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Er führte mich zielsicher genau an den richtigen Punkt in meinem Kopf, und – richtig –, dort hing das Gemälde eines jungen Mannes mit einem schmalen, klugen Gesicht und einem Blick, der weit in die Ferne reichte.

»Ja, ich glaube, du hast recht«, sagte ich und öffnete die Augen. »Wenn er so intelligent ist wie Colum, dann … muss ich es ihm sagen.«

Jamies dunkle Augen durchforschten nachdenklich mein Gesicht.

»Wir konnten die Dinge doch damals schon nicht ändern«, sagte er mit warnendem Unterton. »Du kannst vermutlich auch das nicht ändern, was in Frankreich geschehen wird.«

»Vielleicht nicht«, sagte ich. »Aber das, was ich gewusst habe – was ich dir erzählt habe, vor Culloden. Charles Stuart hat es zwar nicht aufgehalten, aber du hast überlebt.«

»Nicht mit Absicht«, stellte er trocken fest.

»Nein, aber deine Männer haben ebenfalls überlebt – und das war Absicht. Also könnte es doch vielleicht – nur vielleicht – helfen. Und ich könnte nicht mit mir leben, wenn ich es nicht täte.«

Er nickte nüchtern.

»Aye. Nun denn. Ich rufe sie.«

Der Korken löste sich mit einem leisen Plopp!, und die Anspannung in Michaels Gesicht löste sich ebenfalls. Er roch an dem dunklen Korken, dann führte er die Flasche vorsichtig unter seiner Nase vorbei, die Augen halb geschlossen, um ihn besser prüfen zu können.

»Was sagst du, Junge?«, fragte sein Vater. »Wird er uns vergiften oder nicht?«

Er öffnete die Augen und warf seinem Vater einen säuerlichen Blick zu.

»Du hast gesagt, es ist wichtig, aye? Also trinken wir den Negromaro. Aus Apulien«, fügte er mit einem Hauch von Genugtuung hinzu und wandte sich mir zu. »Wird das reichen, Tante Claire?«

»Äh … gewiss«, stotterte ich leicht verblüfft. »Warum fragst du mich? Du bist doch der Weinexperte.«

Michael sah mich überrascht an.

»Ian hat gesagt –«, begann er, doch dann hielt er inne und lächelte mich an. »Entschuldigung, Tante Claire. Ich muss ihn missverstanden haben.«

Sämtliche Köpfe wandten sich dem jüngeren Ian zu, der unter ihren forschenden Blicken rot wurde.

»Was genau hast du gesagt, Ian?«, fragte der jüngere Jamie. Ian warf seinem Bruder, der irgendetwas an der Situation komisch zu finden schien, einen finsteren Blick zu.

»Ich habe gesagt«, erwiderte Ian, der sich trotzig aufrichtete, »dass Tante Claire Michael etwas Wichtiges zu sagen hat und dass er auf sie hören muss, weil sie eine … eine …«

»Ban-sidhe, hat er gesagt«, schloss Michael hilfreich. Er grinste mich zwar nicht an, doch tief in seinen Augen glühte der Humor, und zum ersten Mal sah ich, was Jamie gemeint hatte, als er ihn mit Colum MacKenzie verglich. »Ich war mir nicht sicher, ob er das ernst gemeint hat, Tante Claire, oder ob du nur eine Heilerin bist – oder eine Hexe.«

Jenny keuchte auf, als dieses Wort fiel, und selbst der ältere Ian blinzelte. Beide wandten sich ihrem Sohn zu, der den Kopf einzog.

»Nun, ich weiß doch nicht genau, was sie ist«, verteidigte er sich. »Aber sie ist doch eine vom Alten Volk, nicht wahr, Onkel Jamie?«

Etwas Seltsames schien durch die Luft im Zimmer zu fahren; ein plötzlicher Windstoß heulte durch den Schornstein und ließ die Glut im Kamin explodieren, sodass die Funken auf die Kaminplatte stoben. Jenny erhob sich mit einem kleinen Ausruf und schlug sie mit einem Besen aus.

Jamie saß neben mir; er nahm meine Hand und sah Michael fest in die Augen.

»Es gibt kein richtiges Wort für das, was sie ist – aber sie weiß von den Dingen, die geschehen werden. Hör auf sie.«

Damit war mir die Aufmerksamkeit der gesamten Runde sicher, und ich räusperte mich. Meine Prophetenrolle machte mich zutiefst verlegen, doch ich musste sprechen. Zum ersten Mal empfand ich plötzlich ein Gefühl der Seelenverwandtschaft mit einigen der widerstrebenderen Propheten des Alten Testaments. Ich glaubte genau zu wissen, wie sich Jeremias gefühlt hatte, als man ihm auftrug, die Vernichtung Ninives vorherzusagen. Ich hoffte nur, dass man meine Worte besser aufnehmen würde; wenn ich mich recht erinnerte, hatten ihn die Einwohner Ninives in einen Brunnen geworfen.

