Ich spähte auf die Straße und sah eine kleine Traube von Jungen und Passanten, die unter lautem Jubel applaudierte. Als ich ihrer Blickrichtung folgte, entdeckte ich eines der größten Pferde, die ich je gesehen hatte – zwar kein Kaltblut, aber ein gigantischer Wallach, der fast eins achtzig maß, sofern mein ungeübtes Auge dies beurteilen konnte.
Auf seinem Rücken saß kerzengerade ein sehr kleiner Mann, der den Beifall der Menge königlich ignorierte. Er kam direkt unter uns zum Halten, griff hinter sich und löste ein hölzernes Viereck vom Sattel. Als er dieses schüttelte, entpuppte es sich als hölzerne Klappleiter, und eines der Straßenkinder rannte herbei, um sie am Fuß festzuhalten, während Mr Andrew Bell – denn es konnte kein anderer sein – unter dem Applaus der Passanten abstieg. Er warf dem Kind, das ihm die Leiter festgehalten hatte, eine Münze zu, genau wie dem Jungen, der sein Pferd am Kopf festgehalten hatte, und verschwand aus meinem Blickfeld.
Einige Sekunden später trat er durch die Tür in das Speisezimmer, zog seinen Hut ab und verneigte sich elegant vor den zahlreichen Gästen, die ihn begrüßten. Jamie hob die Hand, rief so laut »Andy Bell!«, dass es die Geräuschkulisse durchdrang, und der kleine Mann wandte überrascht den Kopf in unsere Richtung. Ich beobachtete fasziniert, wie er auf uns zukam, während sich langsam ein Grinsen in seinem Gesicht ausbreitete.
Ich konnte nicht sagen, ob er von Geburt an zwergwüchsig war oder ob er nur an den Folgen schwerer Mangelernährung und einer Rückgratverkrümmung in seiner Jugend litt, doch seine Beine waren zu kurz für seinen Oberkörper und seine Schultern schief. Er war nur wenig über eins zwanzig groß, und sein Scheitel – auf dem eine äußerst modische Perücke saß – war das Einzige, das auf seinem Weg zwischen den Tischen hindurch zu sehen war.
Diese Aspekte seiner Erscheinung verblassten jedoch zur Bedeutungslosigkeit, als er näher kam und ich sein auffallendstes Körperteil bemerkte. Andrew Bell hatte die größte Nase, die ich je gesehen hatte, und ich hatte in meinem bewegten Leben schon eine ganze Reihe außergewöhnlicher Exemplare gesehen. Sie begann zwischen seinen Augenbrauen und schwang sich ein kleines Stück sanft abwärts, als hätte die Natur eigentlich vorgehabt, ihn mit dem Profil eines römischen Kaisers auszustatten. Irgendetwas war bei der Ausführung dieses Plans jedoch schiefgegangen, und so haftete diesem vielversprechenden Beginn etwas an, das aussah wie eine kleine Kartoffel. Knubbelig, rot und unübersehbar.
Und sie wurde auch nicht übersehen; er hatte unseren Tisch fast erreicht, als ihn eine junge Dame am Nebentisch erblickte, lauthals nach Luft schnappte und sich dann die Hand vor den Mund schlug, was jedoch nicht reichte, um ihr Kichern zu unterdrücken.
Mr Bell hörte sie, und ohne stehen zu bleiben, griff er in seine Tasche und zog eine immense, mit roten Sternchen verzierte Pappnase hervor, die er sich über die eigene Nase stülpte. Er warf der jungen Dame einen eisigen Blick zu und ging vorüber.
»Meine Liebe«, sagte Jamie zu mir und grinste, als er sich erhob und dem kleinen Graveur eine Hand entgegenhielt, »darf ich dir meinen Freund Andy Bell vorstellen? Meine Frau, Andy. Ihr Name ist Claire.«
»Ich bin entzückt, Madame«, sagte er, während er die falsche Nase abnahm und sich dicht über meine Hand beugte. »Wann bist du denn zu diesem raren Geschöpf gekommen, Jamie? Und was will solch ein hübsches Wesen mit einem ungehobelten Klotz wie dir, frage ich mich.«
»Ich habe sie in die Ehe gelockt, indem ich ihr die Vorzüge meiner Druckerpresse beschrieben habe«, erklärte Jamie trocken. Er setzte sich wieder und lud Andy Bell ein, sich uns anzuschließen.
»Ah«, sagte Andy und musterte Jamie scharf. Dieser zog die Augenbrauen hoch. »Hmm. Wie ich sehe, seid Ihr in der Druckerei gewesen.« Er wies kopfnickend auf meine Handtasche, aus der die obere Hälfte des Pamphlets herausragte, das ich gekauft hatte.
