»Obwohl, wenn wir hier die Wahrheit sagen«, sagte sie immer noch trotzig zu der Kerze, »kann ich bezeugen, dass er es genauso für Denny wie für mich getan hat.«
»Wer hat was getan?« Ihr Bruder steckte seinen Kopf ins Zelt, richtete sich auf und blinzelte sie an.
»Würdest du für mich beten?«, fragte sie statt einer Antwort. »Ich bin in großer Gefahr.«
Ihr Bruder starrte sie an, und diesmal blinzelte er nicht.
»Das ist allerdings wahr«, sagte er langsam. »Obwohl ich bezweifle, dass dir Gebete eine große Hilfe sein werden.«
»Was, hast du denn gar kein Gottvertrauen mehr?«, fragte sie scharf, denn der Gedanke, dass die Erlebnisse des vergangenen Monats ihren Bruder überwältigt haben könnten, vergrößerte ihre Aufregung noch. Ihren eigenen Glauben hatten sie leider beträchtlich erschüttert, doch sie verließ sich auf den Glauben ihres Bruders wie auf Schild und Rüstung. Wenn er verschwunden war …
»Oh, mein Gottvertrauen ist grenzenlos«, beruhigte er sie und lächelte. »Mein Vertrauen in dich? Sehr viel weniger.« Er nahm seinen Hut ab und hängte ihn an den Nagel, den er in den Zeltpfosten geschlagen hatte, dann bückte er sich, um sich zu vergewissern, dass der Eingang hinter ihm verschlossen und fest zugebunden war.
»Ich habe auf meinem Rückweg Wolfsgeheul gehört«, erklärte er. »Näher, als mir lieb war.« Er setzte sich hin und sah sie direkt an.
»Ian Murray?«, fragte er unverblümt.
»Woher hast du das gewusst?« Ihre Hände zitterten, und sie wischte sie gereizt an ihrer Schürze ab.
»Ich bin gerade seinem Hund begegnet.« Er betrachtete sie neugierig. »Was hat er denn zu dir gesagt?«
»Ich – Gar nichts.«
Denny zog ungläubig die Augenbraue hoch, und sie ergab sich.
»Nicht viel. Er hat gesagt, dass ich ihn liebe.«
»Tust du das denn?«, fragte Denny und klang nicht im Mindesten überrascht.
»Wie kann ich einen solchen Mann lieben?«
»Wenn es nicht so wäre, glaube ich nicht, dass du mich bitten würdest, für dich zu beten«, stellte er in aller Logik fest. »Sondern du würdest ihn einfach davonschicken. Ich bin wahrscheinlich nicht der Richtige, um die Frage nach dem ›Wie‹ zu beantworten – obwohl ich annehme, dass du sie ohnehin rhetorisch gemeint hast.«
Trotz ihrer Erregung lachte sie.
»Nein«, sagte sie und strich sich die Schürze auf den Knien glatt. »Ich meine sie nicht rhetorisch. Eher … Nun, würdest du sagen, dass Hiob es rhetorisch gemeint hat, als er den Herrn gefragt hat, was Er sich dachte? So ähnlich meine ich es auch.«
»Den Herrn infrage zu stellen, ist eine knifflige Angelegenheit«, sagte ihr Bruder nachdenklich. »Man bekommt zwar Antworten, aber diese führen oft an merkwürdige Orte.« Wieder lächelte er sie an, doch sanft, und seine Augen waren von solchem Mitgefühl erfüllt, dass sie den Blick abwandte.
Sie knetete den Stoff ihrer Schürze und hörte das Grölen und die betrunkenen Gesänge, die jede Nacht im Lager erschollen. Am liebsten hätte sie gesagt, dass sie sich kaum einen merkwürdigeren Ort vorstellen konnte: zwei Quäker inmitten – und dazu Teil – einer Armee. Doch es war ja die Tatsache gewesen, dass Denny den Herrn infrage gestellt hatte, die sie hierhergeführt hatte, und sie wollte nicht, dass er das Gefühl bekam, dass sie ihm deswegen Vorwürfe machte.
Stattdessen blickte sie auf und fragte ernst: »Hast du schon einmal jemanden geliebt, Denny?«
»Oh«, sagte er und betrachtete seine Hände, die auf seinen Knien lagen. Er lächelte noch, doch das Lächeln hatte sich verändert, sich irgendwie nach innen gekehrt, als sähe er etwas vor seinem inneren Auge. »Ja. Ich denke schon.«
»In England?«
Er nickte. »Ja. Aber … es ging nicht.«
»Sie … gehörte nicht zu den Freunden?«
»Nein«, sagte er leise. »Das tat sie nicht.«
Einerseits erleichterte sie das; sie hatte Angst gehabt, dass er sein Herz an eine Frau verloren hatte, die England nicht verlassen wollte, dass er sich jedoch verpflichtet gefühlt hatte, nach Amerika zurückzukehren – um ihretwillen. Doch für ihre eigenen Gefühle gegenüber Ian Murray verhieß es nichts Gutes.
