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Was hatte sie wohl gedacht, fragte ich mich, als ich plötzlich wieder aufgetaucht war? Dass ich Jamie vor der Schlacht von Culloden im Stich gelassen und es mir dann anders überlegt hatte? Wir hatten keine Zeit für Erklärungen und eine erneute Annäherung gehabt – und dann war es zu jenem ausgesprochen peinlichen Moment gekommen, als Laoghaire – von Jenny herbeigerufen – mit ihren Töchtern in Lallybroch aufgetaucht war und Jamie und mich völlig überrascht hatte.

Bei dem Gedanken an dieses Aufeinandertreffen stieg Gelächter in mir auf, obwohl ich damals gewiss nicht gelacht hatte. Nun, vielleicht würden wir ja jetzt Zeit zum Reden haben, wenn sich Jenny und Ian vom ersten Schreck der Heimkehr ihres jüngsten Sohnes erholt hatten.

Die Pferde atmeten laut und friedlich in ihrem Stall, und Ian war endlich in rasselndes Schnarchen verfallen. Aber an den kaum merklichen Bewegungen neben mir merkte ich, dass ich nicht die Einzige war, die noch wach lag, weil sie darüber nachdenken musste, was uns wohl erwarten mochte.

»Du schläfst doch auch nicht, oder?«, flüsterte ich Jamie zu.

»Nein«, sagte er leise und verlagerte erneut das Gewicht, um mich dichter an sich zu ziehen. »Ich muss an das letzte Mal denken, als ich heimgekommen bin. Ich hatte solche Angst – und ein winziges bisschen Hoffnung. Ich denke, so ähnlich muss es jetzt für den Jungen sein.«

»Und für dich?«, fragte ich und legte meine Hände um den Arm, der mich festhielt. Ich spürte die stabilen, eleganten Knochen von Handgelenk und Unterarm und berührte vorsichtig seine verstümmelte Hand. Er seufzte tief auf.

»Ich weiß es nicht«, gab er zu. »Aber es wird alles gut. Diesmal bist du ja bei mir.«

Irgendwann im Lauf der Nacht versiegte der Wind, und der Tag dämmerte wie durch ein Wunder klar und hell. Es war zwar immer noch so kalt wie am Hintern eines Eisbären, doch es regnete zumindest nicht. Das betrachtete ich als gutes Vorzeichen.

Niemand sprach, als wir den letzten Pass überquerten, der nach Lallybroch führte, und dann das Haus unter uns sahen. Ich spürte, wie mir weniger eng ums Herz wurde, und erst jetzt begriff ich, wie lange ich schon die Luft angehalten hatte.

»Es hat sich gar nicht verändert, oder?«, sagte ich, und mein Atem schwebte weiß in der kalten Luft.

»Der Taubenschlag hat ein neues Dach«, stellte Ian fest. »Und Mamas Schafspferch ist größer geworden.« Er gab sich alle Mühe, unbekümmert zu klingen, doch das Sehnen in seiner Stimme war nicht zu überhören. Er trieb sein Pferd ein wenig voraus, und die Truthahnfedern in seinem Haar hoben sich im Wind.

Es war früher Nachmittag, und auf dem Hof war es still; die Arbeiten des Morgens waren erledigt, das abendliche Melken und Kochen hatten noch nicht begonnen. Ich sah niemanden im Freien außer ein paar großen, zotteligen Highlandrindern, die auf der Wiese Heu kauten, doch die Schornsteine rauchten, und das große, weiß gekalkte Farmhaus strahlte wie immer Gelassenheit und Gastlichkeit aus.

Würden Brianna und Roger wirklich hierher zurückkehren?, fragte ich mich plötzlich. Sie hatte davon gesprochen, als der Gedanke an ihre Rückkehr zur Tatsache wurde und sie begonnen hatten, Pläne zu schmieden.

»Es steht leer«, sagte sie, ohne den Blick von dem Hemd im Stil des zwanzigsten Jahrhunderts abzuwenden, das sie gerade nähte. »Zu verkaufen. Zumindest war es das, als Roger hingefahren ist – vor ein paar Jahren? In ein paar Jahren?« Sie blickte mit einem ironischen Lächeln auf; es war unmöglich, sich normal über die Zeit zu unterhalten. »Ich glaube, ich fände es schön, wenn die Kinder dort leben. Aber wir müssen erst einmal abwarten, wie … sich alles entwickelt.«

Dann hatte sie die Augen auf Mandy gerichtet, die in ihrer Wiege schlief, die kleinen Lippen blau gerändert.

»Es wird sich gut entwickeln«, hatte ich entschlossen gesagt. »Alles wird gut.«

Herr, betete ich jetzt schweigend, gib, dass sie in Sicherheit sind!

Ian hatte sich vom Pferd geschwungen und wartete ungeduldig auf uns. Als wir abstiegen, steuerte er auf die Tür zu, doch unsere Ankunft war nicht unbemerkt geblieben, und die Tür öffnete sich weit, bevor er sie berühren konnte.

