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Ståle sah, wie Aurora sich aufrichtete, die Muskeln anspannte. War das …? Doch dann entspannte sie sich wieder und gab mit der Hand das Zeichen weiterzumachen.

Ståle legte das Handy noch einmal ans Ohr. Jetzt geh schon ran!

»Erfolg im Beruf, Sport und in der Familie? Ja, mag sein.« Er ließ den Blick in die Runde schweifen. »In erster Linie bin ich aber ein einfacher Junge aus Manglerud.«

Er hatte sich vorher Sorgen gemacht, dass die einstudierten Klischees leer klingen würden, aber Isabelle hatte recht: Man musste sich nur ein bisschen anstrengen, dann konnte man auch die peinlichsten Banalitäten überzeugend präsentieren.

»Herr Bellman, wir sind froh, dass Sie Zeit für dieses Gespräch gefunden haben.« Der Parteisekretär führte sich die Serviette an den Mund, um zu signalisieren, dass der Lunch beendet war, und nickte den anderen Funktionären zu. »Der Entscheidungsprozess läuft, und wir sind, wie gesagt, sehr froh darüber, dass Sie sich vorstellen könnten, diese Aufgabe zu übernehmen, sollte Ihnen ein Angebot gemacht werden.«

Bellman nickte.

»Mit wir«, mischte Isabelle Skøyen sich ein, »ist auch das Büro des Ministerpräsidenten gemeint, nicht wahr?«

»Wir hätten dieses Treffen nicht vereinbart, wenn das Büro des Ministerpräsidenten nicht grundsätzlich positiv eingestellt wäre«, sagte der Parteisekretär.

Sie hatten Mikael anfänglich gebeten, für dieses Gespräch in den Regierungssitz zu kommen, doch nach einer Beratung mit Isabelle hatte Mikael seinerseits vorgeschlagen, sie auf neutralen Grund einzuladen. Zu einem Lunch auf Kosten des Polizeipräsidenten.

Der Parteisekretär sah auf die Uhr. Eine Omega Seamaster, bemerkte Bellman. Unpraktisch schwer. Außerdem machte diese Uhr einen zum Opfer von Raubüberfällen in jeder Dritte-Welt-Stadt, und sie blieb stehen, wenn man sie länger als einen Tag nicht trug. Dann musste man sie erst wieder umständlich aufziehen und neu stellen, und wenn man dann vergaß, die Krone richtig zuzuschrauben, und in seinen Pool sprang, war die Uhr kaputt. Die notwendige Reparatur kostete dann ebenso viel wie vier andere Qualitätsuhren. Kurz gesagt: Er musste eine solche Uhr haben.

»Wir haben, wie Sie ja bereits wissen, mehrere Kandidaten. Das Amt des Justizministers ist eine wichtige Position innerhalb der Regierung, und ich will Ihnen nicht vorenthalten, dass jemand, der nicht aus den Reihen der Politik kommt, es vielleicht etwas schwerer hat.«

Mikael taktete seinen Auftritt so, dass er seinen Stuhl exakt zeitgleich mit dem Parteisekretär zurückschob, aber als Erster die Hand ausstreckte, um sich zu verabschieden. Er war verdammt noch mal der Polizeipräsident, und von ihnen beiden war er es, der dringend zu seinem verantwortungsvollen Job zurückmusste. Nicht dieser graue Bürokrat mit teurer Uhr.

Nachdem die Funktionäre der Regierungspartei das Restaurant verlassen hatten, nahmen Mikael und Isabelle noch einmal Platz. Sie hatten ein Separee in einem der neuen Restaurants mitten in dem gerade fertiggewordenen Wohnkomplex an der Spitze von Sørenga gemietet. Hinter ihnen lag der Ekebergåsen, und vor ihnen die Oper und das neuerrichtete Seebad. Kleine, spitze Wellen überzogen den Fjord, und weit draußen steckten Segel wie weiße Kommata in der Wasserfläche. Der aktuelle Wetter­bericht sagte, dass der Sturm Oslo kurz vor Mitternacht treffen sollte.

»Ist doch gutgegangen, oder?«, fragte Mikael und goss ihnen den Rest des exklusiven Mineralwassers in die Gläser.

»Wenn das Büro des Ministerpräsidenten nicht grundsätzlich positiv eingestellt wäre«, äffte Isabelle den Parteisekretär nach und verzog den Mund.