»Du weißt wahrscheinlich mehr als ich über die Politik in Frankreich«, begann ich, direkt an Michael gewandt. »Ich kann dir keine bestimmten Ereignisse in den nächsten zehn Jahren nennen. Aber danach wird es rasend schnell bergab gehen. Es wird eine Revolution geben, inspiriert durch das, was gerade in Amerika geschieht, doch es wird anders sein. Man wird den König und die Königin mit ihrer Familie einkerkern, und sie werden beide geköpft werden.«

Der ganze Tisch schnappte nach Luft, und Michael blinzelte.

»Es wird eine Zeit kommen, die man den ›Großen Schrecken‹ nennt, und man wird die Menschen aus ihren Häusern zerren und denunzieren; sämtliche Aristokraten werden entweder umgebracht werden oder aus dem Land fliehen müssen, und die Lage wird für Reiche sehr schwer werden. Jared wird bis dahin vielleicht tot sein, du aber nicht. Und wenn du nur halb so talentiert bist, wie ich glaube, wirst du reich sein.«

Michael prustete leise, und ein Hauch von Gelächter wehte durch das Zimmer, doch er war nicht von langer Dauer.

»Sie werden eine Maschine bauen, die man Guillotine nennt – vielleicht gibt es sie ja schon; ich weiß es nicht. Ursprünglich sollte sie als humane Exekutionsmethode dienen, glaube ich, aber sie wird so oft zum Einsatz kommen, dass sie zum Symbol des Großen Schreckens werden wird. Wenn das geschieht, solltest du nicht in Frankreich sein.«

»Ich – woher weißt du das?«, wollte Michael wissen. Er sah blass und beinahe kampflustig aus. Nun, und darin lag die Krux. Ich hielt Jamies Hand unter dem Tisch fest und erzählte ihnen, woher ich es wusste.

Es herrschte Totenstille. Der jüngere Ian war der Einzige, der nicht völlig verdattert aussah – doch er hatte es ja schon gewusst, und er glaubte mir mehr oder weniger. Ich konnte sehen, dass die meisten der hier Versammelten mir nicht glaubten. Jedoch konnten sie mich wohl kaum der Lüge bezichtigen.

»Das ist es, was ich weiß«, sagte ich, wieder direkt an Michael gewandt. »Und woher ich es weiß. Dir bleiben noch ein paar Jahre, um dich vorzubereiten. Zieh mit dem Geschäft nach Spanien oder Portugal um. Verkaufe es und wandere nach Amerika aus. Tu, was du willst – aber bleibe nicht länger als weitere zehn Jahre in Frankreich. Das ist alles«, entschied ich abrupt, stand auf und ging hinaus. Hinter mir herrschte totales Schweigen.

Ich hätte nicht überrascht sein sollen, doch ich war es. Ich war im Hühnerstall und sammelte Eier, als ich am aufgeregten Gackern und Flattern der Hühner im Freien hören konnte, dass jemand ihren Auslauf betreten hatte. Ich warf der letzten Henne einen stählernen Blick zu, der sie davor warnte, nach mir zu hacken, stahl das Ei unter ihrem Bauch und ging ins Freie, um zu sehen, wer dort war.

Es war Jenny mit einer Schürze voll Körner. Das war merkwürdig; ich wusste, dass die Hühner schon gefüttert worden waren, denn ich hatte vor einer Stunde gesehen, wie eine von Maggies Töchtern es tat.

Sie nickte mir zu und streute eine Handvoll Körner nach der anderen aus. Ich legte das letzte warme Ei in meinen Korb. Offensichtlich wollte sie mit mir reden, und dies war ihre Ausrede, es unter vier Augen zu tun. Eine dumpfe Vorahnung regte sich in mir.

Völlig zu Recht, denn mit der letzten Handvoll Körner ließ sie auch jeden Anschein der Unverbindlichkeit fallen.

»Ich möchte dich um einen Gefallen bitten«, sagte sie zu mir, doch sie wich meinem Blick aus, und ich konnte den Puls an ihrer Schläfe sehen wie ein tickendes Uhrwerk.

»Jenny«, sagte ich, doch ich konnte sie genauso wenig aufhalten, wie ich ihr antworten konnte. »Ich weiß –«

»Wirst du Ian heilen?«, entfuhr es ihr, und sie hob den Blick und sah mich an. Ich hatte zwar ihre Frage richtig vorausgeahnt, ihre Gefühle jedoch falsch eingeschätzt. In ihrem Blick lagen Sorge und Angst, doch keine Schüchternheit, keine Verlegenheit; sie hatte die Augen eines Falken, und ich wusste, dass sie mich in Stücke reißen würde, wenn ich ihr den Wunsch verweigerte.