»Bei unserer letzten Begegnung in Wilmington waren sie noch munter«, beruhigte ihn Jamie. »Tief betrübt über Eure Abwesenheit, doch ihnen selbst ging es gut.«
Mr Bell bemühte sich verzweifelt um die Kontrolle über seine Gesichtszüge, doch die Anstrengung machte ihn sprachlos. Jamie beugte sich über die Ladentheke und berührte ihn sanft am Arm.
»Lest Eure Briefe, Mann«, schlug er vor. »Unsere sonstigen Angelegenheiten können warten.«
Mr Bells Mund öffnete sich ein- oder zweimal tonlos, dann nickte er hastig, fuhr herum und stürzte durch die Tür, die ins Hinterzimmer führte.
Ich seufzte, und Jamie blickte lächelnd auf mich hinunter.
»Es ist schön, wenn etwas gut wird, nicht wahr?«, sagte ich.
»Noch ist es ja nicht gut«, wandte er ein, »aber bald.« Dann zog er seine neue Brille aus dem Sporran, setzte sie auf, schlug die Klappe in der Ladentheke zurück und schritt zielsicher hindurch.
»Es ist meine Presse!«, rief er anklagend aus und umrundete die gigantische Maschine wie ein Falke, der über seiner Beute kreist.
»Wenn du das sagst – aber woher weißt du das?« Ich folgte ihm vorsichtig und hielt meine Röcke von der tintenfleckigen Druckerpresse fern.
»Nun, zum einen steht mein Name darauf«, sagte er und bückte sich, um unter die Presse zu zeigen. »Zumindest Teile davon.« Indem ich den Kopf verdrehte und die Augen zusammenkniff, machte ich die Worte Alex. Malcolm aus, die in die Unterseite eines kleinen Balkens eingraviert waren.
»Anscheinend funktioniert sie ja noch bestens«, stellte ich fest, während ich mich wieder aufrichtete und mich nach den Stichen, Balladen und anderen in der Werkstatt ausgestellten Beispielen der Druck- und der Gravurkunst umsah.
»Hmpfm.« Er probierte die beweglichen Teile der Presse aus und untersuchte die gesamte Maschine peinlich genau, bevor er widerstrebend einräumte, dass sie in der Tat in gutem Zustand zu sein schien. Dennoch war sein Blick finster.
»Und ich habe dem kleinen Schurken die ganzen Jahre Geld dafür bezahlt, dass er sie für mich aufbewahrt«, brummte er. Er richtete sich auf und warf einen missmutigen Blick auf die Druckerpresse. Unterdessen hatte ich mich auf den Tischen an der Vorderseite umgesehen, auf denen Bücher und Pamphlete zum Verkauf lagen, und eines der Letzteren ergriffen, das oben den Titel Encyclopedia Britannica trug und darunter »Laudanum«.
Opiumtinktur oder flüssiges Laudanum, auch Thebaintinktur genannt, wird folgendermaßen hergestellt: Man nehme eine Unze Opium, je eine Drachme Zimt und Nelken und ein Pint Weißwein, lasse alles zusammen eine Woche ziehen, ohne es zu erhitzen, und lasse es dann durch einen Papierfilter laufen.
Opium wird gegenwärtig sehr geschätzt und ist eine der wertvollsten gemeinen Arzneien. Äußerlich angewendet, wirkt es beruhigend, entspannend und diskussiv, zudem fördert es die Eiterung: Wenn man es lange auf der Haut belässt, entfernt es die Haare und löst stets einen Juckreiz aus; manchmal führt es zur Zersetzung der Haut oder ruft an empfindlichen Stellen kleine Bläschen hervor; manchmal lindert es bei äußerlicher Anwendung den Schmerz und führt sogar den Schlaf herbei; doch darf es keinesfalls am Kopf angewendet werden, vor allem nicht in der Nähe der Schädelnähte, weil es dort schon schlimme Wirkungen gezeigt und sogar zum Tod geführt hat. Bei interner Anwendung vermindert es die Melancholie, lindert den Schmerz und beeinflusst den Schlaf; in vielen Fällen beseitigt es Blutungen und löst den Schweiß aus.
Die gebräuchliche Dosis liegt im Allgemeinen unter einem Gran …
»Weißt du, was ›diskussiv‹ bedeutet?«, fragte ich Jamie, der den Drucksatz in der Presse las und dabei die Stirn runzelte.
»Ja. Es bedeutet, dass das, wovon die Rede ist, etwas auflösen kann. Warum?«
»Ah. Vielleicht ist es ja deshalb keine gute Idee, Laudanum an den Schädelnähten anzuwenden.«
Er warf mir einen verblüfften Blick zu.
