Ich fragte mich, ob es sie wohl freute, dass wir ihn heimgebracht hatten. Wäre es nicht besser gewesen, einfach nur zu wissen, dass er in der Fremde gestorben war, während er seinen Dienst erfüllte – und zwar hervorragend –, als mit den bestürzend kläglichen Überresten ihres Mannes konfrontiert zu werden, ganz gleich, wie gekonnt diese verpackt sein mochten?
Doch wenn sie schon nicht froh war, so genoss sie es doch zumindest ein wenig, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Ihr zerknittertes Gesicht hatte im Lauf der abendlichen Festivitäten Farbe angenommen und schien sich etwas zu glätten. Und nun schritt sie unbeirrt über die Furchen hinweg, die der Sarg ihres Mannes in die Straße grub.
Es war Hughs Schuld. Er war Simons älterer Bruder, der Herr von Balnain – ein spindeldürrer, kleiner alter Mann, der kaum größer war als seine Schwägerin, den Kopf aber voller romantischer Flausen hatte. Er hatte erklärt, der tapferste Krieger, den die Familie hervorgebracht hatte, sollte seine letzte Ruhestätte nicht schlicht auf dem Familienfriedhof finden, sondern an einem Ort, der seiner würdiger war.
Endlich kam Corrimony in Sicht. Jamie hatte gesagt, der Name bedeute »eine Senke im Moor«, und das war es auch. Inmitten der runden Mulde in Gras und Heide erhob sich eine flache Kuppel; beim Näherkommen sah ich, dass sie aus Tausenden und Abertausenden großer Flusskiesel bestand, die teilweise faustgroß waren, teilweise so groß wie ein Menschenkopf. Umgeben war dieser dunkle, im Regen glänzende Grabhügel von einem Kreis aufrechter Steine.
Unwillkürlich klammerte ich mich an Jamies Arm. Er sah mich überrascht an, dann begriff er, was ich sah, und runzelte die Stirn.
»Hörst du irgendetwas, Sassenach?«, murmelte er.
»Nur den Wind.« Dieser stöhnte schon die ganze Zeit so laut mit dem Leichenzug um die Wette, dass er den Mann, der vor dem Sarg das Coronach intonierte, mehr oder weniger übertönte, doch als wir auf das offene Moor hinaustraten, nahm er zu und wurde schriller – und ließ unsere Umhänge und Röcke flattern wie Rabenflügel.
Ich behielt die Steine argwöhnisch im Auge, spürte aber nichts, als wir vor dem Grabhügel zum Stehen kamen. Es war ein Passagengrab von der Art, die man Clava Cairns nannte; ich hatte keine Ahnung, was das bedeutete, doch Onkel Lamb hatte Fotos von vielen solcher Fundorte gehabt. Die Passage orientierte sich zu einem bestimmten Datum an einem bestimmten Gestirn. Ich hob meinen Blick zum bleiernen, weinenden Himmel empor und beschloss, dass heute wohl ohnehin nicht der richtige Tag war.
»Wir wissen nicht, wer hier begraben liegt«, hatte uns Hugh am Vortag erklärt. »Doch es muss ein großer Clanhäuptling gewesen sein. Sonst hätte sich ja niemand die Mühe gemacht, ihm ein solches Grab zu errichten!«
»Aye, gewiss«, hatte Jamie gesagt und diplomatisch hinzugefügt: »Und dieser große Häuptling liegt dort jetzt nicht mehr?«
»O nein«, versicherte uns Hugh. »Die Erde hat ihn sich schon lange genommen. Man sieht nur noch einen kleinen Fleck, wo seine Knochen waren. Und ihr braucht auch keine Angst zu haben, dass ein Fluch auf dem Ort liegt.«
»Oh, gut«, murmelte ich, doch er beachtete mich nicht.
»Irgendeine Vorwitznase hat das Grab vor über hundert Jahren geöffnet; wenn es also einen Fluch gab, hat er sich gewiss an ihn geheftet.«
Das war tröstlich, und tatsächlich schien sich keiner der Anwesenden in der Nähe des Grabes beklommen zu fühlen. Allerdings war es genauso gut möglich, dass sie alle schon so lange mit seinem Anblick lebten, dass es für sie nicht mehr war als ein Teil der Landschaft.
