Wir schafften es keuchend bis zum Waldrand, und ich fiel sofort neben Rollo auf die Knie, um seinen Zottelpelz nach der Verletzung abzutasten.
»Er ist nicht tot«, keuchte ich. »Schulter …bruch.«
»O Gott«, schnaufte Ian, und ich spürte, wie er den Kopf wandte, um in die Richtung zu blicken, aus der die Verfolger unweigerlich kommen mussten. »O Jesus.« Ich hörte Tränen in seiner Stimme, und er griff nach dem Messer an seinem Gürtel.
»Was machst du denn?!«, rief ich aus. »Er kann doch geheilt werden!«
»Sie werden ihn umbringen«, sagte er wild. »Wenn ich nicht hier bin, um sie aufzuhalten, bringen sie ihn um! Besser, wenn ich es tue.«
»Ich …«, begann Jamie, doch Rachel Hunter kam ihm zuvor. Sie fiel auf die Knie und packte Rollo im Nacken.
»Ich passe für dich auf den Hund auf«, sagte sie atemlos, aber entschlossen. »Lauf!«
Er warf erst ihr einen verzweifelten Blick zu, dann Rollo. Und dann lief er los.
Kapitel 69
Kapitulationsbedingungen
Als am Morgen die Nachricht von General Gates kam, wusste Jamie, worum es gehen musste. Ian war entwischt, was nicht sonderlich überraschend war. Er würde irgendwo im Wald sein oder vielleicht in einem Indianerlager; so oder so würde ihn niemand finden, solange er nicht gefunden werden wollte.
Und der Junge hatte recht gehabt; sie hatten den Hund umbringen wollen, allen voran Oberst Martin, und weil Jamies ganze Überzeugungskraft nicht ausreichte, hatte sich das Quäkermädchen persönlich auf den haarigen Hundekörper werfen und erklären müssen, zuerst müsste man sie umbringen.
Das hatte Martins Eifer zwar ein wenig gedämpft, doch der Großteil der Menge war dafür gewesen, sie fortzuschleifen und den Hund zu erledigen. Jamie hatte sich schon zum Eingreifen bereitgehalten – doch dann war Rachels Bruder wie ein Racheengel aus der Dunkelheit gekommen. Denny hatte sich vor ihr aufgebaut und die Menge als elende Feiglinge und unmenschliche Bestien beschimpft, die danach trachteten, sich an einem unschuldigen Tier zu rächen, ganz zu schweigen von der verdammten Ungerechtigkeit – ja, er hatte tatsächlich »verdammt« gesagt, und zwar mit Nachdruck, und bei der Erinnerung daran musste Jamie trotz des bevorstehenden Verhörs lächeln –, einen jungen Mann nur aus Argwohn ins Exil und ins Verderben zu treiben. Außerdem: Konnten sie denn in sich nirgendwo den leisesten Funken des göttlichen Mitgefühls finden, das Gottes Gabe an jeden Menschen war …?
Seine Ankunft vor Gates’ Hauptquartier riss ihn aus diesen amüsanten Erinnerungen, und er richtete sich auf und setzte die grimmige Miene auf, die zu den widrigen Umständen passte.
Gates sah so aus, als hätte er selbst ähnliche Umstände hinter sich – was zugegebenermaßen auch zutraf. Sein ausdrucksschwaches, rundes Gesicht sah ohnehin schon so aus, als hätte es keine Knochen, doch jetzt gab es nach wie ein weich gekochtes Ei, und die kleinen Augen hinter dem Drahtgestell seiner Brille waren groß und blutunterlaufen, als sie sich jetzt auf Jamie richteten.
»Setzt Euch, Oberst«, sagte Gates und schob ihm ein Glas und einen Dekanter entgegen.
Jamie war völlig verdattert. Er hatte schon genug Verhöre mit ranghohen Offizieren erlebt, um zu wissen, dass sie üblicherweise nicht mit einem Glas unter Freunden begannen. Doch er nahm das Angebot gerne an und nippte vorsichtig an seinem Glas.
Gates leerte das seine sehr viel weniger vorsichtig, stellte es hin und seufzte tief auf.
»Ich muss Euch um einen Gefallen bitten, Oberst.«
»Mit Freuden, Sir«, erwiderte er mit noch größerer Vorsicht. Was konnte der fette Kerl nur von ihm wollen? Wenn es um Ians Aufenthaltsort oder eine Erklärung für den Mord ging, konnte er darauf pfeifen, und das musste er auch wissen. Wenn nicht …
»Die Kapitulationsverhandlungen stehen kurz vor dem Abschluss.« Gates blickte trostlos zu einem dicken Stapel handgeschriebener Papiere hinüber, möglicherweise Entwürfe des Vertrages.
