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»Ich wollte nicht, dass es jemand hört.«

»Natürlich nicht.« Er zögerte und hätte sie gern noch einmal gefragt, ob ihr etwas fehlte, doch das war töricht. Er wusste genau, was ihr fehlte und warum sie in den Wald gehen und schreien musste, dort, wo ihr niemand dumme Fragen stellen würde, ob es ihr gut ging.

»Möchtest du, dass ich gehe?«, fragte er stattdessen, und sie verzog das Gesicht und zog an ihrer Hand, doch er ließ sie nicht los.

»Nein. Was ändert das schon? Was ist überhaupt zu ändern?« Er hörte den Unterton der Hysterie in ihrer Stimme.

»Wenigstens … haben wir den Jungen rechtzeitig zurückgebracht«, sagte er, weil er ihr sonst nichts anzubieten hatte.

»Aye, das habt ihr«, sagte sie und rang so angestrengt um ihre Beherrschung, dass diese zerriss wie alte Seide. »Und deine Frau hast du auch mitgebracht.«

»Machst du mir etwa Vorwürfe, weil ich meine Frau mitgebracht habe?«, fragte er schockiert. »Warum denn, in Gottes Namen? Solltest du nicht froh sein, dass sie zurückgekommen ist? Oder kannst du –« Er schluckte seine nächsten Worte hastig herunter; fast hätte er gefragt, ob sie es ihm missgönnte, dass er noch eine Frau hatte, während sie im Begriff stand, ihren Mann zu verlieren, und das konnte er wahrhaftig nicht sagen.

Aber das hatte Jenny gar nicht gemeint.

»Aye, sie ist zurückgekommen. Aber wozu?«, rief sie. »Was nützt uns eine Feenfrau, wenn sie zu kaltherzig ist, auch nur einen Finger zu Ians Rettung zu rühren?«

Er war so erschüttert, dass er nur benommen wiederholen konnte: »Kaltherzig? Claire?«

»Ich habe sie gefragt, und sie hat es mir verweigert.« Die Augen seiner Schwester waren tränenlos, panisch vor Schmerz und Not. »Kannst du sie nicht dazu bringen, mir zu helfen, Jamie?«

Die Lebenskraft seiner Schwester, die immer leuchtend vibrierte, pochte jetzt unter seinen Fingern wie ein in Ketten gelegter Blitz. Besser, wenn er sich an ihm entlud, dachte er. Ihn konnte sie nicht verletzen.

»Mo pìuthar, sie würde ihn doch heilen, wenn sie könnte«, sagte er so sanft wie möglich, ohne sie loszulassen. »Sie hat mir erzählt, dass du sie danach gefragt hast – und sie hat dabei geweint. Sie liebt Ian genau –«

»Wage es nicht zu sagen, dass sie meinen Mann genauso liebt, wie ich es tue!«, schrie sie und riss sich so heftig von ihm los, dass er überzeugt war, dass sie ihn schlagen würde. Was sie auch tat; sie ohrfeigte sein Gesicht so kräftig, dass ihm auf der getroffenen Seite das Auge tränte.

»Das hatte ich gar nicht vor«, sagte er beherrscht. Er rieb sich vorsichtig die Wange. »Ich wollte sagen, dass sie ihn genauso liebt –«

Er hatte vorgehabt zu sagen »wie mich«, doch dazu kam er nicht. Sie trat ihm so fest vor das Schienbein, dass seine Knie nachgaben, und er ruderte stolpernd mit den Armen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, was ihr die Gelegenheit gab, kehrtzumachen und den Hügel hinunterzurennen wie eine Hexe auf einem Besen, ihre Röcke und Tücher ein Sturm, der sie wirbelnd umwehte.

