»Aye, das ist es«, murmelte er. »Haben wir Brot?«
»Nein, aber Bier.«
Als hätte ihn dieses Wort herbeigerufen, tauchte Ian aus dem Zwielicht auf.
»Bier?«, fragte er hoffnungsvoll.
»Brot?«, sagten Jamie und ich gleichzeitig und schnüffelten wie die Hunde. Aus Ians Kleidern stieg ein halb verbrannter Hefegeruch auf, der von zwei kleinen Brotlaiben in seinen Taschen stammte.
»Woher hast du das, Ian?«, fragte ich und reichte ihm eine Feldflasche mit Bier.
Er trank in tiefen Zügen, dann ließ er die Feldflasche sinken und starrte mich einen Moment lang ausdruckslos an.
»Äh?«, sagte er vage.
»Fehlt dir irgendetwas, Ian?« Ich sah ihn besorgt an, doch er blinzelte, und dann kehrte das Denkvermögen vorübergehend in sein Gehirn zurück.
»Nein, Tante Claire, es ist alles gut. Ich will nur … äh … Oh, danke für das Bier.« Er reichte mir die leere Feldflasche zurück, lächelte mich an, als sei ich eine Fremde, und wanderte in die Dunkelheit davon.
»Hast du das gesehen?« Als ich mich umdrehte, tupfte sich Jamie gerade mit dem angefeuchteten Finger die Brotkrümel vom Schoß.
»Nein, was denn? Hier, Sassenach.« Er reichte mir den zweiten Brotlaib.
»Dass sich Ian benommen hat, als hätte er den Verstand verloren. Hier, nimm dir die Hälfte, du hast es nötiger.«
Er widersprach mir nicht.
»Er hat aber nicht geblutet oder gewankt, oder? Nun, dann vermute ich wohl, dass er sich in irgendein armes Mädchen verliebt hat.«
»Oh? Nun, zu den Symptomen würde es passen. Aber …« Ich knabberte langsam an meinem Brot, um länger etwas davon zu haben; es war knusprig und kam eindeutig frisch aus dem Feuer. Natürlich hatte ich schon öfter verliebte junge Männer gesehen, und Ians Verhalten passte zu den Symptomen. Aber bei Ian hatte ich so etwas nicht mehr gesehen, seit … »Wer mag es sein?«
»Weiß der Himmel. Ich hoffe nur, dass es keine der Huren ist.« Jamie seufzte und rieb sich das Gesicht. »Obwohl das immerhin besser wäre als die Frau eines anderen.«
»Oh, aber er würde doch nicht –«, begann ich, doch dann sah ich seine ironische Miene. »Oh, er kann doch wohl nicht …«
»Nein«, sagte Jamie. »Aber es hat nicht viel gefehlt – was nicht an der jungen Dame lag.«
»Wer denn?«
»Oberst Millers Frau.«
»Oje.« Abigail Miller war eine hübsche junge Blondine von etwa zwanzig, womit sie etwa zwanzig Jahre jünger war als ihr ziemlich untersetzter – und absolut humorloser – Ehemann. »Wie viel hat denn noch gefehlt?«
»Nicht viel«, sagte Jamie grimmig. »Sie hatte ihn schon an einen Baum gedrückt und hat sich an ihm gerieben wie eine rollige Katze. Obwohl ich vermute, dass ihr Mann ihren Possen inzwischen ein Ende gesetzt hat.«
»Er hat sie gesehen?«
»Aye. Wir waren beide zusammen unterwegs, kamen um einen Busch gebogen, und da waren sie. Es war zwar deutlich zu sehen, dass es nicht der Junge war, der angefangen hat – aber der hat auch keine allzu große Gegenwehr geleistet.«
Oberst Miller war zunächst erstarrt, dann hatte er sich in Bewegung gesetzt, seine erschrockene Frau am Arm gepackt, ihr Kreischen ignoriert und sie mit einem leisen, an Jamie gewandten »Guten Tag, Sir« zu seinem Quartier gezerrt.
»Himmel … Wann ist denn das gewesen?«, wollte ich wissen.
Jamie blickte abschätzend zum Mond.
»Oh, vor etwa fünf oder sechs Stunden.«
»Und dann ist es ihm bereits gelungen, sich in eine andere zu verlieben?«
Er lächelte mich an.
»Hast du schon einmal von einem Coup de Foudre gehört, Sassenach? Ich brauchte dich schließlich auch nur einmal genau anzusehen.«
»Hmm«, sagte ich zufrieden.
Mit einiger Anstrengung hievte ich das schwere Büffelfell über die auseinandergelegten Fichtenäste, die das Fundament unseres Bettes bildeten, breitete unsere beiden Decken darüber und faltete das Ganze dann zusammen wie eine Maultasche, sodass eine große, wetterfeste, gemütliche Höhle entstand, in die ich mich bibbernd hineingleiten ließ.
