämlich nicht nur in New York zurück, sondern in den ganzen USA. Es lag an den liberaleren Abtreibungsgesetzen, die in den siebziger ­Jahren erlassen wurden.« Steffens lehnte sich in seinem Stuhl ­zurück und machte eine kurze Pause, damit Harry selbst denken konnte, bevor er sein Fazit zog. »Alleinstehende, leichtfertige junge Frauen, die Sex mit mehr oder minder zufälligen Partnern haben, die am nächsten Morgen wieder verschwinden oder spätestens dann, wenn sie realisieren, dass die Frauen schwanger sind. Aus diesen Schwangerschaften sind über die Jahrhunderte hinweg Kriminelle wie am Fließband hervorgegangen. Kinder ohne Vater, ohne Grenzen und ohne Mütter, die es sich leisten können, ihnen eine Ausbildung zu finanzieren, oder das moralische Rückgrat haben, sie auf Gottes Weg zu geleiten. Diese Frauen hätten nur zu gerne ihre eigenen Föten umgebracht, wenn sie sich damit nicht strafbar gemacht hätten. Und dann, in den Siebzigern, durften sie plötzlich tun, was sie wollten. Die Auswirkungen dieses Massen­mordes, der als Folge der liberalen Abtreibungsgesetze begann, wurden für die USA fünfzehn bis zwanzig Jahre später offenbar.«

»Hm. Und was sagt der Mormone dazu? Oder sind Sie das nicht mehr?«

Steffens legte lächelnd die Fingerkuppen aneinander. »Ich stütze die Kirche in vielem, Hole, aber nicht in ihrem Kampf gegen die Abtreibung, da unterstütze ich die Heiden. In den neunziger Jahren konnten normale Menschen wieder ohne Furcht vor Raubüberfällen, Vergewaltigung oder Mord über amerikanische Straßen gehen. Weil derjenige, der sie ermordet hätte, bereits aus seiner Mutter geschabt worden war, Hole. Aber ich stütze die Heiden nicht in ihrem Bestreben nach selbstbestimmter Abtreibung. Ob ein Fötus zwanzig Jahre später ein Segen oder ein Fluch für die Gesellschaft ist, sollte von der Gesellschaft entschieden werden und nicht von einer leichtfertigen Frau, die sich auf der Suche nach einem Sexpartner nachts auf den Straßen ­herumtreibt.«

Harry sah auf die Uhr. »Sie schlagen also staatlich regulierte Abtreibung vor?«

»Kein angenehmer Job, ich weiß. Wer das tut, muss sich schon dazu … berufen fühlen.«

»Sie machen Witze, oder?«

Steffens hielt Harrys Blick ein paar Sekunden stand. Dann lächelte er. »Natürlich. Ich glaube voll und ganz an die Unantastbarkeit des Individuums.«

Harry stand auf. »Ich gehe davon aus, dass ich informiert werde, sollten Sie sie aus dem Koma holen? Es ist bestimmt gut, wenn sie ein bekanntes Gesicht sieht, wenn sie aufwacht, oder?«

»Auch das ist eine Frage der Einschätzung, Harry. Sagen Sie Oleg, dass er bei mir vorbeikommen kann, wenn er etwas wissen will.«

Harry trat vor das Krankenhaus. Er fror in der Kälte, nahm zwei schnelle Züge von seiner Zigarette, stellte fest, dass sie nicht schmeckte, drückte sie aus und hastete wieder hinein.

»Wie geht’s Ihnen, Antonsen?«, fragte er den Polizisten, der vor Zimmer 301 Wache hielt.

»Danke«, sagte Antonsen und sah zu ihm auf. »In der VG ist ein Bild von Ihnen.«

»Ach ja?«

»Wollen Sie es sehen?« Antonsen nahm sein Handy.

»Nur wenn ich extrem gut aussehe.«

Antonsen grinste. »Dann wollen Sie es wahrscheinlich nicht sehen. Aber ich muss sagen, dass Sie da im Dezernat echt zur ­Sache gehen. Waffengewalt gegen einen Neunzigjährigen und ein Barkeeper als Spion?«