Jamie war bereits im Begriff, sich zu erheben, obwohl er zwei Anläufe brauchte, um aufzustehen. Abgesehen von einer Reihe spektakulärer Prellungen und einer Zerrung in der Schulter, war er nicht verletzt, doch er hatte nicht einmal die Kraft gehabt, etwas zu essen, als er nach der Schlacht zurückgestolpert kam. Ich hatte ihm das Gesicht gewaschen und ihm ein Glas Bier gegeben. Er hatte es noch nicht angerührt und stellte es jetzt wieder hin.
»Ich komme mit meiner Frau«, sagte er heiser.
Ich griff nach meinem Umhang – und meiner Notausrüstung, nur für alle Fälle.
Ich hätte die Ausrüstung zurücklassen können. General Fraser lag auf einem langen Esstisch im zentralen Zimmer einer großen Blockhütte – dem Haus der Baroness von Riedesel, hatte der junge Abgesandte gemurmelt –, und es war auf den ersten Blick zu sehen, dass ich nichts mehr für ihn tun konnte. Sein kräftiges Gesicht war im Kerzenschein beinahe blutleer, und sein Oberkörper war in Verbände gewickelt, die mit Blut durchtränkt waren. Er blutete immer noch; ich sah, wie sich die feuchten Flecken langsam ausbreiteten, dunkler als das ältere, getrocknete Blut.
Ganz auf den Sterbenden konzentriert, hatte ich die anderen Menschen im Zimmer nur schemenhaft registriert und nur zwei von ihnen bewusst wahrgenommen: die Stabsärzte, die neben dem Bett standen, blutüberströmt und weiß vor Erschöpfung. Einer von ihnen warf mir einen flüchtigen Blick zu und erstarrte kaum merklich. Seine Augen wurden schmaler, und er stieß seinen Kollegen an, der stirnrunzelnd von General Frasers Gestalt aufblickte. Er sah mich an, jedoch verständnislos, und widmete sich wieder seiner fruchtlosen Meditation.
Ich sah den ersten Arzt zwar unverhohlen an, bedeutete ihm jedoch, dass ich nicht vorhatte, mich in seine Angelegenheiten einzumischen. Es gab hier nichts, was ich tun konnte, nichts, was irgendjemand tun konnte, wie die erschöpfte Haltung der Ärzte deutlich zeigte. Der zweite Mann hatte noch nicht aufgegeben, und ich bewunderte ihn dafür, doch der Eitergeruch in der Luft war unverwechselbar, und ich konnte die Atmung des Generals hören – lange, rasselnde Seufzer, zwischen denen nervenaufreibende Pausen lagen.
Es gab nichts, was ich als Ärztin für General Fraser tun konnte, und es gab hier andere, die ihm mehr Trost spenden konnten als ich. Darunter vielleicht auch Jamie.
»Ihm bleibt nicht mehr viel Zeit«, flüsterte ich Jamie zu. »Wenn es etwas gibt, was du zu ihm sagen willst …«
Er nickte schluckend und trat vor. Der britische Oberst, der an der Seite des improvisierten Sterbebetts stand, kniff zwar die Augen zusammen, doch als ihm ein anderer Offizier etwas zumurmelte, trat er beiseite, sodass Jamie näher kommen konnte.
Das Zimmer war klein und ziemlich beengt. Ich hielt mich im Hintergrund, um niemandem im Weg zu sein.
Jamie und der britische Offizier wechselten einige gemurmelte Worte. Ein junger Offizier, zweifellos der Adjutant des Generals, kniete auf der anderen Seite des Tisches und hielt dem General die Hand. Den Kopf hatte er erschüttert gesenkt. Ich schob den Umhang auf meinen Schultern zurück. So kalt es im Freien war, so höllisch heiß war es hier, als hätte sich das Fieber, das den General vor unseren Augen verzehrte, von seinem Bett erhoben und sich in der ganzen Hütte ausgebreitet, weil ihm diese magere Beute nicht ausreichte. Es war ein Miasma aus verwesenden Eingeweiden, abgestandenem Schweiß und dem Geschmack des Schwarzpulvers, der in den Kleidern der Männer hing.
Jamie bückte sich, dann kniete er sich ebenfalls hin, um dichter an Frasers Ohr zu sein. Der General hatte zwar die Augen geschlossen, doch er war bei Bewusstsein; ich sah, wie sein Gesicht beim Klang von Jamies Stimme zuckte. Er wandte den Kopf und öffnete die Augen, und ihre stumpfe Oberfläche glänzte kurz auf, als er ihn erkannte.
»Ciamar a tha thu, a charaid?«, fragte Jamie leise. Wie geht es dir, Vetter?
Der Mund des Generals zuckte ein wenig.
