»Sie und Joey würden vielleicht zurechtkommen«, sagte sie. »Er tut, was er kann, aber … du hast ihn ja gesehen. Wenn dein Geld also nicht mehr käme, müssten sie Balriggan wahrscheinlich verkaufen, um zu überleben – und das würde ihr das Herz brechen«, fügte sie leise hinzu und senkte zum ersten Mal den Blick.
Ein seltsamer Schmerz ergriff sein Herz – seltsam, weil es nicht sein Schmerz war, er ihn jedoch nachvollziehen konnte. Es war irgendwann in den ersten Wochen ihrer Ehe gewesen, und er hatte im Garten neue Beete angelegt. Laoghaire hatte ihm einen Krug mit kaltem Bier gebracht und war bei ihm stehen geblieben, während er ihn trank. Dann hatte sie ihm für seine Arbeit gedankt. Er hatte überrascht aufgelacht und sie gefragt, warum sie ihm denn dafür dankte.
»Weil du dich um mein Heim kümmerst«, hatte sie schlicht gesagt, »du aber nicht versuchst, es mir fortzunehmen.« Dann hatte sie ihm den leeren Krug abgenommen und war ins Haus zurückgegangen.
Und einmal hatte er sie im Bett gefragt – er errötete dabei, daran zu denken, während Claire direkt neben ihm stand –, warum sie Balriggan so liebte; es war ja weder der Sitz ihrer Familie, noch war es besonders großartig. Und sie hatte aufgeseufzt, sich den Quilt unter das Kinn gezogen und gesagt: »Es ist der erste Ort, an dem ich mich sicher fühle.« Mehr hatte sie nicht sagen wollen, als er sie fragte. Stattdessen hatte sie sich umgedreht und so getan, als schliefe sie ein.
»Sie würde lieber Joey verlieren als Balriggan«, sagte Joan gerade zu Claire. »Aber eigentlich möchte sie ihn auch nicht verlieren. Du siehst also das Problem, aye?«
»Ich schon, ja.« Claires Miene war mitfühlend, doch sie warf ihm einen Blick zu, der besagte, dass es – natürlich – sein Problem sei. Natürlich war es das, dachte er ungeduldig.
»Ich … lasse mir etwas einfallen«, versprach er. Er hatte zwar nicht die geringste Ahnung, was, doch wie konnte er Nein sagen? Womöglich würde ihn Gott vernichten, weil er Joans Berufung im Weg war, wenn ihn sein schlechtes Gewissen nicht zuerst erledigte.
»Oh, Pa! Danke!«
Joans Gesicht brach in ein plötzliches, bezauberndes Lächeln aus, und sie warf sich in seine Arme – die er gerade noch heben konnte, um sie aufzufangen; Joan war eine sehr kräftige junge Frau. Doch dann hüllte er sie in die Umarmung ein, die er sich schon bei ihrem Zusammentreffen gewünscht hatte. Er spürte, wie der seltsame Schmerz nachließ, als diese fremde Tochter einen leeren Fleck in seinem Herzen einnahm, von dessen Existenz er bisher nichts gewusst hatte.
Der Wind peitschte immer noch über die Felsen, und es hätte ein Staubkorn sein können, das Claires Augen glitzern ließ, als sie ihn jetzt lächelnd ansah.
»Eines nur«, sagte er streng, als Joan ihn losgelassen hatte und zurückgetreten war.
»Was immer du willst«, sagte sie inbrünstig.
»Du wirst für mich beten, aye? Wenn du Nonne bist?«
»Jeden Tag«, versicherte sie ihm, »und sonntags zweimal.«
Die Sonne war auf dem Weg zum Horizont, doch uns blieb noch Zeit bis zum Abendessen. Eigentlich sollte ich meine Hilfe bei den Vorbereitungen der Mahlzeit anbieten, die umfangreich und mühselig waren, weil im Haus ein solches Kommen und Gehen herrschte und sich Lallybroch den Luxus einer Köchin nicht länger erlauben konnte. Doch selbst wenn sich Jenny um Ian kümmerte, würden Maggie und ihre kleinen Töchter und die beiden Dienstmägde schon zurechtkommen. Ich würde nur im Weg sein. Das redete ich mir zumindest ein, denn mir war natürlich bewusst, dass es immer Arbeit für ein zusätzliches Paar Hände gab.
Doch ich stieg hinter Jamie den felsigen Hügel hinunter und sagte nichts, als er den Pfad nach Lallybroch links liegen ließ. Zufrieden wanderten wir auf den kleinen See zu.