»Burgoynes Männer sollen mit allen militärischen Ehren aus dem Lager marschieren und am Ufer des Hudson auf Befehl ihrer eigenen Offiziere die Waffen niederlegen. Alle Offiziere behalten ihre Schwerter und ihre Ausrüstung, die Soldaten ihre Rucksäcke. Die Armee soll nach Boston marschieren, wo man sie ordentlich unterbringen und verpflegen wird, bevor man sie nach England verschifft. Unsere einzige Bedingung ist, dass sie in diesem Krieg nicht mehr in Nordamerika zum Einsatz kommen dürfen. Großzügige Bedingungen, meint Ihr nicht auch, Oberst?«
»In der Tat sehr großzügig, Sir.« Überraschend großzügig. Was hatte einen General, der unleugbar die Oberhand hatte, zu der Großzügigkeit bewogen, die Gates hier an den Tag legte?
Gates lächelte säuerlich.
»Wie ich sehe, seid Ihr überrascht, Oberst. Vielleicht wird sich das ändern, wenn ich Euch sage, dass Sir Henry Clinton auf dem Vormarsch nach Norden ist.« Und Gates hatte es eilig, die Kapitulation zum Abschluss zu bringen und Burgoyne loszuwerden, um sich rechtzeitig auf einen Angriff von Süden her vorzubereiten.
»Aye, Sir, ich verstehe.«
»Nun ja.« Gates schloss kurz die Augen und seufzte erneut. Er machte einen erschöpften Eindruck. »Burgoyne hat eine zusätzliche Bitte, bevor er diese Abmachungen akzeptiert.«
»Ja, Sir?«
Gates hatte die Augen wieder geöffnet und ließ sie langsam über ihn hinwegwandern.
»Man hat mir gesagt, Brigadegeneral Simon Fraser war Euer Vetter?«
»Ja.«
»Gut. Dann bin ich mir sicher, dass Ihr nichts dagegen haben werdet, Eurem Land einen kleinen Dienst zu erweisen.«
Einen kleinen Dienst, der etwas mit Simon zu tun hatte? Aber …
»Er hat seinen Adjutanten gegenüber den Wunsch geäußert, sofort beerdigt zu werden, falls er in der Fremde sterben sollte – was sie ja auch getan haben; sie haben ihn im Inneren der Schanze begraben –, doch wenn es die Umstände erlaubten, wünschte er, nach Schottland gebracht zu werden, um dort in Frieden zu ruhen.«
»Ihr wollt, dass ich seine Leiche mit nach Schottland nehme?«, entfuhr es Jamie. Er hätte nicht erstaunter sein können, wenn Gates plötzlich aufgestanden wäre und auf dem Tisch getanzt hätte. Der General nickte, und seine Miene wurde noch freundlicher.
»Ihr begreift schnell, Oberst. Ja. Das ist Burgoynes letzte Bitte. Er sagt, der Brigadier war bei seinen Männern sehr beliebt, und das Bewusstsein, dass man ihm diesen letzten Wunsch erfüllen wird, wird ihnen helfen, sich mit dem Abmarsch abzufinden, da sie dann nicht das Gefühl haben werden, sein Grab sich selbst zu überlassen.«
Das Ganze klang durch und durch romantisch und sah Burgoyne absolut ähnlich, dachte Jamie. Der Mann stand in dem Ruf, zur Theatralik zu neigen. Und wahrscheinlich schätzte er die Gefühle der Männer, die unter Simon gedient hatten, ganz richtig ein – Simon war ein guter Mann gewesen.
Erst dann dämmerte es ihm, dass die letzte Konsequenz dieser Bitte …
»Gibt es … irgendwelche Vorkehrungen dafür, wie ich mit der Leiche nach Schottland gelange, Sir?«, fragte er vorsichtig. »Es gibt eine Seeblockade.«
»Man wird Euch – mit Eurer Frau und Euren Dienstboten, wenn Ihr möchtet – auf einem der Schiffe Seiner Majestät transportieren und Euch eine Summe für den Transport des Sarges zur Verfügung stellen, wenn Ihr in Schottland an Land geht. Habe ich Eure Zustimmung, Oberst Fraser?«
Er war so verblüfft, dass er selbst kaum mitbekam, was er antwortete, doch anscheinend reichte es aus, denn Gates lächelte müde und entließ ihn. Auf dem Rückweg zu seinem Zelt überschlugen sich seine Gedanken, und er fragte sich, ob er Ian wohl als Dienstmädchen seiner Frau verkleiden konnte, à la Charles Stuart.
Der 17. Oktober dämmerte wie die vorausgegangenen Tage dunkel und nebelig. General Burgoyne kleidete sich in seinem Zelt mit besonderer Sorgfalt an, mit einem herrlichen scharlachroten Rock mit Goldlitzen und einem Federhut. William sah ihn, als er sich mit den anderen Offizieren zu einer letzten, nervösen Besprechung in das Zelt begab.