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Unser Besucher lehnte sich ein wenig zurück und lächelte sardonisch.

»Ich war einmal Aufseher auf einer großen Zuckerplantage auf der Insel Jamaica. Wir hatten ein Dutzend schwarze Sklaven aus Afrika, aber Schwarze von anständiger Qualität werden immer teurer. Also hat mich der Besitzer eines Tages mit einer Geldbörse voll Silber zum Markt geschickt, um mir eine Schiffsladung neuer Leibeigener anzusehen – die meisten davon deportierte Verbrecher. Aus Schottland.«

Und unter den zwei Dutzend Männern, die der Aufseher aus den zerlumpten, abgemagerten, verlausten Reihen gezogen hatte, war auch Willie Coulter. Nach der Schlacht gefangen genommen, hastig vor Gericht gestellt und verurteilt und innerhalb eines Monats für ewig aus Schottland verbannt und auf ein Schiff geladen, das die Westindischen Inseln ansteuerte.

Ich konnte Jamies Gesicht von der Seite erkennen und sah an seinem Kinn einen Muskel zucken. Die meisten seiner Männer aus Ardsmuir waren auf ähnliche Weise deportiert worden; allein die Tatsache, dass er John Greys Interesse geweckt hatte, hatte ihn selbst vor diesem Schicksal bewahrt, und er dachte nach all den Jahren noch mit gemischten Gefühlen an diese Tatsache zurück. Doch er nickte nur, vage neugierig, so als lauschte er der Erzählung eines Reisenden in einem Wirtshaus.

»Sie sind alle innerhalb von zwei Wochen gestorben«, sagte der Fremde und verzerrte den Mund. »Genau wie die Schwarzen. Die Mistkerle hatten irgendeine Seuche vom Schiff mitgebracht. Hat mich meinen Posten gekostet. Aber etwas Wertvolles konnte ich doch von dort mitnehmen. Willie Coulters letzte Worte.«

Jamie hatte sich eigentlich kaum bewegt, seit sich Mr X hingesetzt hatte, doch ich konnte spüren, wie ihn die Anspannung durchströmte. Er erinnerte mich an einen Bogen mit eingelegtem Pfeil.

»Was ist es, das Ihr von mir wollt?«, fragte er ruhig und beugte sich vor, um den in Lumpen gewickelten Blechbecher mit dem Kaffee zu ergreifen.

»Mpfm.« Der Mann stieß einen zufriedenen Kehllaut aus und lehnte sich kopfnickend ein wenig zurück.

»Ich wusste doch gleich, dass Ihr vernünftig seid. Ich bin ein bescheidener Mann, Sir – sagen wir, hundert Dollar? Um mir Euren guten Willen zu beweisen«, fügte er hinzu und zeigte beim Lächeln seine schiefen, vom Tabaksaft verfärbten Zähne. »Und damit Ihr Euch die Mühe spart zu protestieren, sage ich einfach nur, dass ich weiß, dass Ihr das Geld in der Tasche habt. Ich habe heute Nachmittag zufällig mit dem Herrn gesprochen, von dem Ihr es gewonnen habt, aye?«

Ich blinzelte; anscheinend hatte Jamie eine außerordentliche Glückssträhne gehabt. Zumindest beim Kartenspiel.

»Um Euch meinen guten Willen zu beweisen«, wiederholte Jamie. Er richtete den Blick erst auf den Becher in seiner Hand, dann auf das grinsende Gesicht des Lowlanders, beschloss aber anscheinend, dass der Abstand für einen Wurf mit dem Kaffee zu groß war. »Und dann …?«

»Ah, nun. Das können wir später besprechen. Wie ich höre, seid Ihr ein vermögender Mann, Oberst Fraser.«

»Und Ihr habt vor, mich wie ein Blutegel auszusaugen, nicht wahr?«

»Nun, der eine oder andere Blutegel ist doch ganz gesund, Oberst. Hält die Körpersäfte im Einklang.« Er warf mir einen anzüglichen Blick zu. »Ich bin mir sicher, dass Eure Gemahlin darüber genau Bescheid weiß.«

»Und was genau willst du damit sagen, du schleimiger kleiner Wurm?«, sagte ich und stand auf. Jamie mochte sich ja dagegen entschieden haben, ihn mit einem Becher Kaffee zu bewerfen, doch ich war gern bereit, es mit der Kanne zu versuchen.

»Manieren, Frau«, sagte er und warf mir einen tadelnden Blick zu, bevor er sich wieder Jamie zuwandte. »Züchtigt Ihr sie denn nicht, Mann?«

Ich konnte sehen, wie sich die Anspannung in Jamies Körper kaum merklich veränderte; der Pfeil wurde jetzt zurückgezogen.