»Vielleicht hatte es ja etwas mit den Büchern zu tun, aye?«, sagte Jamie nach einer Weile. »Ich meine, ich habe den Mädchen hin und wieder abends etwas vorgelesen. Dann haben sie rechts und links von mir auf der Kaminbank gesessen und hatten die Köpfe an mich gelehnt, und es war …« Er hielt inne, sah mich an und hüstelte, weil er anscheinend fürchtete, ich könnte gekränkt sein bei der Vorstellung, dass er je einen schönen Moment in Laoghaires Haus erlebt hatte. Ich lächelte und nahm seinen Arm.
»Es ist bestimmt wunderschön für sie gewesen. Aber ich bezweifle wirklich, dass du Joan irgendetwas vorgelesen hast, das in ihr den Wunsch geweckt hat, Nonne zu werden.«
»Aye, nun ja«, sagte er skeptisch. »Ich habe ihnen aus dem Leben der Heiligen vorgelesen. Und aus Fox’ Buch der Märtyrer. Auch wenn sich vieles darin um Protestanten dreht und Laoghaire behauptet hat, Protestanten könnten keine Märtyrer sein, weil sie durchtriebene Ketzer sind. Woraufhin ich gesagt habe, das eine schließt ja das andere nicht aus, und –« Er grinste plötzlich. »Das war möglicherweise das ernsthafteste Gespräch, das wir je geführt haben.«
»Arme Laoghaire!«, sagte ich. »Aber von ihr einmal abgesehen, was hältst du von Joans Zwickmühle?«
Er schüttelte skeptisch den Kopf.
»Nun, möglicherweise kann ich Laoghaire ja überreden, den kleinen Krüppel zu heiraten. Dazu würde ich jedoch Geld brauchen, weil sie mehr wollen wird, als sie momentan von mir bekommt. Ich habe nicht mehr viel von dem Gold übrig, das wir mitgebracht haben. Also müsste es warten, bis ich nach Fraser’s Ridge zurückgehen und noch etwas holen, es zur Bank bringen, eine Zahlungsanweisung ausstellen lassen kann … Und ich hätte nicht gern, dass Joan noch ein Jahr zu Hause verbringen muss, während sie versucht, die liebeskranken Wiesel voneinander fernzuhalten.«
»Liebeskranke Wiesel?«, wiederholte ich belustigt. »Also wirklich. Hast du sie etwa dabei gesehen?«
»Eigentlich nicht«, sagte er hustend. »Aber man konnte sehen, dass sie sich zueinander hingezogen fühlen. Komm, wir gehen am Ufer entlang; ich habe vor ein paar Tagen ein Brachvogelnest gefunden.«
Der Wind hatte sich gelegt, und die Sonne war hell und warm – vorerst. Ich konnte die Wolken am Horizont bereits sehen. Zweifellos würde es erneut regnen, wenn es Abend wurde, doch im Moment war es ein herrlicher Frühlingstag, den wir beide gern genossen hätten. Ohne es auszusprechen, schoben wir alle unangenehmen Themen beiseite und unterhielten uns über nichts Besonderes mehr, sondern erfreuten uns nur an der Nähe des anderen, bis wir einen flachen Grashügel entdeckten, auf dem wir sitzen und die Sonne genießen konnten.
Doch Jamies Gedanken schienen immer wieder zu Laoghaire zurückzukehren – wahrscheinlich konnte er nicht anders. Eigentlich störte es mich auch nicht, da sämtliche Vergleiche, die er anstellte, nur zu meinem Vorteil ausfallen konnten.
»Wenn sie meine Erste gewesen wäre«, sagte er nachdenklich, »glaube ich, dass ich ganz anders über Frauen im Allgemeinen denken würde.«
»Aber du kannst doch die Frauen nicht daran definieren, wie sie – oder wie eine von ihnen – im Bett sind«, wandte ich ein. »Ich habe schon Männer gekannt, die, nun …«
»Männer? War Frank nicht dein Erster?«, wollte er überrascht wissen.
Ich legte mir die Hand hinter den Kopf und betrachtete ihn.
»Würde das eine Rolle spielen?«
»Nun …« Sichtlich verblüfft suchte er nach einer Antwort. »Ich nehme an –« Er brach ab und betrachtete mich, während er sich nachdenklich die Nase rieb. Einer seiner Mundwinkel verzog sich nach oben. »Ich weiß es nicht.«
Ich wusste es ebenso wenig. Einerseits weidete ich mich daran, wie sehr ihn diese Vorstellung schockierte – und in meinem Alter hatte ich nichts dagegen, mich ein wenig verrucht zu fühlen, wenn auch nur rückwirkend. Andererseits jedoch …
»Nun, was fällt dir eigentlich ein, mit Steinen zu werfen?«
»Du warst meine Erste«, stellte er mit beträchtlicher Schärfe fest.
»Das sagst du«, sagte ich, um ihn zu ärgern. Zu meiner Belustigung wurde er rot wie eine pralle Tomate.