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Das Sterben schmerzt mich, Dougal. Lass es uns zu Ende bringen. Die Worte kamen ihm so deutlich in den Sinn, als seien sie gerade eben hier ausgesprochen worden, nicht vor dreißig Jahren in einer dunklen, von Kanonen in Trümmer gelegten Kirche. Rupert hatte das gesagt, als er langsam starb. Du bist mein Anführer, Mann, hatte er flehend zu Dougal gesagt. Es ist deine Pflicht. Und Dougal MacKenzie hatte getan, was die Liebe und die Pflicht von ihm verlangten.

Er hatte Ians Hand gehalten, hatte sie fest gedrückt, während er versuchte, etwas von seiner eigenen Gesundheit auf Ians dünne graue Haut zu übertragen. Dann glitt sein Daumen aufwärts und legte sich auf das Handgelenk, dort, wo er Claire zufassen sah, wenn sie nach der Wahrheit über den Zustand eines Patienten suchte.

Er spürte, wie die Haut nachgab und über Ians knochiges Handgelenk glitt. Dachte plötzlich an den Bluteid, den er bei seiner Hochzeit geleistet hatte, das Beißen der Klinge und Claires kaltes Handgelenk, das sich an das seine presste, das klebrige Blut zwischen ihnen. Auch Ians Handgelenk war kalt, doch nicht aus Furcht.

Er blickte auf sein eigenes Handgelenk hinunter, doch er fand keine Spur einer Narbe, weder des Schwurs noch der Eisen; diese Wunden waren flüchtig, längst verheilt.

»Weißt du noch, wie wir Blutsbrüderschaft geschlossen haben?« Ians Augen waren geschlossen, doch er lächelte. Jamies Hand legte sich fester um das knochige Handgelenk, ein wenig erschrocken, aber eigentlich nicht überrascht, dass Ian seinen Gedanken gefolgt war und ihr Echo aufgefangen hatte.

»Aye, natürlich.« Auch er musste lächeln, selbst wenn es schmerzte.

Sie waren beide acht Jahre alt gewesen. Jamies Mutter und ihr Baby waren tags zuvor gestorben. Das Haus war voller Trauergäste gewesen, sein Vater wie betäubt. Sie waren ins Freie geschlüpft, er und Ian, und den Hügel hinter dem Haus hinaufgeklettert, wobei sie versuchten, nicht auf das frisch geschaufelte Grab neben dem Turm zu blicken. In den Wald, geborgen unter den Bäumen.

Dort waren sie langsamer geworden, bis sie schließlich auf dem Gipfel des hohen Hügels angehalten hatten, wo ein altes steinernes Bauwerk, das sie das Fort nannten, vor langer Zeit zusammengefallen war. Sie hatten sich auf die Trümmer gesetzt, zum Schutz gegen den Wind in ihre Plaids gehüllt, ohne viel zu reden.

»Ich dachte, ich würde einen neuen Bruder bekommen«, hatte er plötzlich gesagt. »Aber das habe ich nicht. Es sind nach wie vor nur Jenny und ich.« In den Jahren, die seitdem vergangen waren, war es ihm gelungen, diesen leisen Schmerz zu vergessen, den Verlust des erhofften Bruders, des Jungen, der ihm vielleicht ein wenig von der Liebe zu seinem älteren Bruder Willie zurückgebracht hätte, der an den Pocken gestorben war. Eine Weile hatte er sich diesen Schmerz erhalten, einen brüchigen Schutzschild gegen das überwältigende Bewusstsein, dass seine Mutter für immer fort war.

Ian hatte eine Weile nachgedacht, dann hatte er in seinen Sporran gegriffen und das kleine Messer hervorgeholt, das ihm sein Vater zu seinem letzten Geburtstag geschenkt hatte.

»Ich werde dein Bruder sein«, hatte er beiläufig gesagt und sich – leise durch die Zähne zischend – quer über den Daumen geritzt.

Er hatte Jamie das Messer gegeben, und auch er hatte sich geschnitten, überrascht, dass es so schmerzte, und dann hatten sie die Daumen aneinandergepresst und sich geschworen, für ewig Brüder zu sein. Und das waren sie gewesen.

Er holte tief Luft, um sich gegen den nahen Tod zu stählen, seine schwarze Endgültigkeit.

»Ian. Soll ich …« Ians Lider hoben sich, und das sanfte Braun seines Blickes schärfte sich im Auge dessen, was er in Jamies belegter Stimme hörte. Jamie räusperte sich und blickte zur Seite, dann wieder zu Ian, weil er das absurde Gefühl hatte, dass es feige war, die Augen abzuwenden.

