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»Oh, aye? Du hast doch gesagt, dass du in Frankreich Menschen getötet hast.«

»Nun, aye, das habe ich, aber das war im Krieg. Man hat mich dafür bezahlt, sie zu töten; ich habe es nicht aus Hass getan«, fügte er gerechterweise hinzu.

»Nun, dann habe ich also recht«, sagte Jamie. »Du wirst geradewegs durch das Fegefeuer hindurchsegeln wie eine Wolke, denn ich kann mich nicht entsinnen, dass du mich je belogen hättest.«

Ian lächelte voller Zuneigung.

»Aye, nun ja, hin und wieder habe ich bestimmt schon gelogen, Jamie – aber nein, niemals dir gegenüber.«

Er senkte den Blick auf das Holzbein, das vor ihm ausgestreckt lag, und kratzte sich dort am Knie.

»Ob es sich wohl anders anfühlen wird?«

»Wie sollte es das nicht tun?«

»Nun, es ist so«, sagte Ian und drehte den Fuß hin und her. »Ich kann meinen fehlenden Fuß heute noch spüren. Ich spüre ihn, seit er mir abgenommen wurde. Natürlich nicht immer«, fügte er hinzu und blickte auf. »Aber ich spüre ihn. Und das ist sehr seltsam. Spürst du deinen Finger auch?«, fragte er neugierig und wies mit dem Kinn auf Jamies rechte Hand.

»Nun … aye, das tue ich. Nicht die ganze Zeit, aber hin und wieder – und das Gemeine daran ist, dass er zwar fort ist, aber trotzdem höllisch schmerzt, und das erscheint mir ungerecht.«

Danach hätte er sich auf die Zunge beißen können, denn Ian war dem Tode nah, und er jammerte darüber, dass er den Verlust seines Fingers ungerecht fand. Doch Ian keuchte vor Belustigung und lehnte sich kopfschüttelnd zurück.

»Wenn das Leben gerecht wäre, was dann?«

Eine Weile saßen sie da und schwiegen kameradschaftlich, während sie zusahen, wie der Wind durch die Kiefern auf dem Hang gegenüber fuhr. Dann griff Jamie in seinen Sporran und zog das kleine, weiß eingewickelte Päckchen hervor. Es war in Jamies Sporran ein wenig schmutzig geworden, doch es war noch unversehrt in seiner festen Umhüllung.

Ian beäugte das kleine Bündel auf seiner Handfläche.

»Was ist das?«

»Mein Finger«, sagte Jamie. »Ich – nun ja … Ich habe mich gefragt, ob es dir wohl etwas ausmachen würde, wenn er mit dir beerdigt würde.«

Ian sah ihn einen Moment fassungslos an. Dann begannen seine Schultern zu beben.

»Himmel, nicht lachen!«, warnte Jamie alarmiert. »Ich wollte dich nicht zum Lachen bringen. Jenny wird mich umbringen, wenn du dir deine Lunge aus dem Leib hustest und hier draußen stirbst.«

Ian hustete tatsächlich, in Anfällen, die von lang gezogenen keuchenden Lachern unterbrochen wurden. Tränen der Belustigung standen ihm in den Augen, und er presste sich beide Fäuste vor die Brust, während er nach Atem rang. Schließlich jedoch verebbte der Anfall, und Ian richtete sich langsam auf, während er keuchte wie ein Blasebalg. Er zog die Nase hoch und spuckte ganz beiläufig eine grauenvoll scharlachrote Masse zwischen die Felsen.

»Ich würde lieber hier draußen sterben, während ich über dich lache, als in meinem Bett, während sechs Priester für mich beten«, schnaufte er. »Ich bezweifle aber, dass ich die Chance dazu bekommen werde.« Er streckte seine Hand aus. »Aye, gib her.«

Jamie legte ihm den kleinen, weiß eingewickelten Zylinder in die Hand, und Ian steckte sich den Finger beiläufig in den eigenen Sporran.

»Ich bewahre ihn für dich auf, bis du mich einholst.«

Er stieg zwischen den Bäumen hinunter bis an den Rand des Moorstücks unterhalb der Höhle. Es war klirrend kalt. Dazu wehte eine steife Brise, und das Licht änderte sich über der Landschaft wie die Flügelschläge eines Vogels, während die langen Wolken flüchtig über ihn hinweghuschten. Er hatte heute Morgen einen Rotwildwechsel in der Heide entdeckt, der sich jedoch auf einem steinigen Hang verloren hatte, und jetzt war er auf dem Rückweg zum Haus. Er befand sich auf der Rückseite des Hügels, auf dem der Turm stand und der auf dieser Seite dicht mit einem Wäldchen aus Buchen und Kiefern bewachsen war. Den ganzen Morgen hatte er keinen Hirsch gesehen, nicht einmal einen Hasen, doch das kümmerte ihn nicht.

