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»Schutzrecht also«, wiederholte William Buccleigh MacKenzie. »Und dann, Prediger, will ich, dass Ihr mir sagt, wer Ihr seid und wer ich bin. Was im Namen des Allmächtigen sind wir?«

Sechster Teil

Die Heimkehr

Kapitel 71

Dilemma

10. September 1777

John Grey ertappte sich bei der Frage, wie viele Ecken wohl ein Dilemma haben konnte. Seines Wissens lautete die übliche Anzahl zwei. Doch vielleicht war es ja theoretisch möglich, auf eine exotischere Form zu stoßen – ähnlich wie die vierhörnigen Schafe, die er einmal in Spanien gesehen hatte.

Das dringlichste der Probleme, mit denen er sich zu befassen hatte, betraf Henry.

Er hatte an Jamie Fraser geschrieben, ihm Henrys Zustand geschildert und sich erkundigt, ob Mrs Fraser wohl eine Möglichkeit sehen würde zu kommen. Er hatte ihr so diplomatisch wie möglich seine Bereitschaft versichert, sämtliche Kosten der Reise zu übernehmen, ihren Hin- und Rücktransport per Schiff zu organisieren (und sie daher vor den Unbilden des Krieges zu schützen, soweit dies der Königlichen Marine möglich war) und ihr alle benötigten Materialien und Instrumente zur Verfügung zu stellen. Er war sogar so weit gegangen, eine Flasche Vitriol zu erwerben, weil er sich daran erinnerte, dass diese Substanz zur Herstellung ihres Äthers benötigt wurde.

Er hatte einige Zeit mit erhobenem Federkiel dagesessen und sich gefragt, ob er noch etwas über den Drucker Fergus Fraser und die unglaubliche Geschichte hinzufügen sollte, die Percy ihm erzählt hatte. Einerseits war es natürlich möglich, dass Jamie Fraser daraufhin im Eiltempo aus North Carolina kommen würde, um sich der Sache anzunehmen, womit die Chancen stiegen, dass Mrs Fraser ebenfalls kommen würde. Andererseits … widerstrebte es ihm heftig, Jamie Fraser gegenüber von Dingen zu reden, die mit Percy Beauchamp zu tun hatten, aus persönlichen genau wie aus beruflichen Gründen. Letztlich hatte er also nichts davon erwähnt und den Brief nur um Henrys willen geschrieben.

Einen Monat lang hatte Grey nervös gewartet, während er zusah, wie seinem Neffen in der Hitze immer mehr die Kräfte schwanden. Am Ende dieses Monats war der Kurier, den er mit seinem Brief nach North Carolina entsandt hatte, schweißdurchtränkt, schlammverkrustet und mit zwei Einschusslöchern in seinem Rock zurückgekehrt, um zu berichten, dass die Frasers ihre Siedlung verlassen hatten, um nach Schottland zu reisen. Allerdings hatte er hilfreicherweise hinzugefügt, dass diese Reise nur dem Zweck eines Besuches diente und keine dauerhafte Emigration war.

Natürlich hatte er nicht ausschließlich auf Mrs Frasers Antwort gewartet, sondern auch einen Arzt zu Henry gerufen. Es war ihm gelungen, sich Benjamin Rush vorzustellen und diesen Herrn dazu zu bewegen, dass er seinen Neffen untersuchte. Dr. Rush hatte ernst, aber durchaus ermutigend reagiert und gesagt, dass seiner Meinung nach mindestens eine der Musketenkugeln Narbengewebe erzeugt hätte, das irgendwo Henrys Darm blockiere und zu einem verkapselten Abszess geführt habe, der für sein dauerhaftes Fieber verantwortlich sei. Er hatte Henry zur Ader gelassen und ihm ein fiebersenkendes Mittel verordnet, Grey gegenüber jedoch keinen Zweifel daran gelassen, dass die Situation prekär sei und sich abrupt verschlechtern könne; Heilung sei nur durch einen chirurgischen Eingriff möglich.

Gleichzeitig hatte er aber die Überzeugung geäußert, dass Henry kräftig genug sei, um einen solchen Eingriff zu überleben – auch wenn es natürlich keine Garantie für einen glücklichen Ausgang gebe. Grey hatte Dr. Rush gedankt, sich jedoch entschlossen, noch ein wenig länger zu warten, in der Hoffnung, von Mrs Fraser zu hören.

Er blickte zum Fenster des gemieteten Hauses an der Chestnut Street hinaus und sah zu, wie der Wind die braunen und gelben Blätter über das Pflaster fegte.

Es war Mitte September. Die letzten Schiffe nach England würden Ende Oktober segeln, unmittelbar vor dem Ausbruch der Atlantikstürme. Sollte er versuchen, Henry auf einem davon unterzubringen?

