Die Platte senkte sich mit einem gedämpften Geräusch an ihren Platz, und ein paar kleine Steine kullerten zu Boden. Dann kamen die Männer herunter, und wir standen alle ausgesprochen verlegen herum und fragten uns, was wir als Nächstes tun sollten.
Wir hatten keinen Priester dabei. Die Totenmesse für Simon war vorhin in einer kleinen, nackten Steinkirche gelesen worden, vor der Prozession zu diesem durch und durch heidnischen Begräbnis. Offenbar hatten Hughs Nachforschungen nichts zutage gefördert, was die passenden Riten beschrieben hätte.
Gerade, als es den Anschein hatte, dass uns nichts anderes übrig bleiben würde, als uns einfach abzuwenden und zur Farm zurückzustapfen, hustete Ian heftig und trat vor.
Der ganze Leichenzug war extrem farblos, kein Vergleich mit den leuchtend bunten Tartanstoffen, die solche Highlandzeremonien früher geziert hatten. Selbst Jamie sah in seinem Umhang unauffällig aus, und sein Haar war mit einem dunklen Schlapphut bedeckt. Die einzige Ausnahme von der allgemeinen Düsterkeit war Ian.
Er hatte viele Blicke auf sich gezogen, als er heute Morgen die Treppe heruntergekommen war, und auch jetzt wurde er angestarrt. Mit gutem Grund. Er hatte sich den Großteil seines Kopfes kahl geschoren und den restlichen Haarstreifen in der Mitte seines Schädels zu einem steifen Kamm gefettet, an dem er ein Ornament aus baumelnden Truthahnfedern und einem durchbohrten Sixpencestück befestigt hatte. Er hatte zwar seinen Umhang umgelegt, doch darunter trug er seine abgenutzte Lederkleidung mit dem blau-weißen Wampum-Armschmuck, den ihm Emily, seine Frau, angefertigt hatte.
Jamie hatte ihn bei seinem Erscheinen von oben bis unten betrachtet und den Mundwinkel nach oben verzogen.
»Es wird nichts ändern, aye?«, sagte er leise zu Ian, als wir auf die Tür zuhielten. »Sie werden trotzdem wissen, wer du bist.«
»Meinst du?«, hatte Ian gesagt, um dann jedoch geduckt in den Regen zu treten, ohne eine Antwort abzuwarten.
Jamie hatte zweifellos recht gehabt; die Indianeraufmachung war die Generalprobe für seine Ankunft in Lallybroch, denn dorthin würden wir aufbrechen, sobald Simons Sarg ordentlich verabschiedet und ein letzter Whisky getrunken war.
Doch auch jetzt erwies sie sich als nützlich. Ian legte langsam seinen Umhang ab und reichte ihn Jamie, dann schritt er zum Eingang der Passage und wandte sich den Trauergästen zu – die diese Erscheinung mit großen Augen beobachteten. Er breitete die Hände aus, schloss die Augen, legte den Kopf zurück, sodass ihm der Regen über das Gesicht lief, und begann, in der Mohawksprache zu singen. Er war kein großer Sänger, und seine Stimme war von der Erkältung so heiser, dass viele Worte abbrachen oder ganz verschwanden, doch am Anfang fing ich Simons Namen auf. Der Totengesang des Generals. Er dauerte nicht lange, doch als Ian die Hände sinken ließ, ging ein kollektiver Seufzer durch die Versammlung.
Ian schritt davon, ohne sich umzusehen, und die Trauergäste folgten ihm ohne ein Wort. Es war vorbei.
Kapitel 76
Wenn der Wind weht
Das Wetter blieb weiterhin grauenvoll, und jetzt mischte sich auch hin und wieder Schneegestöber unter den Regen, sodass uns Hugh zum Bleiben drängte, wenigstens ein paar Tage, bis es aufklarte.
»Es kann gut bis zum Michaelsfest dauern, bis das geschieht«, sagte Jamie lächelnd zu ihm. »Nein, Vetter, wir gehen.«
Und so gingen wir, eingewickelt in sämtliche Kleider, die wir besaßen. Der Weg nach Lallybroch dauerte über zwei Tage, und wir mussten über Nacht in einer verlassenen Kate Zuflucht suchen, wo wir die Pferde nebenan im Kuhstall unterbringen konnten. Es gab keine Möbel und keinen Torf für den Kamin, und das Dach war zur Hälfte verschwunden, doch die Steinmauern hielten den Wind von uns fern.
»Ich vermisse meinen Hund«, brummte Ian, der sich unter seinem Umhang zusammengekauert hatte und sich eine Decke über den mit Gänsehaut überzogenen Kopf gezogen hatte.
