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Sie konnte es verstehen. Sie würde sich einem solchen Stein nicht auf eine Meile nähern, es sei denn, um ein Mitglied ihrer Familie vor einem schrecklichen Schicksal zu bewahren. Und selbst dann würde sie es sich zweimal überlegen. Doch sie verdrängte diesen Gedanken und widmete sich wieder ihren Fragen.

»Aber Sie haben doch gesagt, Sie sind zurückgegangen. Was ist passiert?«

Er sah sie hilflos an und breitete die Hände aus.

»Ich weiß nicht, wie ich es Ihnen beschreiben soll. So etwas ist mir noch nie passiert.«

»Versuchen Sie es«, schlug sie vor. Ihr Ton wurde strenger, und er seufzte.

»Aye. Nun, ich bin zu dem Steinkreis hinaufgestiegen, und diesmal konnte ich sie hören – die Steine. Als würden sie sich unterhalten, mit einem Summen wie ein Bienenstock und darunter ein Geräusch, bei dem mir die Nackenhaare zu Berge gestanden haben.«

Am liebsten hätte er kehrtgemacht, um davonzulaufen, doch er hatte an Morag und Jemmy gedacht und beschlossen weiterzugehen. Er war in die Mitte des Kreises getreten, wo sich das Geräusch von allen Seiten auf ihn gestürzt hatte.

»Ich dachte, ich würde den Verstand verlieren«, gestand er unverblümt. »Es hat auch nicht geholfen, mir die Finger in die Ohren zu stecken; es war in mir, als käme es aus meinen Knochen. Ist es bei Ihnen auch so gewesen?«, fragte er übergangslos und sah sie neugierig an.

»Ja, das ist es«, antwortete sie knapp. »Zumindest sehr ähnlich. Weiter. Was haben Sie dann gemacht?«

Er hatte den hohen, gespaltenen Stein gesehen, den er beim ersten Mal durchschritten hatte, hatte Luft geholt, so tief er konnte, und sich hindurchgestürzt.

»Und Sie können mich gern als Lügner beschimpfen«, versicherte er ihr. »Aber ich habe nicht die geringste Ahnung, was als Nächstes passiert ist. Nur, nachdem es passiert war, habe ich zwischen den Steinen im Gras gelegen und in Flammen gestanden.«

Sie sah ihn erschrocken an.

»Meinen Sie das figurativ? Ich meine, haben Ihre Kleider gebrannt, oder hatten Sie nur das Gefühl –«

»Ich weiß, was figurativ bedeutet«, unterbrach er sie mit einem gereizten Unterton. »Ich bin vielleicht nicht das, was Sie sind, aber ich bin gebildet.«

»Tut mir leid«, sagte sie mit einem kleinen entschuldigenden Nicken und bedeutete ihm fortzufahren.

»Jedenfalls habe ich gebrannt, und nein, es war nicht figurativ. Mein Hemd stand in Flammen. Hier –« Er zog den Reißverschluss seiner Windjacke auf und kämpfte mit den Knöpfen von Rogers blauem Batisthemd, um dann die Knopfleisten auseinanderzuziehen und ihr den roten Fleck einer abheilenden Brandverletzung auf seiner Brust zu zeigen. Er hätte es sofort wieder zugeknöpft, doch sie hinderte ihn mit einer Geste daran und beugte sich vor, um sich die Verletzung näher anzusehen. Sie schien über seinem Herzen zu liegen. Hatte das etwas zu sagen?, fragte sie sich.

»Danke«, sagte sie und richtete sich auf. »Was – woran haben Sie denn gedacht, als Sie durch den Stein geschritten sind?«

Er starrte sie an.

»Ich habe daran gedacht, dass ich zurückwollte, was sonst?«

»Ja, natürlich. Aber haben Sie an jemand Bestimmten gedacht? An Morag, meine ich, oder an Ihren Jem?«

Ein außergewöhnlicher Ausdruck – Beschämung? Verlegenheit? – wanderte über sein Gesicht hinweg, und er wandte den Blick ab.

»Ja«, sagte er knapp, und sie wusste, dass er log, auch wenn sie sich nicht vorstellen konnte, warum. Er hustete und fuhr hastig fort.

»Nun denn. Ich habe mich im Gras gewälzt, um es zu löschen, und dann habe ich mich übergeben. Ich bin eine ganze Weile liegen geblieben, weil ich nicht die Kraft hatte aufzustehen. Ich weiß nicht, wie lange, aber lange. Sie wissen doch, wie es zur Mittsommerzeit hier ist? Dieses milchige Licht, wenn man die Sonne zwar nicht sehen kann, sie aber nicht wirklich fort ist?«

»Mittsommerdämmerung«, murmelte sie. »Aye – ich meine, ja, ich weiß. Und haben Sie es noch einmal versucht?«

Diesmal war es Beschämung. Die Sonne stand tief, und die Wolken glühten in einem dumpfen Orange, das See und Hügel plötzlich erröten ließ, doch sie konnte trotzdem die dunklere Röte sehen, die sich über seine breiten Wangenknochen breitete.