Jenny erstarrte auf der Schwelle. Sie kniff die Augen zu, öffnete sie wieder und legte langsam den Kopf zurück, um den Blick an seinem hochgewachsenen, in Leder gekleideten Körper mit den sehnigen Muskeln und den kleinen Narben emporwandern zu lassen, bis hin zu seinem Kopf mit dem Federkamm und dem tätowierten Gesicht, in dem sich nicht das Geringste regte – bis auf die Augen, deren Hoffnung und Angst er nicht verstecken konnte, Mohawk oder kein Mohawk.

Jennys Mund zuckte. Einmal … Zweimal … Dann löste sich ihr Gesicht auf, und sie begann, kleine, hysterische Jauchzer auszustoßen, die unmissverständlich in Gelächter übergingen. Sie schluckte, jauchzte noch einmal und lachte so hemmungslos, dass sie rückwärts ins Haus taumelte und sich auf die Bank im Flur setzen musste, wo sie sich mit verschränkten Armen vornüberbeugte und lachte, bis ihr Stimme und Atem versagten und sie nur noch japsen konnte.

»Ian«, keuchte sie schließlich und schüttelte den Kopf. »O Gott, Ian. Mein Junge.«

Ian sah völlig verdattert aus. Er blickte Jamie Rat suchend an, der mit den Achseln zuckte, während auch ihm der Mund zuckte – dann wieder seine Mutter.

Sie schnappte mühsam nach Luft, dann stand sie auf, ging zu ihm und schlang die Arme um ihn, während sie ihr tränenüberströmtes Gesicht an ihn drückte. Seine Arme legten sich langsam und vorsichtig um sie, und er hielt sie fest wie etwas Zerbrechliches, das von unschätzbarem Wert ist.

»Ian«, schluchzte sie, und ich verfolgte, wie ihre schmalen, angespannten Schultern plötzlich zusammensackten. »Oh, Ian, Gott sei Dank, dass du noch rechtzeitig gekommen bist.«

Sie war kleiner, als ich sie in Erinnerung hatte, und schlanker. Ihr Haar war mit etwas mehr Grau versetzt, obwohl es immer noch dunkel zu pulsieren schien – doch die dunkelblauen Katzenaugen waren noch genau dieselben, ebenso wie die angeborene Befehlsgewalt, die sie mit ihrem Bruder gemeinsam hatte.

»Lasst die Pferde stehen«, sagte sie knapp und wischte sich mit der Schürze über die Augen. »Einer der Jungen soll sich darum kümmern. Ihr seid bestimmt durchgefroren und halb verhungert – zieht euch aus und kommt ins Wohnzimmer.« Sie richtete einen kurzen Blick auf mich, voll Neugier und etwas anderem, das ich nicht interpretieren konnte, sah mich aber nicht direkt an und sagte nicht mehr als »Komm!«, bevor sie ins Wohnzimmer vorausging.

Das Haus roch vertraut und fremd zugleich, es war in Torfrauch und Kochgerüche gehüllt; jemand hatte gerade Brot gebacken, und Hefegeruch schwebte aus der Küche durch den Flur. Hier im Flur war es fast genauso kalt wie im Freien; die Türen der Zimmer waren fest geschlossen, um die Wärme der Kaminfeuer zu bewahren, und eine willkommene Hitzewelle schlug uns entgegen, als Jenny die Wohnzimmertür öffnete und sich dann umwandte, um Ian als Ersten hineinzuziehen.

»Ian«, sagte sie in einem Ton, den ich noch nie bei ihr gehört hatte. »Ian, sie sind hier. Dein Sohn ist heimgekommen.«

Der ältere Ian saß in einem großen Sessel am Feuer und hatte eine warme Decke über den Beinen liegen. Er kämpfte sich augenblicklich hoch, ein wenig unsicher auf dem Holzbein, das er anstelle seines im Krieg verlorenen Beins trug, und kam einige Schritte auf uns zu.

»Ian«, sagte Jamie leise und sanft vor Schreck. »Gott, Ian.«

»Oh, aye«, sagte Ian, der selbst ironisch klang. »Keine Sorge, ich bin’s immer noch.«

Phthisis nannte man es. Zumindest die Ärzte. Auf Griechisch bedeutete es Verfall. Die Laien nannten es unverblümter »Schwindsucht«, und der Grund dafür war deutlich zu sehen. Die Krankheit verzehrte ihre Opfer, fraß sie lebendig auf. Eine Seuche der Verwüstung, die Fleisch fraß und Leben vergeudete, verschwenderisch und kannibalistisch.

Im England der Dreißiger- und Vierzigerjahre hatte ich sie oft gesehen, öfter noch hier in der Vergangenheit. Doch noch nie hatte ich mit angesehen, wie sie jemandem, den ich liebte, das Leben von den Knochen schnitt, und mein Herz wurde zu Wasser und floss davon.