Jetzt diskutierten sie über ihr weiteres Vorgehen. Die Augen der Männer waren kopfschüttelnd und skeptisch auf den Grabhügel gerichtet und zeigten abwechselnd auf die offene Passage, die in die Grabkammer führte, und zur Spitze des Hügelgrabs, deren Steine entweder entfernt oder heruntergefallen und fortgeräumt worden waren. Die Frauen drängten sich dichter aneinander und warteten. Wir waren am Vortag benebelt vor Erschöpfung angekommen, und sie waren mir zwar alle vorgestellt worden, doch es fiel mir schwer, den richtigen Gesichtern die richtigen Namen zuzuordnen. Ohnehin sahen sich ihre Gesichter alle ähnlich – schmal, abgehärmt und blass. Und sie strahlten chronische Erschöpfung aus, eine Müdigkeit, die nicht allein von der Totenwache kam.
Ich musste mich plötzlich an Mrs Bugs Begräbnis erinnern. Wir hatten es in aller Hast improvisiert – und doch hatten die Trauernden Würde und aufrichtigen Schmerz an den Tag gelegt. Ich hatte den Eindruck, dass diese Menschen Simon Fraser kaum gekannt hatten.
Wie viel besser wäre es doch gewesen, seinen letzten Wunsch zu beherzigen und ihn bei seinen gefallenen Kameraden auf dem Schlachtfeld zu lassen, dachte ich. Doch wer auch immer gesagt hatte, dass Beerdigungen vor allem für die Lebenden da waren, hatte recht.
Das Gefühl des Versagens und der Vergeblichkeit, das auf die Niederlage bei Saratoga gefolgt war, hatte bei seinen Offizieren die Entschlossenheit hervorgerufen, irgendetwas zu bewerkstelligen, den Mann, den sie geliebt, und den Soldaten, den sie respektiert hatten, mit einer würdigen Geste zu ehren. Vielleicht hatten sie ihn ja auch heimschicken wollen, weil sie selbst solche Sehnsucht nach der Heimat hatten.
Genau dieses Gefühl des Versagens – gepaart mit einer zutiefst romantischen Ader – war es zweifellos auch gewesen, das General Burgoyne dazu bewogen hatte, auf dieser Geste zu beharren; wahrscheinlich betrachtete er es als persönliche Ehrensache. Und dann Hugh Fraser, der seit der Katastrophe von Culloden selbst von der Hand in den Mund leben musste und angesichts der unerwarteten Heimkehr seines jüngeren Bruders nicht in der Lage war, für ein grandioses Begräbnis zu sorgen, gleichzeitig aber selbst ein großer Romantiker war … Und am Ende diese seltsame Prozession, die Simon Fraser in eine Heimat führte, die nicht mehr die seine war, zu einer Frau, für die er ein Fremder war.
Und Ungestüm wird ihn von seinem Ort treiben. An diese Zeile musste ich denken, als die Männer jetzt zu ihrem Entschluss fanden und begannen, dem Sarg die Räder abzunehmen. Gemeinsam mit den anderen Frauen war ich näher gekommen und stand jetzt unmittelbar neben einem der Steine, die das Grab umringten. Sie waren kleiner als die Steine von Craigh na Dun – zwischen einem halben und einem Meter hoch. Ich folgte einem plötzlichen Impuls, streckte die Hand aus und berührte den Stein.
Ich hatte nicht damit gerechnet, dass irgendetwas geschehen würde, und so war es glücklicherweise auch. Obwohl es die Stimmung beträchtlich belebt hätte, wenn ich inmitten der Beerdigungsgesellschaft plötzlich verschwunden wäre.
Kein Summen, kein Kreischen, keine Ausstrahlung. Es war nur ein Stein. Schließlich, so dachte ich, gab es ja auch keinen Grund, warum alle Megalithe Zeitportale markieren sollten. Wahrscheinlich hatten die alten Baumeister die Steine ja aufgestellt, um Orte von Bedeutung zu markieren – und ein Grabhügel wie dieser war gewiss ein solcher Ort gewesen. Ich fragte mich, was für ein Mann – oder vielleicht eine Frau? – wohl hier gelegen und nicht mehr als ein Echo seiner Gebeine zurückgelassen hatte, so viel vergänglicher als die Steine, die ihnen Schutz geboten hatten.
Der Sarg wurde auf den Boden gestellt und – unter heftigem Grunzen und Schnaufen – durch die Passage in die Grabkammer im Zentrum des Bauwerkes geschoben. Eine große flache Steinplatte mit merkwürdigen Einkerbungen – die wahrscheinlich von den ursprünglichen Erbauern stammten – lehnte an der Seite des Grabhügels. Vier der kräftigsten Männer packten sie und schoben sie langsam auf den Grabhügel, um das Loch über der Grabkammer zu schließen.