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Fast hätte er es getan. Doch er konnte das Haus hören. Es hatte etwas Geschäftiges an sich, eine Bestimmung und eine Freude wie seit Langem nicht mehr. Hier ging es nicht nur um sein eigenes Glück – eigentlich war es darum ohnehin nie gegangen.

»Nein«, hatte er abrupt gesagt. »Es geht mir gut.« Und hatte sie beruhigend angelächelt.

Doch als er dann die Treppe hinuntergegangen und unten auf Ian getroffen war, hatte er den Regen an den Fenstern gehört und sich gefühlt, als müsse er ertrinken – eine ungebetene Erinnerung an seinen ersten Hochzeitstag und daran, wie sie sich gegenseitig gestützt hatten, er und Claire, beide blutig, beide zu Tode verängstigt.

»Alles gut?«, fragte ihn Ian dann leise, zu ihm hinübergebeugt.

»Aye, bestens«, erwiderte er, froh zu hören, wie ruhig seine Stimme war.

Jennys Gesicht lugte kurz um die Ecke der Wohnzimmertür. Sie sah besorgt aus, entspannte sich aber, als sie ihn entdeckte.

»Schon gut, a nighean«, hatte Ian ihr grinsend versichert. »Ich habe ihn, falls er auf die Idee kommt zu flüchten.« Zu Jamies Überraschung hielt Ian ihn tatsächlich am Arm fest, doch er protestierte nicht.

»Nun, dann kannst du ihn ja vor den Altar schleifen«, hatte seine Schwester trocken zurückgegeben. »Der Priester ist hier.«

Er war mit Ian in das Zimmer getreten, hatte vor dem alten Vater McCarthy seinen Platz neben Laoghaire eingenommen. Sie hatte kurz zu ihm aufgeblickt, ihre Augen dann jedoch rasch abgewandt. Hatte sie Angst? Ihre Hand lag kühl in der seinen, doch sie zitterte nicht. Er drückte ihr sanft die Finger, woraufhin sie den Kopf hob und direkt zu ihm aufsah. Nein, keine Angst, aber auch kein beglücktes Leuchten. Dankbarkeit lag in ihrem Blick – und Vertrauen.

Dieses Vertrauen hatte den Weg in sein Herz gefunden, ein leises Gewicht, das ihn stützte, das wenigstens einige der durchtrennten Wurzeln heilte, die ihn an diesen Ort banden. Auch er war dankbar gewesen.

Jetzt drehte er sich um, weil er Schritte hörte, und sah Claire durch den Flur kommen. Er lächelte – diesmal automatisch –, und sie trat zu ihm und nahm seine Hand, während sie den Blick durch das Zimmer schweifen ließ.

»Dein Zimmer, nicht wahr? Als du klein warst, meine ich.«

»Aye, das war es.«

»Ich dachte doch, dass mir Jenny das erzählt hat – als wir zum ersten Mal hier waren, meine ich.« Ihr Mund verzog sich ein wenig. Natürlich sprachen sie und Jenny miteinander, doch es waren gestelzte Worte, beide übervorsichtig, um ja nicht zu viel oder nichts Falsches zu sagen. Aye, nun ja, er hatte ja selbst Angst davor, zu viel oder etwas Falsches zu sagen. Aber der Teufel sollte ihn holen, wenn er sich anstellen würde wie ein Mädchen.

»Ich muss Laoghaire besuchen gehen«, platzte er heraus. »Wirst du mich umbringen, wenn ich das tue?«

Sie sah überrascht aus und dann, verdammt, belustigt.

»Bittest du mich etwa um Erlaubnis?«

»Nein«, sagte er und fühlte sich steif und verlegen. »Ich wollte nur – nun, ich dachte, ich sage es dir besser, das ist alles.«

»Das ist sehr aufmerksam von dir.« Sie lächelte immer noch, doch ihr Lächeln hatte etwas Argwöhnisches angenommen. »Könntest … du mir sagen, warum du sie besuchen willst?«

»Ich habe nicht behauptet, dass ich sie besuchen will«, antwortete er gereizt. »Ich habe gesagt, ich muss sie besuchen.«

»Wäre es sehr anmaßend von mir zu fragen, warum du sie besuchen musst?« Ihre Augen waren nur ein kleines bisschen größer und gelber als sonst; er hatte den Falken in ihr geweckt. Das hatte er ganz und gar nicht vorgehabt. Er zögerte einen Moment, denn plötzlich hätte er sich am liebsten vor der eigenen Verwirrung in einen gigantischen Streit geflüchtet. Doch das konnte er nicht guten Gewissens tun. Und noch weniger konnte er ihr die Erinnerung an Laoghaires Gesicht an ihrem Hochzeitstag erklären, das Vertrauen in ihrem Blick und das nagende Gefühl, dass er sie verraten hatte.