Ich ließ den Zelteingang offen und sah zu, wie Jamie Kaffee trank und sich mit zwei Milizionären unterhielt, die zum Tratschen gekommen waren.
Während meine Füße zum ersten Mal seit einem Monat auftauten, versank ich in ungehemmter Seligkeit. Wie die meisten Menschen, die gezwungen sind, im Herbst im Freien zu leben, schlief auch ich normalerweise in und auf allem, was ich besaß. Die Frauen, die die Armee begleiteten, zogen hin und wieder ihre Korsetts aus – wenn es nicht regnete, sah man sie manchmal frühmorgens wie große, übel riechende Vögel zum Lüften an den Zweigen hängen –, doch die meisten lockerten einfach nur die Schnüre und legten sich so hin. Solange man steht, ist ein Korsett gar nicht so unbequem, doch als Nachtwäsche lässt es doch einiges zu wünschen übrig.
Da ich heute Abend Aussicht auf eine warme, wetterfeste Zuflucht hatte, war ich so weit gegangen, mir nicht nur das Korsett auszuziehen – das ich mir zusammengerollt als Kissen unter den Kopf gelegt hatte –, sondern auch Rock, Mieder, Jacke und Halstuch. Als ich dann nur in Hemd und Strümpfen ins Bett kroch, fühlte ich mich grenzenlos verrucht.
Ich räkelte mich genüsslich und fuhr mir mit den Händen über den Körper, dann legte ich sie nachdenklich auf meine Brüste und rief mir Jamies Vorschläge noch einmal ins Gedächtnis.
In der Wärme des Büffelfells wurde ich allmählich wunderbar schläfrig. Ich glaubte nicht, dass es nötig war, mich krampfhaft wach zu halten; ich konnte spüren, dass Jamie nicht in der Stimmung war, aus ritterlicher Rücksicht auf meinen Schlaf darauf zu verzichten, mich zu wecken.
Hatte ihn der glückliche Erwerb des Büffelfells inspiriert?, fragte ich mich und ließ den Daumen verträumt um meine Brustwarze kreisen. Oder hatte ihn sexuelle Verzweiflung dazu getrieben, um das Fell zu spielen? Dank seiner Handverletzung war es … wie viele Tage her? Ich zählte gerade geistesabwesend im Kopf die Summe zusammen, als ich das leise Murmeln einer neuen Stimme am Feuer hörte und seufzte.
Ian. Nicht dass ich ihn nicht jederzeit gern sah, aber … nun ja. Immerhin war er nicht genau in dem Moment aufgetaucht, als wir …
Er saß mit gesenktem Kopf auf einem der Steine am Feuer. Er holte etwas aus seinem Sporran und rieb es beim Reden nachdenklich zwischen den Fingern. Sein langes, freundliches Gesicht war sorgenvoll – strahlte aber zudem ein seltsames Leuchten aus.
Wie merkwürdig, dachte ich. Ich hatte diesen Blick schon einmal gesehen. Eine Art gebannter Konzentration auf etwas Wunderbares, ein großes Geheimnis, das ihm allein gehörte.
Es war tatsächlich ein Mädchen, dachte ich ebenso belustigt wie gerührt. Genauso hatte er Mary angesehen, die junge Prostituierte, die seine Erste gewesen war. Und Emily?
Nun, ja … Ich glaubte es schon, obwohl damals seine Freude an ihr durch das Wissen um die bevorstehende Trennung von allen und allem überschattet wurde, die er liebte.
Cruimnich, hatte Jamie zu ihm gesagt und Ian zum Abschied sein Plaid über die Schultern gelegt. Erinnere dich. Ich hatte damals gedacht, es würde mir das Herz brechen, ihn zurückzulassen – ich wusste, dass es Jamie auf jeden Fall so gegangen war.
Er trug dieses Plaid auch heute noch an die Schulter seines Jagdhemdes gesteckt.
»Rachel Hunter?«, sagte Jamie so laut, dass ich es hörte, und ich fuhr erschrocken hoch.
»Rachel Hunter?«, wiederholte ich. »Du hast dich in Rachel verliebt?«
Bei meinem plötzlichen Auftauchen sah mich Ian verblüfft an.
»Oh, da bist du ja, Tante Claire. Ich hatte mich schon gefragt, wo du bist«, sagte er dann gelassen.
»Rachel Hunter«, sagte ich, weil ich nicht vorhatte zu dulden, dass er der Frage auswich.
»Nun … aye. Zumindest will ich … Nun, aye. Das habe ich.« Dieses Eingeständnis ließ ihm das Blut in die Wangen steigen; ich konnte es im Schein des Feuers sehen.