»Sie haben nicht vielleicht etwas Stärkeres als Kaffee im Haus, a bhanamhaighstir?«
Roger musste ein wenig suchen, bis er in seinem Studierzimmer den Stammbaum fand, den der Reverend vor Jahren gezeichnet hatte. Während er unterwegs war, holte Brianna die Flasche Oban hervor und schenkte William ein ordentliches Glas ein. Ohne zu zögern, goss sie auch Roger und sich selbst Whisky ein und stellte einen Krug mit Wasser auf den Tisch.
»Nehmen Sie ein bisschen Wasser?«, fragte sie höflich. »Oder trinken Sie ihn pur?«
Zu ihrer großen Überraschung griff er sofort nach dem Wasser und ließ ein paar Tropfen in den Whisky laufen. Er sah ihre Miene und lächelte.
»Wenn es billiger Fusel wäre, würde ich ihn so hinunterkippen. Wenn der Whisky es wert ist, dass man ihn trinkt, entfaltet er mit etwas Wasser seinen Geschmack besser. Aber das wussten Sie schon, oder? Obwohl Sie keine Schottin sind.«
»Doch, das bin ich«, sagte sie. »Väterlicherseits. Sein Name ist – war – James Fraser aus Lallybroch. Man nannte ihn den Dunbonnet.«
Er ließ die Augen blinzelnd durch die Küche wandern, dann sah er sie wieder an.
»Dann sind Sie … auch eine?«, sagte er. »Wie Ihr Mann und ich? Auch eine – was auch immer es ist?«
»Was auch immer es ist«, pflichtete sie ihm bei. »Ja. Kannten Sie meinen Vater etwa?«
Er schüttelte den Kopf, nippte mit geschlossenen Augen an seinem Glas und wartete einen Moment ab, während ihm der Whisky durch die Kehle rann.
»Lieber Himmel, ist das gut«, hauchte er und öffnete die Augen. »Nein, ich bin etwa ein Jahr vor Culloden zur Welt gekommen. Ich habe aber als kleiner Junge vom Dunbonnet gehört.«
»Sie haben gesagt, Sie hatten kein Talent zum Farmer«, sagte Brianna nun neugierig. »Was waren Sie denn in Schottland, bevor Sie gegangen sind?«
Er holte tief Luft und atmete durch die Nase aus, genau wie es ihr Vater machte.
Typisch MacKenzie, dachte sie belustigt.
»Ich war Anwalt«, sagte er heftig und ergriff sein Glas.
»Das ist doch einmal ein nützlicher Beruf«, lobte Roger, der gerade rechtzeitig zurückkam, um diese Antwort zu hören. Er betrachtete Buccleigh nachdenklich, dann schüttelte er den Kopf und breitete den Stammbaum der MacKenzies auf dem Tisch aus.
»Da sind Sie«, sagte er und zeigte auf den entsprechenden Eintrag, dann fuhr er mit dem Finger abwärts. »Und hier bin ich.« Buccleigh sah den Stammbaum blinzelnd an, dann beugte er sich tiefer darüber, um ihn genauer zu betrachten. Brianna sah die Bewegung in seiner Kehle, als er ein- oder zweimal schluckte. Sein unrasiertes Gesicht war blass, als er aufblickte.
»Aye, das sind meine Eltern, meine Großeltern. Und hier ist Jem – mein Jem –, genau da, wo er sein sollte. Ich habe aber noch ein Kind«, sagte er plötzlich und wandte sich Brianna zu. »Zumindest glaube ich das. Morag war schwanger, als ich … als ich … gegangen bin.«
Roger setzte sich. Seine Miene hatte etwas von ihrem wütenden Argwohn verloren, und er musterte William Buccleigh mit etwas, das Mitgefühl hätte sein können.
»Erzählen Sie uns davon«, schlug er vor. »Wie Sie gegangen sind.«
Buccleigh schob sein leeres Whiskyglas über den Tisch, wartete aber nicht ab, bis es wieder gefüllt wurde.
Der Besitzer der Plantage, auf der er gearbeitet hatte, war nach der Schlacht von Alamance in den Ruin geraten. Man hatte ihn für seine Beteiligung am Regulatorenaufstand eingekerkert und seinen Besitz konfisziert. Die MacKenzies waren eine Weile ziellos durch das Land gezogen, da sie kein Geld und kein Zuhause hatten, keine nahen Verwandten, die ihnen hätten helfen können.
Brianna wechselte einen raschen Blick mit Roger. Hätte Buccleigh es gewusst – er hatte sich ganz in der Nähe von Verwandten befunden, reichen Verwandten noch dazu. Jocasta Cameron war Dougal MacKenzies Schwester – die Tante dieses Mannes. Hätte er es gewusst.
Sie sah Roger mit fragend hochgezogenen Augenbrauen an, doch er schüttelte sacht den Kopf. Das konnte warten.
