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Ich werde Dir alles in weiteren Briefen erklären; es ist ziemlich kompliziert, und ich muss hier bis zur Abfahrt fertig werden. Das Wichtigste, was Ian betrifft, ist, dass er sein Herz an Rachel Hunter verloren hat (eine wunderbare junge Frau – und eine Quäkerin, was wiederum für Probleme sorgt) und dass er technisch als Mörder gilt und sich daher nicht in der Nähe der Kontinentalarmee zeigen kann. Als Nebenwirkung dieses theoretischen Mordes (an einer höchst unangenehmen Person, die keinen Verlust für die Menschheit darstellt, das versichere ich Dir) wurde Rollo angeschossen und verletzt (abgesehen von der oberflächlichen Schussverletzung hat er ein gebrochenes Schulterblatt; er dürfte zwar wieder gesund werden, aber er ist nur schwer zu transportieren. Rachel passt für Ian auf ihn auf, während wir nach Schottland reisen).

Da der Brigadier bekanntermaßen großen Respekt unter seinen indianischen Verbündeten genoss, hat der Kapitän der Ariadne zwar verblüfft, aber nicht sonderlich verstört auf die Tatsache reagiert, dass die Leiche nicht nur von einem engen Verwandten (und seiner Frau) begleitet wird, sondern dazu von einem Mohawk, der kaum Englisch spricht (ich wäre mehr als überrascht, wenn irgendjemand in der Königlichen Marine den Unterschied zwischen Gälisch und der Mohawksprache kennt).

Ich hoffe, dass diese »Expedition« weniger ereignisreich verlaufen wird als unsere erste Reise. Falls ja, dürfte der nächste Brief in Schottland verfasst werden. Drückt uns die Daumen.

In Liebe

Mama

PS: Dein Vater besteht darauf, selbst noch ein paar Worte hinzuzufügen. Dies wird sein erster Versuch, mit seiner veränderten Hand zu schreiben, und ich würde zwar gern sehen, wie es funktioniert, doch er teilt mir entschlossen mit, dass er allein sein will. Ich weiß nicht, ob es an seinem Thema liegt oder einfach nur an der Tatsache, dass er nicht möchte, dass jemand mit ansieht, wie er sich abmüht. Wahrscheinlich beides.

Die dritte Seite des Briefes war deutlich anders. Die Handschrift war viel größer als sonst und schnörkeliger. Immer noch erkennbar die Handschrift ihres Vaters, doch die Buchstaben kamen ihr weniger verkrampft vor, weniger eckig. Sie spürte, wie sich ihr Herz zusammenzog, nicht nur bei dem Gedanken an die verstümmelte Hand ihres Vaters – sondern auch an das, was ihm diese Mühe und Anstrengung wert gewesen war:

Meine Liebste,

Dein Bruder lebt und ist unverletzt. Ich habe ihn mit seinen Männern aus Saratoga abmarschieren sehen, erst gen Boston und später nach England. Er wird in diesem Krieg nicht mehr zur Waffe greifen. Deo gratias.

Dein Dich liebender Vater

JF

Postskriptum: Es ist das Fest aller Heiligen. Bete für mich.

Das hatten ihnen die Nonnen immer erzählt – und sie hatte es ihm erzählt. Wenn man an Allerheiligen ein »Vaterunser«, ein »Gegrüßet seist Du, Maria« und ein »Gloria« betet, kann man die Entlassung einer Seele aus dem Fegefeuer erwirken.

»Verflixter Kerl«, flüsterte sie. Sie zog heftig die Nase hoch und kramte im Schreibtisch nach einem Papiertaschentuch. »Ich wusste doch, dass du mich zum Weinen bringen würdest.«

»Brianna?«

Zu ihrer Überraschung kam Rogers Stimme aus der Küche. Sie hatte damit gerechnet, dass es noch mindestens ein oder zwei Stunden dauern würde, bevor er von den Ruinen der Kapelle herunterkam, und sie putzte sich hastig die Nase, rief »Komme!« und hoffte, dass man es ihr nicht anhören konnte, dass sie gerade geweint hatte. Erst als sie den Flur betrat und sah, wie er die Küchentür halb offen hielt, begriff sie, dass auch seine Stimme irgendwie seltsam geklungen hatte.

»Was ist denn?«, sagte sie und beschleunigte ihre Schritte. »Die Kinder –«

»Alles okay«, unterbrach er sie. »Ich habe Annie gesagt, sie soll mit ihnen in den Ort fahren und ein Eis essen.« Dann trat er beiseite und winkte sie in die Küche.