»Warum sollte man das denn tun?«
»Ich habe nicht die geringste Ahnung.« Fasziniert wandte ich mich wieder den Pamphleten zu. Eines davon, das »Der Mutterleib« betitelt war, enthielt einige ausgezeichnete Kupferstiche eines sezierten weiblichen Beckens und der inneren Organe aus verschiedenen Blickwinkeln sowie Bilder eines Fötus in verschiedenen Entwicklungsstadien. Wenn dies Mr Bells Werk war, dachte ich, so war er sowohl ein exzellenter Handwerker als auch ein sehr aufmerksamer Beobachter.
»Hast du einen Penny? Ich möchte das gern kaufen.«
Jamie kramte in seinem Sporran herum und legte einen Penny auf die Ladentheke, warf einen Blick auf das Pamphlet in meiner Hand und fuhr zurück.
»Heilige Mutter Gottes«, sagte er und bekreuzigte sich.
»Nun, sie wahrscheinlich nicht gerade«, sagte ich nachsichtig. »Auf jeden Fall aber war es eine Mutter.« Bevor er darauf antworten konnte, kam Richard Bell mit roten Augen, aber gefasst aus dem Hinterzimmer und nahm Jamie bei der Hand.
»Ihr macht Euch kein Bild davon, was Ihr für mich getan habt, Mr Fraser«, sagte er aufrichtig. »Wenn Ihr mir tatsächlich helfen könnt, zu meiner Familie zurückzukehren, dann – dann – nun, eigentlich weiß ich gar nicht, was ich tun könnte, um Euch meine Dankbarkeit zu beweisen. Doch Ihr könnt Euch sicher sein, dass Ihr für immer meinen Segen habt.«
»Und dafür bin ich Euch sehr dankbar«, sagte Jamie lächelnd zu ihm. »Es ist durchaus möglich, dass Ihr mir einen kleinen Dienst erweisen könnt, doch wenn nicht, danke ich Euch für Euren Segen.«
»Wenn ich nur das Geringste tun kann, Sir, irgendetwas!«, versicherte Bell ihm inbrünstig. Dann stahl sich ein leises Zögern über sein Gesicht – wahrscheinlich war ihm irgendetwas eingefallen, was ihm seine Frau über Jamie geschrieben hatte. »Solange es kein … kein Hochverrat ist, muss ich sagen.«
»Och, nein. Mit Verrat hat es nichts zu tun«, versicherte ihm Jamie, und wir verabschiedeten uns.
Ich aß einen Löffel Austerneintopf und schloss ekstatisch die Augen. Wir waren ein wenig verfrüht gekommen, um einen Platz am Fenster zur Straße zu ergattern, doch dann hatte sich das Speiselokal schnell gefüllt, und das Durcheinander aus klirrendem Besteck und Stimmen war ohrenbetäubend.
»Bist du sicher, dass er noch nicht hier ist?«, sagte ich und beugte mich dabei über den Tisch, um mir Gehör zu verschaffen. Jamie schüttelte den Kopf und ließ sich selig den kalten Moselwein durch den Mund gleiten.
»Du wirst schon merken, wenn er kommt«, prophezeite er und schluckte genüsslich.
»Also schön. Welche nicht-hochverräterische Aufgabe hast du denn für den armen Mr Bell als Bezahlung für seine Heimfahrt im Sinn?«
»Ich habe vor, ihm auf der Reise meine Druckerpresse anzuvertrauen.«
»Was, du willst deine Herzallerliebste einem völlig Fremden anvertrauen?«, fragte ich belustigt. Er warf mir einen giftigen Blick zu, kaute aber seinen Bissen Brot zu Ende, bevor er antwortete.
»Ich gehe nicht davon aus, dass er sie missbrauchen wird. Er wird ja wohl kaum während der Überfahrt eine Tausenderauflage von Clarissa mit ihr drucken.«
»Oh, es ist also tatsächlich eine sie, wie?«, sagte ich amüsiert. »Und wie lautet ihr Name, wenn ich fragen darf?«
Er errötete ein wenig und widmete seine Aufmerksamkeit sorgfältig einer besonders fleischigen Auster, um sie auf seinen Löffel zu schieben. Schließlich murmelte er »Bonnie«, bevor er sie vertilgte.
Ich lachte, doch bevor ich weiter nachfragen konnte, mischte sich ein neues Geräusch unter den Lärm, und die Leute begannen, ihre Löffel niederzulegen und sich mit gereckten Hälsen zu erheben, um aus dem Fenster sehen zu können.
»Das ist dann wohl Andy«, sagte Jamie zu mir.