Bei so vielen Menschen im Haus hätten sie das Wild natürlich gut brauchen können – doch er war einfach nur froh, im Freien zu sein, auch wenn er mit leeren Händen zurückkam.

Er konnte Ian nicht ansehen, ohne ihm ins Gesicht starren zu wollen, ihn sich ins Gedächtnis prägen zu wollen, sich diese letzten Bruchstücke seines Schwagers auf dieselbe Weise zu eigen zu machen, wie er sich an besondere Augenblicke erinnerte, die er bei Bedarf hervorholen und erneut durchleben konnte. Gleichzeitig jedoch wollte er Ian nicht so in Erinnerung behalten, wie er jetzt war; besser zu behalten, was er von ihm hatte: Feuerschein auf Ians Profil, während er hemmungslos lachte, weil er Jamie beim Armdrücken besiegt hatte, sie beide mit seiner drahtigen Kraft überrascht hatte. Ians lange Hände mit den knotigen Gelenken auf dem Messer, mit dem er ein Tier ausweidete, der Ruck und der scharfe Metallgeruch des Blutes, das ihm die Finger verschmierte, der Anblick seines braunen Haars, das im Wind des Sees wehte, sein schmaler Rücken, der sich sehnig wie ein Bogen beugte, als er sich bückte, um eines seiner kleinen Kinder oder Enkelkinder vom Boden aufzuheben und es kichernd in die Luft zu werfen.

Es war gut, dass sie gekommen waren, dachte er. Mehr als gut, dass sie den Jungen noch so zeitig gebracht hatten, dass er sich als Mann mit seinem Vater unterhalten konnte, seinen Vater beruhigen und sich richtig verabschieden konnte. Doch im selben Haus mit einem geliebten Bruder zu leben, der allmählich dahinsiechte, zehrte an seinen Nerven.

Bei so vielen Frauen im Haus waren Streitereien unvermeidlich. Da so viele dieser Frauen Fraser hießen, war es, als ginge man mit einer brennenden Kerze durch eine Schwarzpulvermühle. Alle gaben sich große Mühe zurechtzukommen, Haltung zu bewahren, nachzugeben – doch das machte es nur schlimmer, wenn irgendein Funke das Pulverfass tatsächlich zum Explodieren brachte. Er war nicht nur auf der Jagd, weil sie Fleisch brauchten.

Voll Mitgefühl dachte er an Claire. Nach Jennys drangvoller Bitte hatte Claire sich angewöhnt, sich in ihrem Zimmer oder in Ians Studierzimmer zu verstecken – Ian hatte ihr angeboten, es zu benutzen, und Jamie hatte das Gefühl, dass dies Jenny noch mehr verärgerte –, wo sie geschäftig an dem Buch arbeitete, zu dem Andy Bell sie überredet hatte. Sie konnte sich gut konzentrieren und stundenlang in Gedanken verharren – doch sie musste zum Essen herauskommen. Und es war immer da, dieses Bewusstsein, dass Ian im Sterben lag, knirschend wie eine kleine Handmühle, langsam, aber unablässig nagte es an den Nerven.

Auch an Ians Nerven.

Vor zwei Tagen waren er und Ian – langsam – am Ufer des Sees entlanggewandert, als Ian plötzlich stehen geblieben war und sich zusammengekrümmt hatte wie ein Herbstblatt. Jamie war zu ihm geeilt, um ihn beim Arm zu nehmen, bevor er fallen konnte, und er hatte ihn zu Boden gesenkt, ihm einen Felsen als Rückenlehne gesucht, das Schultertuch fest um ihn gezogen, nach etwas, irgendetwas gesucht, das er tun konnte.

»Was ist denn, a charaid?«, fragte er ängstlich, während er neben seinem Schwager hockte, seinem Freund.

Ian hustete beinahe lautlos, so heftig, dass sein ganzer Körper bebte. Schließlich ließ der Krampf nach, und er bekam wieder Luft, sein Gesicht rot vor Anstrengung, das grauenvolle Erröten der Schwindsucht, das dem Betrachter Gesundheit vorgaukelte.

»Es tut weh, Jamie.« Es waren simple Worte, doch Ian hatte die Augen geschlossen, als wollte er Jamie nicht ansehen, während er sie sprach.

»Ich trage dich zurück. Vielleicht geben wir dir etwas Laudanum, und –«

Ian winkte ab, um seinen angstvollen Versprechungen ein Ende zu setzen. Einen Moment lang atmete er flach, bevor er den Kopf schüttelte.

»Aye, meine Brust fühlt sich so an, als steckte ein Messer darin«, sagte er schließlich. »Aber das ist es nicht, was ich gemeint habe. Das Sterben kümmert mich nicht so sehr – aber Himmel, dass es so langsam geht, bringt mich um.« Dann öffnete er die Augen, sah Jamie direkt an und lachte genauso lautlos, wie er gehustet hatte, ein Hauch von einem Geräusch, während sich sein Körper schüttelte.