Schließlich, erzählte Buccleigh, hatten sie sich entschlossen, nach Schottland zurückzukehren. Morag hatte dort Verwandte, einen Bruder in Inverness, der es zum wohlhabenden Kornhändler gebracht hatte. Morag hatte ihm geschrieben, und er hatte sie zur Rückkehr gedrängt und angeboten, William in seinem Geschäft unterzubringen.
»Damals war ich so weit, dass ich froh gewesen wäre, wenn man mich auf einem Viehfrachtschiff zum Mistschaufeln genommen hätte«, gab Buccleigh seufzend zu. »Ephraim – das ist Morags Bruder, Ephraim Gunn – sagte aber, er könnte eine Schreibkraft brauchen. Und ich kann gut schreiben und rechnen.«
Der Lockruf der Arbeit – einer Arbeit, die er gut verrichten konnte – und eines Ortes, an dem sie leben konnten, hatte ausgereicht, um die kleine Familie erneut zu der gefährlichen Reise über den Atlantik zu bewegen. Ephraim hatte ihnen das Geld für die Überfahrt an eine Bank übersandt, und so waren sie zurückgekehrt und in Edinburgh gelandet, von wo sie sich langsam nach Norden durchgeschlagen hatten.
»Die größte Strecke auf einem Viehwagen.« Buccleigh war bei seinem dritten Glas Whisky, Brianna und Roger lagen nur knapp zurück. Buccleigh goss sich etwas Wasser in sein leeres Glas und spülte sich den Mund, bevor er schluckte, um den Hals freizubekommen. Dann hustete er und fuhr fort.
»Wir hatten einen Speichenbruch – schon wieder – in der Nähe der Stelle, die sie Craigh na Dun nennen. Ich nehme an, Sie wissen beide davon?« Er ließ den Blick zwischen ihnen hin- und herschweifen, und sie nickten. »Aye. Nun ja. Morag fühlte sich nicht gut, und das Kind war auch todmüde, also haben sie sich ein bisschen ins Gras gelegt, um zu schlafen, während das Rad geflickt wurde. Der Viehtreiber hatte einen Kameraden dabei und brauchte meine Hilfe nicht, also bin ich losgegangen, um mir die Beine zu vertreten.«
»Und Sie sind auf den Hügel gestiegen, zu den Steinen«, sagte Brianna, der bei diesem Gedanken eng ums Herz wurde.
»Wissen Sie, was es für ein Datum war?«, warf Roger ein.
»Sommer«, sagte William Buccleigh langsam. »Ungefähr Mittsommer, aber ich könnte den Tag nicht genau beschwören. Warum?«
»Die Sommersonnenwende«, sagte Brianna mit einem kleinen Schluckauf. »Es ist – Wir glauben, dann steht es offen. Das – was immer es ist – an den Sonnenfesten und den Feuerfesten.«
Das Geräusch eines Autos, das die Auffahrt entlangkam, drang schwach zu ihnen, und sie blickten alle drei auf, als hätte man sie bei Heimlichtuereien ertappt.
»Annie und die Kinder. Was machen wir nur mit ihm?«, fragte sie Roger.
Er sah Buccleigh mit zusammengekniffenen Augen an, dann kam ihm ein Gedanke. »Wir müssen uns etwas einfallen lassen, um Ihre Anwesenheit zu erklären«, sagte Roger und stand auf. »Doch für den Moment – kommen Sie mit mir, aye?«
Buccleigh stand widerspruchslos auf und folgte Roger in die Vorratskammer. Sie hörte, wie sich Buccleighs Stimme kurz erstaunt erhob, ein paar leise, erklärende Worte von Roger, dann das knirschende Geräusch, als sie die Bank verrückten, die den Zugang zu ihrem Kellerversteck verbarg.
Wie in Trance erhob sich Brianna hastig, um die drei Gläser wegzuräumen und zu spülen, den Whisky und das Wasser vom Tisch zu nehmen. Als sie den Türklopfer am Eingang hörte, fuhr sie ein wenig zusammen. Doch nicht die Kinder. Wer konnte das sein?
Sie nahm den Stammbaum, eilte durch den Flur und machte einen kurzen Abstecher, um ihn auf Rogers Schreibtisch abzulegen, bevor sie zur Tür ging.
Wie alt ist er?, dachte sie, als sie nach der Klinke griff. Er sieht aus wie Ende dreißig, aber –
»Hi«, sagte Rob Cameron, dessen Gesicht angesichts ihrer Miene einen etwas alarmierten Ausdruck annahm. »Störe ich?«
Rob war hier‚ um Roger ein Buch zurückzubringen, das dieser ihm geliehen hatte, und um eine Einladung auszusprechen: ob Jem wohl Lust hatte, am Freitag mit Bobby ins Kino zu gehen, Fish and Chips zu essen und bei ihm zu übernachten?