»Nein«, murmelte er. »Ich hatte Angst.«

Obwohl sie ihm misstraute und ihre Wut über das, was er Roger angetan hatte, nicht ganz abschütteln konnte, verspürte sie bei diesem Eingeständnis schlagartig Mitgefühl. Sie und Roger hatten schließlich beide mehr oder weniger gewusst, worauf sie sich einließen. Ihn hatte es völlig unerwartet getroffen, und er wusste immer noch so gut wie nichts.

»Ich hätte auch Angst gehabt«, sagte sie. »Haben Sie –?«

Hinter ihr erklang ein Ruf, der sie unterbrach, und als sie sich umdrehte, sah sie Rob Cameron am Flussufer entlanglaufen. Er winkte und kam keuchend zu ihnen auf die Brücke gerannt.

»Hi, Boss«, sagte er und grinste sie an. »Hab Sie auf dem Nachhauseweg gesehen. Wenn Sie freihaben, wüsste ich gern, ob wir noch etwas trinken gehen? Ihr Freund natürlich auch«, fügte er hinzu und nickte William Buccleigh freundlich zu.

Damit blieb ihr natürlich nichts anderes übrig, als die beiden Männer einander vorzustellen – Buck mit der Geschichte, die sie abgesprochen hatten: ein Verwandter, der für ein paar Tage in der Stadt war und bei ihnen übernachtete. Sie lehnte Robs Einladung höflich ab und sagte, sie müsste zum Abendessen der Kinder zu Hause sein.

»Dann eben ein andermal«, sagte Rob unbekümmert. »Nett, Sie kennenzulernen, Kumpel.« Leichtfüßig wie eine Gazelle lief er wieder davon, und als sie sich zurückwandte, sah sie, dass William Buccleigh ihm mit zusammengekniffenen Augen nachschaute.

»Was?«, wollte sie wissen.

»Dieser Mann hat es auf Sie abgesehen«, sagte er abrupt und wandte sich ihr zu. »Weiß Ihr Ehemann davon?«

»Das ist doch lächerlich«, sagte sie nicht minder abrupt. Doch ihr Herzschlag hatte sich bei seinen Worten beschleunigt, und das gefiel ihr gar nicht. »Ich arbeite mit ihm zusammen. Er ist mit Roger bei den Freimaurern, und sie unterhalten sich über alte Lieder. Das ist alles.«

Er stieß eines dieser schottischen Geräusche aus, die Anzüglichkeiten aller Art ausdrücken konnten, und schüttelte den Kopf.

»Ich bin vielleicht nicht das, was Sie sind«, sagte er und lächelte unangenehm. »Aber ich bin auch kein Dummkopf.«

Kapitel 73

Ein verlorenes Schäfchen kehrt zurück

24. November 1777

Philadelphia

Lord John Grey brauchte dringend einen Kammerdiener. Er hatte zwar eine Person angestellt, die sich als solchen bezeichnete, den Mann jedoch mehr als nutzlos gefunden, und ein Dieb war er obendrein. Er hatte ihn dabei erwischt, wie er sich Teelöffel in die Hose steckte, und ihn entlassen, nachdem er die Löffel mit Gewalt zurückerobert hatte. Eigentlich hätte er den Mann wohl festnehmen lassen sollen, doch er war sich nicht sicher, was der örtliche Konstabler wohl tun würde, wenn er von einem britischen Offizier gerufen wurde.

Der Großteil der britischen Kriegsgefangenen war aus der Stadt geholt worden, als Howes Armee näher rückte; die Amerikaner wollten sie behalten, um sie auszutauschen. Henry jedoch nicht.

Er bürstete seine Uniform selbst sauber und dachte dabei vergrämt nach. Er trug sie inzwischen täglich, um Henry und Dottie zu schützen. Er war zwar seit Jahren nicht mehr aktiv im Dienst, doch anders als die meisten ehemaligen Soldaten hatte er sein Oberstleutnantspatent nicht zurückgegeben. Er war sich nicht sicher, was Hal getan hätte, wenn er versucht hätte, es zurückzugeben. Doch da es ein Patent in Hals eigenem Regiment war und Grey es nicht nötig hatte, es zu verkaufen, erübrigte sich die Frage.

Einer der Knöpfe war lose. Er holte das Nähzeug aus seiner Ausrüstung hervor, fädelte ein Stück Nähgarn ein, ohne zu blinzeln, und befestigte den Knopf wieder an seinem Rock. Er empfand einen Hauch von Genugtuung, was jedoch nur zeigte, wie wenig Kontrolle er derzeit über die Dinge hatte – so wenig, dass ihn schon eine erfolgreich durchgeführte Näharbeit zufriedenstellte.