»Würde er sich denn auf deinen Kopf setzen?«, erkundigte sich Jamie und nahm mich fester in den Arm, während der Wind an unserem Unterschlupf vorüberheulte und den Rest des durchlöcherten Strohdaches mitzunehmen drohte. »Du hättest bedenken sollen, dass Januar ist, bevor du dir die Kopfhaut rasiert hast.«
»Du hast gut reden«, erwiderte Ian und lugte mürrisch unter seiner Decke hervor. »Du kannst dich ja an Tante Claire wärmen.«
»Nun, vielleicht heiratest du ja selbst irgendwann. Wird Rollo dann bei euch beiden schlafen?«, fragte Jamie.
»Mmpfm«, sagte Ian und zog sich zitternd die Decke komplett vor das Gesicht.
Ich zitterte ebenfalls, Jamies Körperwärme, unseren übereinandergelegten Umhängen, drei wollenen Unterröcken und zwei Paar Strümpfen zum Trotz. Ich war in meinem Leben schon öfter an kalten Orten gewesen, aber die schottische Kälte hat etwas bemerkenswert Durchdringendes an sich. Doch obwohl ich mich nach Wärme sehnte und ich Lallybroch als sehr gemütlich in Erinnerung hatte, erfüllte mich der Gedanke an unsere bevorstehende Rückkehr fast ebenso sehr mit Beklommenheit wie Ian – der umso mehr Ähnlichkeit mit einer Katze auf dem heißen Blechdach bekommen hatte, je tiefer wir in die Highlands vordrangen. Auch jetzt murmelte er unruhig vor sich hin und kam in der Dunkelheit der Kate unter seinen Decken nicht zur Ruhe.
Bei unserer Landung in Edinburgh hatte ich mich gefragt, ob wir eine Nachricht nach Lallybroch schicken und unser Kommen ankündigen sollten. Doch Jamie hatte über diesen Vorschlag gelacht.
»Glaubst du, wir hätten die geringste Chance, uns dem Hof auch nur auf zehn Meilen zu nähern, ohne dass es jeder hört? Keine Angst, Sassenach«, hatte er mir versichert. »Sobald wir einen Fuß in die Highlands setzen, wird von Loch Lomond bis Inverness jeder wissen, dass Jamie Fraser mit seiner englischen Hexe nach Hause unterwegs ist und zu allem Überfluss auch noch eine Rothaut dabeihat.«
»Englische Hexe?«, sagte ich und war mir nicht sicher, ob ich beleidigt oder belustigt reagieren sollte. »Haben sie mich so genannt? Als wir in Lallybroch waren?«
»Oft genug sogar vor deiner Nase, Sassenach«, erklärte er trocken. »Aber damals konntest du noch nicht genug Gälisch, um es zu verstehen. Es war aber nicht als Beleidigung gemeint, a nighean«, fügte er etwas sanfter hinzu. »Und das ist es auch jetzt nicht. Ein Highlander nennt die Dinge eben einfach beim Namen.«
»Hmm«, sagte ich ein wenig perplex.
»So unrecht hätten sie im Moment doch gar nicht, oder?«, hatte er grinsend gefragt.
»Willst du damit etwa ausdrücken, dass ich wie eine Hexe aussehe?«
»Nun, jetzt gerade vielleicht nicht«, sagte er und setzte seinen Expertenblick auf. »Aber morgens früh gleich nach dem Aufwachen – aye, dann könnte man schon Angst bekommen.«
Ich hatte keinen Spiegel, weil ich in Edinburgh nicht daran gedacht hatte, mir einen zu besorgen. Doch einen Kamm hatte ich noch, und während ich mich jetzt mit dem Kopf unter Jamies Kinn kuschelte, beschloss ich, auf jeden Fall kurz vor Lallybroch haltzumachen und ihn gründlich zu benutzen, ob es regnete oder gar schneite. Nicht, dachte ich, dass es wohl irgendeine Rolle spielen würde, ob ich bei meiner Ankunft aussah wie die Königin von England oder wie eine zerrupfte Pusteblume. Es war Ians Heimkehr, um die es hier ging.
Andererseits … war ich mir gar nicht so sicher, wie man mich empfangen würde. Gelinde gesagt, gab es noch einige offene Fragen zwischen mir und Jenny Murray.
Wir waren einmal gute Freundinnen gewesen. Ich hoffte auch, dass wir es wieder werden würden. Doch sie war die Drahtzieherin der Heirat zwischen Jamie und Laoghaire MacKenzie gewesen. Zweifellos mit den besten Absichten; sein einsames, wurzelloses Dasein nach der Rückkehr aus englischer Gefangenschaft hatte ihr Sorgen gemacht. Und man musste ihr zugestehen, dass sie mich für tot gehalten hatte.