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Ein Schatten fiel vor mir auf den Boden, und ich blickte auf. Jamie stand in der Tür, eine höchst merkwürdige Miene im Gesicht.

»Was?«, sagte ich erschrocken. »Ist etwas geschehen?«

»Nein«, sagte er. Dann trat er in das Studierzimmer, beugte sich über den Schreibtisch, stützte die Hände auf und sah mich aus nächster Nähe an.

»Hast du je den geringsten Zweifel daran gehabt, dass ich dich brauche?«, wollte er wissen.

Ich musste etwa eine halbe Sekunde nachdenken, um diese Frage zu beantworten.

»Nein«, erwiderte ich prompt. »Soweit ich weiß, hast du mich dringend gebraucht, als ich dich zum ersten Mal gesehen habe. Und ich habe keinerlei Grund zu der Annahme, dass du seitdem in irgendeiner Weise unabhängiger geworden bist. Was in aller Welt ist mit deiner Stirn passiert? Das sieht ja aus wie Zahn…« Er warf sich über den Schreibtisch und küsste mich, bevor ich meine Bemerkung zu Ende formulieren konnte.

»Danke«, sagte er inbrünstig, fuhr wieder zurück, machte schwungvoll kehrt und ging hinaus – offensichtlich bester Laune.

»Was ist denn mit Onkel Jamie los?«, wollte Ian wissen, der in Jamies Kielwasser ins Zimmer trat. Er blickte durch die offene Tür in den Flur hinaus, aus dessen Tiefen ein lautes, tonloses Summen wie das einer gefangenen Hummel zu uns drang. »Ist er etwa betrunken?«

»Ich glaube nicht«, sagte ich skeptisch und fuhr mir mit der Zunge über die Lippen. »Er hat jedenfalls nicht nach Alkohol geschmeckt.«

»Aye, nun ja.« Ian tat die exzentrischen Anwandlungen seines Onkels mit einem Schulterzucken ab. »Ich komme gerade aus Broch Mordha, und Mr MacAllister hat mir erzählt, dass seine Schwiegermutter in der Nacht einen Anfall hatte. Ob du vielleicht nach ihr sehen würdest, wenn es dir nicht zu viel Mühe macht?«

»Absolut nicht«, versicherte ich ihm und stand eilig auf. »Lass mich nur eben meine Tasche holen.«

Obwohl es Frühling war, eine kalte, trügerische Jahreszeit, machten die Pächter und Nachbarn einen bemerkenswert gesunden Eindruck. Behutsam hatte ich meine Dienste als Heilerin wieder aufgenommen und vorsichtig begonnen, dort Rat und Arznei anzubieten, wo ich das Gefühl hatte, dass man beides annehmen würde. Ich war schließlich nicht länger die Herrin von Lallybroch, und viele der Menschen, die mich früher gekannt hatten, waren inzwischen tot. Die, die noch lebten, schienen im Allgemeinen über meine Hilfe durchaus froh zu sein, doch in ihren Augen lag etwas Argwöhnisches, das früher nicht da gewesen war. Es machte mich zwar traurig, dies zu sehen, doch verstehen konnte ich es gut.

Ich hatte Lallybroch verlassen, hatte Ehrwürden verlassen. Hatte sie verlassen. Sie gaben zwar vor, die Geschichte zu glauben, die Jamie verbreitet hatte, dass ich ihn für tot gehalten und nach Frankreich geflohen war, doch das änderte nichts daran, dass sie sich durch meine Flucht verraten fühlten. Ich hatte ja selbst das Gefühl, sie verraten zu haben.

Die Unbeschwertheit, die einmal zwischen uns bestanden hatte, war fort, und so machte ich nicht mehr regelmäßig die Runde wie früher, sondern ich wartete darauf, dass man mich rief. Ansonsten ging ich allein Kräuter sammeln, wenn ich das Haus verlassen musste, oder ich begleitete Jamie – der ebenfalls hin und wieder vor die Tür musste.

Eines Tages, als das Wetter zwar windig, aber schön war, nahm er mich ein Stück weiter mit als üblich und sagte, dass er mir gern seine Höhle zeigen würde, wenn ich es wollte.