Er hatte Bekanntschaft mit dem amerikanischen Offizier geschlossen, der für die in Philadelphia einquartierten Kriegsgefangenen verantwortlich war, und um Henrys bedingte Entlassung gebeten. Diese war ihm ohne Umschweife gewährt worden; es war durchaus üblich, gefangene Offiziere auf freien Fuß zu setzen, es sei denn, sie hatten etwas Ungewöhnliches oder Gefährliches an sich. Und Henry war im Moment eindeutig weder in der Lage zu fliehen noch eine Rebellion anzuzetteln oder gar für die Aufrührer zu kämpfen. Doch noch war es ihm nicht gelungen, Henry offiziell gegen einen amerikanischen Kriegsgefangenen auszutauschen, und erst dies hätte es Grey ermöglicht, ihn nach England zurückzubringen. Vorausgesetzt natürlich, dass Henrys Gesundheitszustand diese Reise zuließ und dass Henry überhaupt dazu bereit war. Beides war unwahrscheinlich, da Henry ja so an Mrs Woodcock hing. Grey wäre zwar gern bereit gewesen, sie ebenfalls mit nach England zu nehmen, doch dagegen wehrte sie sich, da sie erfahren hatte, dass ihr Mann in New York in Gefangenschaft geraten war.

Grey rieb sich mit zwei Fingern zwischen den Augenbrauen und seufzte. Konnte er Henry zwingen, die Reise gegen seinen Willen anzutreten – möglicherweise unter Betäubung? –, und damit die Bedingungen seiner Haftentlassung verletzen, seine Karriere ruinieren und sein Leben in Gefahr bringen, nur weil Grey vielleicht in England einen Chirurgen finden würde, der besser als Dr. Rush imstande war, sich der Lage anzunehmen? Das Beste, was man sich von einer solchen Handlungsweise erhoffen konnte, war, dass Henry lange genug am Leben blieb, um seinen Eltern Lebewohl zu sagen.

Doch wenn er diesen drastischen Schritt nicht unternahm, blieb ihm keine andere Wahl, als Henry mit Gewalt zu einer grauenvollen Operation zu zwingen, vor der er große Angst hatte und die ihn sehr wahrscheinlich umbringen würde – oder zuzusehen, wie der Junge langsam starb. Denn er lag im Sterben; Grey sah es deutlich. Schiere Sturheit und Mrs Woodcocks Pflege waren alles, was ihn noch am Leben hielt.

Die Vorstellung, Hal und Minnie schreiben zu müssen, um ihnen zu sagen … Nein. Er erhob sich ruckartig, weil er die Unentschlossenheit nicht mehr ertragen konnte. Er würde jetzt zügig Dr. Rush aufsuchen und dafür sorgen –

Die Eingangstür öffnete sich krachend und ließ einen Windstoß, einige Blätter und seine Nichte ein, die blass und mit großen Augen auf ihn zukam.

»Dottie!« Im ersten Moment blieb ihm fast das Herz stehen vor Angst, dass sie heimgeeilt war, um ihm zu sagen, dass Henry gestorben war, denn wie jeden Nachmittag war sie Henry besuchen gegangen.

»Soldaten!«, keuchte sie und packte ihn beim Arm. »Auf der Straße sind Soldaten. Reiter. Es heißt, Howes Armee ist im Anmarsch! Auf Philadelphia!«

Howe traf am 11. September ein Stück südlich der Stadt am Brandywine Creek auf Washingtons Armee. Washingtons Truppen wurden zurückgedrängt, versuchten jedoch ein paar Tage später einen erneuten Vorstoß. Doch inmitten der Schlacht entlud sich ein fürchterlicher Wolkenbruch, der den Feindseligkeiten ein Ende setzte und Washingtons Armee die Flucht nach Reading Furnace ermöglichte. Eine kleine Streitmacht ließen sie unter General Anthony Wayne in Paoli zurück.

Einer von Howes Kommandeuren, Generalmajor Lord Charles Grey – ein entfernter Verwandter Greys –, griff die Amerikaner bei Nacht in Paoli an, nachdem er seinen Soldaten befohlen hatte, die Feuersteine aus ihren Musketen zu entfernen. Dies verhinderte zwar ihre vorzeitige Entdeckung durch einen unfreiwilligen Schuss, doch es zwang die Männer auch, ihre Bajonette zu benutzen. Einige Amerikaner wurden im Bett erstochen, ihre Zelte niedergebrannt, etwa hundert gerieten in Gefangenschaft – und Howe marschierte am 21. September triumphierend in Philadelphia ein.