»Stimmt mit der Äußerung was nicht?«

»Ja. Und zwar dieses grundsätzlich, das war neu. Und dass sie immer nur vom Büro des Ministerpräsidenten gesprochen haben und nicht mehr vom Ministerpräsidenten persönlich, sagt mir, dass sie sich zurückziehen.«

»Und warum sollten sie das?«

»Du hast dasselbe gehört wie ich. Ein Lunch, bei dem sie dich hauptsächlich über den Vampiristen ausfragen und wissen ­wollen, wie schnell der Fall deiner Meinung nach gelöst werden wird.«

»Komm schon, Isabelle, jeder in der Stadt redet darüber!«

»Sie fragen danach, weil deine Aktien damit steigen oder fallen, Mikael.«

»Aber …«

»Sie brauchen weder dich noch deine Kompetenz oder dein Talent, das Ministerium zu führen, das hast du doch wohl kapiert?«

»Jetzt übertreibst du, aber ja, das …«

»Sie wollen deine Augenklappe, deinen Heldenstatus, deine Popularität, deinen Erfolg. Das macht dich aus, und genau das ist es, was der aktuellen Regierung im Moment fehlt. Fällt das weg, bist du für sie wertlos. Und ehrlich gesagt«, sie schob das Glas zur Seite und stand auf, »für mich auch.«

Mikael lächelte sie ungläubig an. »Was?«

Sie nahm ihre kurze Pelzjacke vom Garderobenständer.

»Ich ertrage keine Verlierer, Mikael, das weißt du ganz genau. Ich bin an die Presse gegangen und habe dich dafür gelobt, dass du Harry Hole aus der Mottenkiste geholt hast. Bis jetzt hat er ­einen nackten Neunzigjährigen verhaftet und dafür gesorgt, dass ein unschuldiger Barkeeper ermordet wurde. Das lässt nicht nur dich wie einen Verlierer aussehen, Mikael, sondern mich auch. Und das gefällt mir ganz und gar nicht, und deshalb bin ich weg.«

Mikael Bellman lachte. »Hast du deine Tage, oder was?«

»Meistens hast du das besser im Blick.«

»Ist ja okay«, sagte Mikael. »Bis bald.«

»Ich glaube, du hast weg nicht richtig verstanden.«

»Isabelle …«

»Leb wohl. Mir hat gefallen, was du über Erfolg in der Familie gesagt hast. Konzentrier dich darauf.«

Mikael blieb sitzen und starrte die Tür an, die sich langsam hinter ihr schloss.

Er bat den Kellner, der den Kopf hereinstreckte, um die Rechnung und ließ seinen Blick noch einmal über den Fjord schweifen. Es hieß, dass diejenigen, die diese Häuser direkt am Wasser geplant hatten, nicht an den Klimawandel und den steigenden Meeresspiegel gedacht hätten. Er selbst hatte daran gedacht, als er gemeinsam mit Ulla ihre Villa oben in Høyenhall gebaut hatte. Dort waren sie sicher, das Meer konnte ihnen nichts anhaben, kein Angreifer das Haus ungesehen erreichen, und ein einfacher Sturm pustete ihnen dort auch nicht das Dach über dem Kopf weg. Dafür brauchte es verdammt noch mal mehr. Er trank einen Schluck Wasser. Schnitt eine Grimasse und starrte auf sein Glas. Voss-Wasser. Warum zahlten die Leute nur Unsummen für ein Wasser, das auch nicht besser schmeckte als das, was aus dem Wasserhahn kam? Sie fanden es nicht leckerer, nein, glaubten aber, dass andere es leckerer fanden, und mussten folglich Voss-Wasser bestellen, wenn sie mit ihrer viel zu langweiligen Trophäenfrau und der viel zu schweren Omega Seamaster am Handgelenk ausgingen. Sehnte er sich deshalb hin und wieder zurück nach Manglerud? Ins Olsens, wo er sich samstagabends besoffen über den Tresen beugen und sich ein Gratisbier zapfen konnte, wenn Olsen die Augen woanders hatte. Oder er einen letzten engen Tanz mit Ulla tanzen konnte, neidisch beäugt von den Helden von Manglerud Star und den coolen Kawasaki-750er-Jungs, bevor er und Ulla allein in die Nacht verschwanden, über den Plogveien zur Eishalle und zum Østensjøvannet, wo er dann zu den Sternen zeigen und ihr erklären würde, wie sie dorthin gelangen konnten.