»O ja, sehr gern«, erwiderte ich. Ich hielt mir die Hand über die Augen, um sie gegen die Sonne abzuschirmen, und spähte einen steilen Hügel hinauf. »Ist es dort oben?«

»Aye. Kannst du sie sehen?«

Ich schüttelte den Kopf. Abgesehen von dem großen weißen Felsen, den die Leute »Leap o’ the Cask« nannten, hätte es jeder beliebige schottische Hügel sein können, zwischen dessen Felsen Ginster- und Heidebüsche wuchsen.

»Dann komm mit«, forderte Jamie. Er setzte den Fuß auf eine nur für ihn sichtbare Stelle, die ihm Halt bot, lächelte und streckte die Hand aus, um mir hinaufzuhelfen.

Es war ein steiler Weg, und ich keuchte und schwitzte, als er endlich einen Ginstervorhang zur Seite schob, um mir den schmalen Eingang der Höhle zu zeigen.

»Ich möchte hineingehen.«

»Nein, das möchtest du nicht«, versicherte er ihr. »Die Höhle ist kalt und schmutzig.«

Sie warf ihm einen merkwürdigen Blick und ein halbes Lächeln zu.

»Darauf wäre ich jetzt wirklich nicht gekommen«, sagte sie trocken. »Ich möchte trotzdem hineingehen.«

Es war zwecklos, mit ihr zu streiten. Er zuckte mit den Achseln, zog seinen Rock aus, damit er nicht schmutzig wurde, und hängte ihn an eine Eberesche, die vor dem Eingang aus dem Boden geschossen war. Er legte die Hände zu beiden Seiten des Eingangs auf den Felsen, wurde dann aber unsicher; waren das die Stellen, an denen er immer die Steine gepackt hatte? Himmel, ist das wichtig?, fragte er sich tadelnd, griff fest nach dem Fels und schwang sich in die Höhle.

Es war genauso kalt, wie er es erwartet hatte. Immerhin war die Höhle windgeschützt – es war keine beißende Kälte, sondern eine feuchte Kühle, die die Haut durchdrang und an den Enden der Knochen nagte.

Er drehte sich um und streckte ihr die Hände entgegen, und sie beugte sich vor und versuchte, allein hineinzuklettern, doch sie verlor den Halt und stolperte, sodass sie in einem Gewirr aus Kleidern und losem Haar in seinen Armen landete. Lachend drehte er sie so, dass sie sich umsehen konnte, ließ sie aber nicht los. Es widerstrebte ihm, ihre Wärme aufzugeben, und er hielt sie wie einen Schutzschild gegen die Kälte der Erinnerungen im Arm.

Sie stand mit dem Rücken an ihn gelehnt und regte sich nicht; nur ihr Kopf bewegte sich, während sie von einer Seite der Höhle zur anderen blickte. Diese war kaum zweieinhalb Meter lang, doch das andere Ende verlor sich in der Dunkelheit. Sie hob das Kinn, als sie die schwarzen Flecken sah, die den Fels auf der einen Seite des Eingangs überzogen.

»Da habe ich mein Feuer gehabt – wenn ich es gewagt habe, Feuer zu machen.« Seine Stimme klang seltsam, leise und gedämpft, und er räusperte sich.

»Wo ist dein Bett gewesen?«

»Neben deinem linken Fuß.«

»Hast du mit dem Kopf an diesem Ende geschlafen?« Sie tippte mit dem Fuß auf den sandigen Kiesboden.

»Aye. Ich konnte die Sterne sehen, wenn die Nacht klar war. Wenn es geregnet hat, habe ich mich andersherum gedreht.« Sie hörte das Lächeln in seiner Stimme, legte ihm die Hand auf den Oberschenkel und drückte zu.

»Das habe ich gehofft«, sagte sie, und auch ihre Stimme klang ein wenig erstickt. »Als wir vom Dunbonnet und der Höhle erfahren haben … Ich habe an dich gedacht, so ganz allein hier – und habe gehofft, dass du nachts die Sterne sehen konntest.«

»Das konnte ich«, flüsterte er und senkte den Kopf, um ihr die Lippen auf das Haar zu drücken. Das Schultertuch, das sie sich über den Kopf gezogen hatte, war heruntergerutscht, und ihr Haar roch nach Zitronenmelisse und einer Pflanze, die sie als Katzenminze bezeichnete.