»Möchtest du, dass ich dir helfe?«, fragte er ganz leise. Noch als er das sagte, suchte der kalte Teil seines Verstandes nach dem Weg. Nicht mit dem Messer, nein; es war zwar schnell und sauber, ein guter Tod für einen Mann, doch es würde seine Schwester und die Kinder schmerzen; weder er noch Ian hatten das Recht, ein blutbeflecktes Gedenken zu hinterlassen.

Ians Griff lockerte sich nicht, und er festigte sich nicht, doch plötzlich spürte Jamie den Puls, nach dem er gesucht hatte, ein leises, stetes Pochen unter seiner Hand.

Er hatte den Blick nicht abgewandt, doch es verschwamm ihm vor den Augen, und er senkte den Kopf, um seine Tränen zu verbergen.

Claire … Sie würde wissen, wie, doch er konnte sie nicht bitten, es zu tun. Ihr Eid hinderte sie daran.

»Nein«, sagte Ian. »Noch nicht jedenfalls.« Er lächelte, und sein Blick war sanft. »Aber ich bin froh zu wissen, dass du es tun wirst, wenn es nötig ist, mo brathair.«

Der Hauch einer Bewegung brachte ihn blitzartig zum Stehen und riss ihn aus seinen Gedanken.

Es hatte ihn nicht gesehen, obwohl er frei stand. Doch der Wind wehte in seine Richtung, und das Tier war damit beschäftigt, zwischen den trockenen Heidepflanzen nach geschützten Grasbüscheln und weicheren Moorpflanzen zu suchen. Er wartete und lauschte dem Wind. Er konnte nur den Kopf und die Schultern des Tiers hinter einem Ginsterbusch sehen, doch aus dem kräftigen Hals schloss er auf einen Hirsch.

Er wartete und spürte, wie sein Instinkt allmählich zurückkehrte. Im Moor Rotwild zu jagen, war anders als die Jagd in den Wäldern North Carolinas. Viel langsamer. Das Tier kam ein Stückchen hinter dem Ginsterbusch hervor, ganz aufs Fressen konzentriert, und er begann, sein Gewehr kaum merklich zu heben. Er hatte den Lauf von einem Büchsenmacher in Edinburgh begradigen lassen, hatte es aber seitdem noch nicht benutzt; er hoffte, dass es richtig zielen würde.

Hatte es nicht mehr benutzt, seit er dem Hessen hinter der Schanze damit den Schädel zertrümmert hatte. Plötzlich erinnerte er sich lebhaft daran, wie Claire das verformte Geschoss, das Simon Fraser getötet hatte, auf das Porzellantellerchen fallen ließ, und das klirrende Ausrollen ging ihm durch Mark und Bein.

Ein Schritt noch, zwei; das Tier hatte einen Leckerbissen gefunden und zerrte und kaute mit großer Konzentration daran. Wie um sich selbst zu erfüllen, richtete sich der Lauf des Gewehrs auf sein Ziel. Ein kräftiger Bock, nicht mehr als hundert Meter. Er konnte das große, feste Herz spüren, das unter seinen eigenen Rippen pumpte, in seinen Fingerspitzen auf dem Metall pulsierte. Der Kolben drückte sich fest in seine Schulter.

Er begann gerade abzudrücken, als er hinter sich im Wald Schreie hörte. Das Gewehr ging los, der Schuss feuerte ins Leere, der Hirsch verschwand krachend im brechenden Heidegeäst, und die Schreie verstummten.

Er machte kehrt und hetzte in den Wald, in die Richtung, aus der er den Schrei gehört hatte, und sein Herz hämmerte. Wer? Eine Frau, doch wer?

Er fand Jenny ohne große Schwierigkeiten, denn sie stand wie erstarrt auf der kleinen Lichtung, auf der er und sie und Ian sich als Kinder gestohlene Süßigkeiten geteilt und Ritter und Soldat gespielt hatten.

Sie war eine tapfere Soldatin gewesen.

Vielleicht hatte sie auf ihn gewartet, nachdem sie sein Gewehr gehört hatte. Vielleicht konnte sie sich einfach nicht bewegen. Mit geradem Rücken und leerem Blick stand sie da und sah ihn kommen, ihre Schultertücher wie eine rostige Rüstung um sich gelegt.

»Fehlt dir etwas, Liebes?«, fragte er und lehnte sein Gewehr an die große Kiefer, unter der sie ihm und Ian in den langen Sommernächten vorgelesen hatte, wenn die Sonne vom Abendrot bis zum Morgengrauen kaum unterging.

»Nein«, flüsterte sie mit tonloser Stimme.

»Aye, gut«, sagte er seufzend. Als er sie erreichte, bestand er darauf, ihre Hände zu ergreifen; sie gab sie ihm zwar nicht, widersetzte sich aber auch nicht. »Ich habe dich schreien hören.«