»Du kannst mich alles fragen, Sassenach – was du ja auch tust«, fügte er vielsagend hinzu. »Ich würde dir schon antworten, wenn ich das Gefühl hätte, dass ich mich verständlich machen könnte.«

Ihre Antwort war nur ein kleines Geräusch, nicht ganz »Hmpf!«, doch er verstand sie klar und deutlich.

»Wenn es dir nur darum geht zu erfahren, mit wem sie schläft, gibt es wahrscheinlich weniger direkte Wege, das herauszufinden«, sagte sie. Ihr Tonfall war betont gelassen, doch ihre Pupillen waren geweitet.

»Es interessiert mich nicht, mit wem sie schläft!«

»O doch, das tut es«, sagte sie prompt.

»Nein!«

»Es lebt der Mensch, solang’ er lügt«, sagte sie, und statt zu explodieren, brach er in Gelächter aus. Im ersten Moment wirkte sie verblüfft, doch dann fiel sie prustend mit ein, und ihre Nase wurde rot vor Heiterkeit.

Innerhalb von Sekunden verstummten sie, beschämt über ihre Fröhlichkeit in einem Haus, in dem schon viel zu lange niemand mehr offen gelacht hatte – doch sie lächelten einander weiter an.

»Komm her«, sagte er leise und hielt ihr die Hand entgegen. Ihre warmen, kraftvollen Finger griffen sofort zu, und dann legte sie die Arme um ihn.

Ihr Haar roch anders. Immer noch frisch und vom Duft grünen Lebens erfüllt, aber anders. Wie die Highlands. Vielleicht wie die Heide.

»Natürlich willst du wissen, wer es ist«, sagte sie, und ihre warme Stimme kitzelte ihn durch den Stoff seines Hemdes. »Soll ich dir auch sagen, warum?«

»Aye, das will ich, und nein, das sollst du nicht«, sagte er und nahm sie fester in den Arm. »Ich weiß sehr gut, warum ich sie sehen will, und ich bin mir sicher, dass du und Jenny und jede andere Frau im Umkreis von fünfzig Meilen glaubt, es ebenso zu wissen. Aber das ist nicht der Grund, warum ich sie sehen muss.«

Da wich sie ein wenig zurück und strich sich die Löckchen aus den Augen, um zu ihm aufblicken zu können. Sie durchforschte nachdenklich sein Gesicht und nickte.

»Nun, dann richte ihr alles Gute von mir aus, ja?«

»Oh, du rachsüchtiges kleines Ding. Das hätte ich nie von dir gedacht!«

»Ach nein?«, sagte sie trocken. Er lächelte auf sie hinunter und fuhr ihr sanft mit dem Daumen über die Wange.

»Nein«, sagte er. »Das hätte ich nicht. Du bist kein nachtragender Mensch, Sassenach, das warst du noch nie.«

»Nun, ich bin keine Schottin«, stellte sie fest und strich sich das Haar zurück. »Es ist für mich keine Frage des Nationalstolzes, meine ich.« Sie legte ihm die Hand auf die Brust, bevor er antworten konnte, und dann sagte sie ernst: »Sie hat dich nie zum Lachen gebracht, oder?«

»Vielleicht habe ich ein- oder zweimal gelächelt«, sagte er ernst. »Sonst jedoch nein.«

»Nun, dann vergiss das nicht«, sagte sie. Dann rauschten ihre Röcke, und fort war sie. Er grinste wie ein Tölpel und folgte ihr.

Als er die Treppe erreichte, wartete sie auf halbem Weg nach unten.

»Eine Sache«, sagte sie mit erhobenem Zeigefinger.

»Aye?«

»Wenn du herausfindest, mit wem sie schläft, und es mir nicht erzählst, bringe ich dich um.«

Balriggan war ein kleiner Hof, kaum mehr als zehn Acres, dazu das Haus und die Nebengebäude. Doch es war hübsch dort, eine große graue Steinkate am Hang eines Hügels, zu dessen Füßen ein kleiner See wie ein Spiegel glitzerte. Die Engländer hatten nach dem Aufstand die Felder und die Scheune angezündet, doch Felder wuchsen wieder. Sehr viel schneller als die Männer, die sie bestellten.

Langsam ritt er an dem kleinen See entlang und dachte dabei, dass dieser Besuch ein Fehler war. Es war möglich, Dinge hinter sich zu lassen – Orte, Menschen, Erinnerungen –, zumindest für eine Weile. Doch Orte klammerten sich an die Dinge, die dort geschehen waren, und an einen Ort zurückzukehren, an dem man einmal gelebt hatte, bedeutete, dass man damit konfrontiert wurde, was man dort getan hatte und wer man gewesen war.