»Tha ana-cnàmadh an Dhiabhail orm«, erwiderte er heiser. »Feumaidh gun do dh’ìth mi rudegin nach robh dol leam.« Ich habe mir teuflisch den Magen verdorben. Ich muss etwas gegessen haben, das mir nicht bekommen ist.
Eine Bewegung durchlief die britischen Offiziere, als die gälischen Worte erklangen, und der junge Offizier auf der anderen Seite des Bettes blickte erschrocken auf.
Nicht annähernd so erschrocken wie ich.
Das halbdunkle Zimmer schien einen Ruck zu tun, und ich taumelte gegen die Wand, wo ich Halt suchend die Hände gegen das Holz presste.
Sein Gesicht war von Schlaflosigkeit und Schmerz gezeichnet, und es war immer noch mit Rauch und Blut verschmiert, durch einen achtlosen Ärmel auf Stirn und Wangen verteilt, sodass er wie ein Waschbär gezeichnet war. Nicht dass das irgendetwas geändert hätte. Sein Haar war dunkel, sein Gesicht schmaler, doch ich hätte diese lange, gerade Nase und diese blauen Katzenaugen überall wiedererkannt. Er und Jamie knieten zu beiden Seiten von Simon Frasers Sterbebett, nicht mehr als anderthalb Meter voneinander entfernt. Ihre Ähnlichkeit würde mit Sicherheit niemandem entgehen, sobald …
»Ellesmere.« Ein Infanteriehauptmann trat vor und fasste dem jungen Mann mit einem gemurmelten Wort und einem kleinen Ruck seines Kopfes an die Schulter. Anscheinend bat er ihn, sich zu entfernen, um dem General einen Moment unter vier Augen zu gewähren, falls er dies wünschte.
Nicht aufblicken!, dachte ich, beschwörend an Jamie gewandt. Um Himmels willen, nur nicht aufblicken!
Er blickte nicht auf. Ob er den Namen erkannt hatte oder einen kurzen Blick auf das rußverschmierte Gesicht seines Gegenübers geworfen hatte, er hielt den Kopf gesenkt, sodass der Schatten sein Gesicht verbarg, und beugte sich dichter über seinen Vetter Simon, auf den er leise einredete.
Der junge Mann erhob sich so langsam wie Dan Morgan an einem kalten Tag. Sein lang gezogener Schatten flackerte über die grob gezimmerten Baumstämme in seinem Rücken. Er schenkte Jamie keinerlei Beachtung; er war mit jeder Faser seines Daseins auf den sterbenden General konzentriert.
»Es ist mir eine Freude, dich noch einmal im Diesseits zu sehen, Seaumais mac Brian«, flüsterte Fraser und bewegte mühsam den Arm, um Jamies Hände zu ergreifen. »Ich bin froh, dass ich unter Kameraden sterben kann, die ich liebe. Doch würdest du jenen in Schottland, die von unserem Blut sind, etwas sagen? Sag ihnen …«
Einer der anderen Offiziere sprach William an, und er wandte sich widerstrebend vom Bett ab, um leise zu antworten. Meine Finger waren feucht, und ich konnte spüren, wie mir die Schweißperlen über den Hals liefen.
Ich hätte mir furchtbar gern den Umhang ausgezogen, hatte aber Angst vor jeder Bewegung, die Williams Aufmerksamkeit auf mich und damit auch auf Jamie lenken konnte.
Jamie verhielt sich so reglos wie ein Kaninchen unter einem Busch. Ich konnte die Anspannung seiner Schultern unter dem von der Feuchtigkeit dunklen Rock sehen; seine Hände hielten die des Generals umfasst, und nur das Flackern des Feuerscheins auf seinem rötlichen Scheitel erzeugte die Illusion einer Bewegung.
»Es wird geschehen, wie du es sagst, Shimi mac Shimi.« Ich konnte sein Flüstern kaum hören. »Sag mir deinen Wunsch; ich werde ihn auf mich nehmen.«
Ich hörte ein lautes Schniefen an meiner Seite, und als ich mich umschaute, sah ich eine kleine Frau, die trotz der späten Stunde und der Umstände die Anmut eines chinesischen Porzellanpüppchens besaß. In ihren Augen glänzten unvergossene Tränen; sie wandte den Kopf, um sie abzutupfen, sah, dass ich sie beobachtete, und schenkte mir den zitternden Versuch eines Lächelns.
»Ich bin so froh, dass Euer Gemahl gekommen ist, Madam«, flüsterte sie mir mit sanftem deutschem Akzent zu. »Es – ist vielleicht eine Erleichterung. Dass unser lieber Freund den Trost eines Verwandten an seiner Seite hat.«
Zweier Verwandter, dachte ich und biss mir auf die Zunge, während ich mir alle Mühe gab, nicht in Williams Richtung zu blicken. Plötzlich kam mir der grauenvolle Gedanke, dass William mich erkennen und versuchen könnte, mich anzusprechen. Was leicht zur Katastrophe führen konnte, wenn …