»Hör nicht –«, begann ich, an Jamie gewandt, doch ich kam nicht dazu, den Satz zu beenden. Ich sah, wie sich Jamies Miene veränderte, sah, wie er mit einem Satz auf den Mann zusprang – und als ich herumfuhr, sah ich, wie Ian hinter dem Erpresser aus der Dunkelheit auftauchte und ihm den sehnigen Arm um die Kehle legte.

Das Messer sah ich gar nicht. Das brauchte ich auch nicht; ich sah Ians Gesicht, so konzentriert, dass es beinahe ausdruckslos war – und ich sah das Gesicht des ehemaligen Aufsehers. Sein Mund stand offen, und das Weiße seiner Augen blitzte auf, während er vergeblich versuchte, sich Ian zu entwinden.

Dann ließ Ian los, und Jamie fing den Mann auf, als er zu fallen begann, weil sein Körper plötzlich erschütternd schlaff geworden war.

»Lieber Gott!«

Der Ausruf erscholl direkt hinter mir, und wieder fuhr ich herum, diesmal, um mich Oberst Martin und zwei seiner Adjutanten gegenüberzusehen, denen die Münder genauso offen standen wie gerade noch Mr X.

Jamie blickte erschrocken zu ihnen auf. Beim nächsten Atemzug drehte er sich um und sagte leise: »Ruith.« Lauf.

»Halt! Mord!«, rief einer der Adjutanten und sprang vor. »Stehen bleiben, Schurke!«

Ian hatte keine Zeit verloren, bevor er Jamies Rat folgte; ich konnte ihn auf den Waldrand zurennen sehen, doch die Lagerfeuer warfen genug Licht auf den Flüchtenden, und die Schreie Martins und seiner Adjutanten versetzten alles in Hörweite in Aufruhr; die Leute sprangen von ihren Feuern auf und blinzelten in die Dunkelheit, während sie fragende Rufe ausstießen. Jamie ließ den toten Aufseher neben das Feuer fallen und lief Ian nach.

Der Jüngere der beiden Adjutanten schoss an mir vorbei und rannte, was das Zeug hielt. Oberst Martin hastete ihm nach, und es gelang mir, ihm ein Bein zu stellen. Er segelte mit ausgestreckten Armen durch das Feuer, sodass Funken und Asche in den Nachthimmel stoben.

Während ich es dem zweiten Adjutanten überließ, die Flammen auszutreten, raffte ich mein Hemd und rannte, so schnell ich konnte, in die Richtung, die Ian und Jamie eingeschlagen hatten.

Das Feldlager sah aus wie eine Szene aus Dantes Inferno. Schwarze Gestalten schrien im Feuerschein und schubsten einander im Rauch und Gedränge umher, während aus allen Richtungen die »Mord! Mord!«-Rufe erschollen, weil immer mehr Leute sie weitertrugen.

Ich hatte Seitenstiche, rannte aber trotzdem weiter, stolperte über Steine, Mulden und zertrampelte Erde. Lautere Rufe von links – ich hielt keuchend inne und fasste mir an die Seite. Dabei sah ich Jamie, der sich einigen Verfolgern entwand. Er schien die Verfolger von Ian ablenken zu wollen – was bedeutete … Ich drehte mich um und rannte in die andere Richtung.

Tatsächlich erblickte ich Ian, der vernünftigerweise aufgehört hatte zu rennen, sobald er Jamie losstürzen sah, und jetzt im Eiltempo auf den Wald zumarschierte.

»Mörder!«, kreischte eine Stimme hinter mir. Es war Martin, verdammt, ein wenig angesengt, aber ansonsten unbeeinträchtigt. »Stehen bleiben, Murray! Stehen bleiben, sage ich!«

Beim Klang seines Namens begann Ian wieder zu laufen und wich im Zickzack einem Lagerfeuer aus. Als er davor entlanglief, sah ich den Schatten, der ihm folgte – Rollo war bei ihm.

Oberst Martin stand jetzt neben mir, und ich sah mit Schrecken, dass er seine Pistole in der Hand hatte.

»Ha …«, begann ich, doch bevor das Wort heraus war, stieß ich der Länge nach mit jemandem zusammen, und wir fielen zu Boden.

Es war Rachel Hunter, die Mund und Augen weit aufgerissen hatte. Sie rappelte sich auf und rannte auf Ian zu, der bei ihrem Anblick erstarrt war. Oberst Martin spannte den Hahn seiner Pistole und zielte auf Ian, und in der nächsten Sekunde kam Rollo angesprungen und packte den Arm des Obersts mit dem Maul.

Das Durcheinander nahm zu. Zwei oder drei Pistolenschüsse knallten, und Rollo ging jaulend zu Boden. Während er sich dort wand, fuhr Oberst Martin fluchend zurück und hielt sich das verletzte Handgelenk. Jamie holte aus und boxte ihn in den Bauch. Ian eilte bereits auf Rollo zu; Jamie packte den Hund an zwei Beinen, und gemeinsam flüchteten sie sich in die Dunkelheit, gefolgt von Rachel und mir.