»Ja«, sagte ich, dankbar über das Thema, und zog das Pamphlet hervor. Ich glaubte zwar nicht, dass Jamie vorhatte, Andy Bell wie einen Käfer zu zertreten, weil sich dieser einfach seiner Druckerpresse bedient hatte, doch seine innige Beziehung mit »Bonnie« war mir neu, und ich war mir nicht sicher, wie tief sein verletzter Besitzerstolz saß.
»Das ist eine bemerkenswert gute Arbeit«, sagte ich in aller Aufrichtigkeit zu Mr Bell. »Sagt mir, wie viele verschiedene Präparate habt Ihr benutzt?«
Er blinzelte ein wenig, antwortete mir jedoch bereitwillig, und es folgte eine angenehme – wenn auch ziemlich gruselige – Unterhaltung über die Schwierigkeiten einer Sezierung bei warmem Wetter und die Vor- und Nachteile der Konservierung mit einer Salzlösung gegenüber dem Alkohol. Dies hatte zur Folge, dass die Gäste am Nebentisch hastig ihre Mahlzeit beendeten und uns mit kaum verhohlenem Entsetzen ansahen, während sie gingen. Jamie saß mit freundlicher Miene zurückgelehnt da, hielt den Blick jedoch unverwandt auf Andy Bell gerichtet.
Den kleinen Drucker schien sein durchdringender Blick nicht sehr zu stören, und er erzählte mir von den Reaktionen auf die Veröffentlichung der gebundenen Ausgabe der Enzyklopädie – irgendwie hatte der König die Platten mit dem »Mutterleib« zu Gesicht bekommen und angeordnet, dass diese Seiten aus dem Buch entfernt wurden, dieser deutsche Ignorant! –, doch als der Kellner kam, um seine Bestellung aufzunehmen, orderte er einen sehr teuren Wein und eine große Flasche guten Whisky.
»Was, Whisky zu den Muscheln?«, entfuhr es dem erstaunten Kellner.
»Nein«, sagte Bell mit einem Seufzer und schob sich die Perücke aus der Stirn. »Als Bezahlung für das Konkubinat. Wenn das denn die Bezeichnung dafür ist, wenn man die Dienste der Geliebten eines Mannes in Anspruch nimmt.«
Jetzt richtete der Kellner den erstaunten Blick auf mich, dann wurde er leuchtend rot und entfernte sich hustend.
Jamie sah seinen Freund, der sich jetzt gelassen ein Stück Brot mit Butter bestrich, mit zusammengekniffenen Augen an.
»Whisky wird aber nicht reichen, Andy.«
Andy Bell seufzte und kratzte sich die Nase.
»Aye, nun denn«, sagte er. »Sprich.«
Ian erwartete uns vor dem kleinen Hotel, wo er sich auf der Straße mit ein paar Bierkutschern unterhielt. Als er uns sah, verabschiedete er sich, schob sich unauffällig ein kleines Päckchen in den Rock und trat mit uns ein. Es war Zeit für den Nachmittagstee, den uns Jamie auf unser Zimmer bringen ließ, damit wir unter uns sein konnten.
Was unser Quartier betraf, so hatten wir uns nicht lumpen lassen und eine ganze Suite gemietet. Der Tee wurde nun im Salon aufgetragen, eine appetitliche Zusammenstellung von gegrilltem Schellfisch, Schottischen Eiern, Toast mit Marmelade und Scones mit Konfitüre und Rahm, begleitet von einer großen Kanne mit starkem schwarzem Tee. Ich atmete den duftenden Dampf ein, der vom Tisch aufstieg, und seufzte vor Vergnügen.
»Es wird wirklich ein Schock sein, wieder ohne Tee auskommen zu müssen«, stellte ich fest, während ich allen einschenkte. »In Amerika werden wir doch während der nächsten drei oder vier Jahre keinen bekommen. Oder?«
»Oh, das würde ich so nicht sehen«, wandte Jamie ein. »Das kommt darauf an, wohin wir zurückgehen, aye? An zivilisierten Orten wie Philadelphia oder Charleston gibt es Tee. Man braucht nur mit dem einen oder anderen guten Schmuggler bekannt zu sein, und wenn sie Kapitän Hickman bis zu unserer Rückkehr nicht gehängt oder versenkt haben …«
Ich stellte meine Tasse hin und starrte ihn an.
»Du willst mir doch nicht sagen, dass du nicht vorhast, nach Hau … nach Fraser’s Ridge zurückzugehen?« Ich empfand eine plötzliche Leere in der Magengrube bei dem Gedanken an die Pläne für unser neues Haus, den Duft der Balsamfichten und die Stille der Berge. Hatte er wirklich vor, nach Boston oder Philadelphia zu ziehen?
»Nein«, sagte er überrascht. »Natürlich kehren wir dorthin zurück. Aber wenn ich ins Druckergewerbe einsteigen will, Sassenach, werden wir eine Weile in einer Stadt leben müssen, nicht wahr? Nur, bis der Krieg zu Ende ist«, sagte er ermutigend.