»Tut mir leid, das mit dem Schmalz«, sagte sie übergangslos.
Er blinzelte.
»Schmalz?«
»Für irgendjemandes Hintern, hat Freund Ian gesagt. Der Hund hat es gefressen.«
»Der Hund hat … Oh, der Hund hat das Schmalz gefressen.« Sein Mund zuckte, und er rieb sich langsam mit dem rechten Daumen über die Finger. »Das macht nichts. Ich habe welches gefunden.«
»Du hast Hunger«, wechselte sie das Thema und stand auf. »Wasch dir die Hände, dann setze ich den Kaffee auf.«
»Das wäre schön, danke, Rachel. Rachel …« Er zögerte, doch er war kein Mann, der den Dingen aus dem Weg ging. »Freund Murray hat zu dir gesagt, dass du ihn liebst – aber nicht, dass er dich liebt? Das scheint – eine merkwürdige Art, es auszudrücken, nicht wahr?«
»Ja«, sagte sie in einem Ton, der besagte, dass ihr der Sinn nicht danach stand, über Ian Murrays merkwürdige Verhaltensweisen zu diskutieren. Sie hatte nicht vor, Denny zu sagen, dass Ian Murray ihr seine Liebe nicht mit Worten bekannt hatte, weil er es nicht gebraucht hatte. Die Luft rings um sie herum schimmerte immer noch von der Hitze seines Bekenntnisses. Obwohl …
»Vielleicht hat er es ja doch getan«, sagte sie langsam. »Irgendetwas hat er zu mir gesagt, doch es war kein Englisch, und ich habe es nicht verstanden. Weißt du, was ›mo crie-ga‹ bedeuten könnte?«
Denny runzelte kurz die Stirn, die sich dann wieder glättete.
»Das ist die Highlanderzunge, die sie Gälisch nennen, glaube ich. Nein, ich weiß nicht, was es bedeutet – aber ich habe schon gehört, wie Freund Jamie es zu seiner Frau gesagt hat, unter Umständen, die keinen Zweifel daran gelassen haben, dass es ein Ausdruck tiefer … Zuneigung ist.« Er hüstelte.
»Rachel – möchtest du, dass ich mit ihm spreche?«
Ihre Haut brannte, und ihr Gesicht fühlte sich an, als glühte es im Fieber, doch bei dieser Frage schien sich ein großer Eissplitter in ihr Herz zu bohren.
»Dass du mit ihm sprichst«, wiederholte sie und schluckte. »Und … was sagst?« Sie hatte die Kaffeekanne und den Beutel mit den gerösteten Eicheln und Zichorien gefunden. Sie schüttete eine Handvoll der schwarzen Mixtur in ihren Mörser und machte sich daran, sie zu zerstampfen, als sei die Schale voller Schlangen.
Denny zuckte mit den Achseln und beobachtete sie neugierig.
»Du wirst den Mörser noch zerbrechen«, merkte er an. »Nun, was ich sagen soll – das musst du mir schon sagen, Rachel.« Sein Blick ruhte gebannt auf ihr, doch es lag kein Humor mehr darin. »Ich werde ihm sagen, er soll sich von dir fernhalten und nie wieder ein Wort an dich richten, wenn du es wünschst. Oder wenn es dir lieber ist, kann ich ihm versichern, dass deine Zuneigung für ihn rein freundschaftlicher Natur ist und er auf weitere peinliche Bekenntnisse verzichten muss.«
Sie schüttete das Kaffeemehl in die Kanne und fügte dann Wasser aus der Feldflasche hinzu, die sie am Zeltpfosten hängen hatte.
»Sind das die einzigen Alternativen, die du siehst?«, fragte sie, um einen ruhigen Tonfall bemüht.
»Schwesterchen«, erwiderte er sehr sanft, »es ist nicht möglich, dass du einen solchen Mann heiratest und weiter den Freunden angehörst. Keine Zusammenkunft würde eine solche Vereinigung gutheißen. Das weißt du.« Er wartete einen Moment, dann fügte er hinzu: »Du hast mich gefragt, ob ich für dich beten kann.«
Sie antwortete nicht und sah ihn nicht an, sondern band den Zelteingang los und ging ins Freie, um die Kaffeekanne in die Glut zu stellen. Sie verweilte kurz, um das Feuer zu schüren und frisches Holz aufzulegen. Dicht am Boden leuchtete die Luft, erhellt vom Rauch und dem glühenden Dunst Tausender kleiner Feuer. Doch über ihr breitete sich die Nacht schwarz und endlos aus, und das Feuer der Sterne leuchtete kalt.