Sie erstarrte noch in der Tür. Ein Mann lehnte im Stehen an der alten Steinspüle, die Arme verschränkt. Er richtete sich auf, als er sie sah, und verneigte sich auf eine Weise, die ihr äußerst merkwürdig erschien – und doch vertraut. Bevor sie darauf kommen konnte, warum das so war, richtete er sich erneut auf und sagte mit leiser Stimme: »Euer Diener, Ma’am.«

Sie blickte ihm geradewegs in die Augen, die genau wie Rogers Augen aussahen, und sah sich hastig nach Roger um, nur um sicherzugehen. Ja, es war so.

»Wer –«

»Erlaube mir, dir William Buccleigh MacKenzie vorzustellen«, sagte Roger, dessen Stimme einen deutlich gereizten Unterton hatte. »Auch bekannt als der Nuckelavee.«

Im ersten Moment ergab kein Wort davon einen Sinn. Dann schoss ihr eine solche Welle von Eindrücken – Erstaunen, Wut, Unglaube – durch den Kopf, dass ihr keiner davon über die Lippen kam und sie den Mann einfach nur angaffte.

»Ich bitte um Verzeihung, Ma’am, dass ich Eure Kinder erschreckt habe«, sagte der Mann. »Erstens hatte ich ja keine Ahnung, dass es die Euren sind. Aber ich weiß, wie Kinder sind, und ich wollte nicht entdeckt werden, bevor ich mir nicht einen Reim auf das alles machen konnte.«

»Das alles … Was denn nur?« Endlich fand Brianna die Sprache wieder. Der Mann lächelte kaum merklich.

»Aye, nun ja. Das wisst Ihr und Euer Mann wahrscheinlich besser als ich.«

Brianna zog einen Stuhl unter dem Tisch hervor und setzte sich abrupt hin. Sie winkte dem Mann, das Gleiche zu tun. Als er ins Licht des Fensters trat, sah sie, dass er eine Schürfwunde auf dem Wangenknochen hatte – einem vorstehenden Wangenknochen, der ihr gemeinsam mit der Form von Schläfe und Augenhöhle schrecklich vertraut vorkam, genau wie der Mann selbst. Aber natürlich war er ihr vertraut, dachte sie benommen.

»Weiß er, wer er ist?«, fragte sie, an Roger gewandt, der sich, wie sie jetzt erst bemerkte, die rechte Hand hielt, deren Knöchel zu bluten schienen. Er nickte.

»Ich habe es ihm gesagt. Bin mir aber nicht sicher, ob er mir glaubt.«

Die Küche war so solide und gemütlich wie immer, friedlich in der Herbstsonne, und die blau karierten Geschirrtücher hingen am Herd. Doch momentan fühlte sie sich an wie die Rückseite des Jupiters, und als Brianna nach der Zuckerschale griff, wäre sie nicht überrascht gewesen, wenn ihre Hand einfach hindurchgeglitten wäre.

»Ich bin heute bereit, einiges mehr zu glauben als noch vor drei Monaten«, sagte der Mann in einem trockenen Tonfall, der sie schwach an die Stimme ihres Vaters erinnerte.

Sie schüttelte heftig den Kopf, um ihn freizubekommen, und sagte: »Möchten Sie einen Kaffee?« Ihre höfliche Stimme hätte einer Hausfrau aus einer Fernsehkomödie gehören können.

Sein Gesicht erhellte sich, und er lächelte. Seine Zähne waren fleckig und ein wenig schief. Natürlich sind sie das, dachte sie mit erstaunlicher Klarheit. Es gab ja im achtzehnten Jahrhundert so gut wie keine Zahnärzte. Der Gedanke an das achtzehnte Jahrhundert ließ sie plötzlich aufspringen.

»Sie!«, rief sie aus. »Sie waren schuld, dass Roger gehängt wurde!«

»Das stimmt«, sagte er mit ziemlich ungerührter Miene. »Nicht dass das meine Absicht war. Und wenn er mich dafür noch einmal schlagen möchte, kann er das. Aber –«

»Das war dafür, dass er die Kinder erschreckt hat«, sagte Roger, nicht minder ungerührt. »Über das Hängen … Darüber unterhalten wir uns vielleicht später noch.«

»Schöne Worte für einen Prediger«, sagte der Mann mit einem Hauch von Belustigung. »Nicht dass sich ein Prediger normalerweise an die Frau eines anderen heranmachen würde.«