Kapitel 82

Vorkehrungen

Wundreinigung, schrieb ich sorgfältig, dann hielt ich inne, um meine Gedanken in geordnete Bahnen zu lenken. Kochendes Wasser, saubere Tücher, Entfernung von Fremdkörpern. Anwendung von Maden auf abgestorbenem Fleisch (mit einem Warnhinweis zum Thema Schmeißfliegen und Schraubenwurmfliegen? Nein, zwecklos; ohne Vergrößerungsglas würde sie niemand unterscheiden können). Das Nähen von Wunden (Sterilisation von Nadel und Faden). Nützliche Umschläge. Sollte ich einen separaten Abschnitt zur Herstellung und zum Nutzen von Penizillin anfügen?

Ich tippte mit dem Federkiel auf die Unterlage und malte kleine Tintensterne, entschied mich aber schließlich dagegen. Dies sollte ein nützliches Handbuch für den normalen Menschen werden. Der normale Mensch war nicht für die mühsame Herstellung von Penizillin ausgerüstet, genauso wenig wie es wahrscheinlich war, dass er über einen Injektionsapparat verfügte – obwohl ich mit einem Anflug von Belustigung an die Penisspritze denken musste, die mir Dr. Fentiman gezeigt hatte.

Dies wiederum erinnerte mich – kurz, aber lebhaft – an David Rawlings und sein Penisjoch. Benutzte er es tatsächlich selbst?, fragte ich mich, verdrängte jedoch hastig das Bild, das bei diesem Gedanken vor meinem inneren Auge entstand, und blätterte einige Bogen zurück, um nach meiner Themenübersicht zu suchen.

Masturbation, schrieb ich nachdenklich. Wenn einige Ärzte sie in ein negatives Licht rückten – und das taten sie nun einmal –, gab es ja wohl keinen Grund, warum ich nicht das Gegenteil tun konnte, wenn auch diskret.

Kurz darauf malte ich immer noch Tintensternchen, ganz in das Problem vertieft, diskrete Worte zu den Vorteilen der Masturbation zu finden. Hm, was, wenn ich schwarz auf weiß feststellte, dass Frauen es ebenfalls taten?

»Sie würden die gesamte Auflage verbrennen und Andy Bells Druckerei wahrscheinlich gleich dazu«, sagte ich laut.

Jemand holte scharf Luft, und als ich aufblickte, sah ich eine Frau in der Studierzimmertür stehen.

»Oh, sucht Ihr nach Ian Murray?«, fragte ich und schob meinen Stuhl zurück. »Er ist –«

»Nein, Ihr seid es, die ich gesucht habe.« Ihre Stimme hatte einen sehr merkwürdigen Tonfall, und ich stand auf. Ich hatte plötzlich das Gefühl, mich verteidigen zu müssen, ohne zu wissen, warum.

»Ah«, sagte ich. »Und Ihr seid …?«

Sie trat aus dem halbdunklen Flur ins Licht.

»Dann kennt Ihr mich nicht mehr?« Ihr Mund verzog sich zu einem angedeuteten, wütenden Lächeln. »Laoghaire MacKenzie … Fraser«, fügte sie beinahe widerstrebend hinzu.

»Oh«, sagte ich.

Ich hätte sie auf der Stelle erkannt, wäre ihre Anwesenheit nicht so unpassend gewesen. Dies war der letzte Ort, an dem ich sie erwartet hätte, und die Tatsache, dass sie hier war … Die Erinnerung an das, was geschehen war, als sie das letzte Mal nach Lallybroch gekommen war, ließ mich unauffällig nach dem Brieföffner auf dem Schreibtisch tasten.

»Ihr sucht nach mir«, wiederholte ich argwöhnisch. »Nicht nach Jamie?«

Mit einer verächtlichen Geste schob sie den Gedanken an Jamie beiseite und griff in die Tasche an ihrer Taille, aus der sie einen zusammengefalteten Brief hervorzog.

»Ich bin hier, um Euch um einen Gefallen zu bitten«, sagte sie, und erst jetzt hörte ich das Beben in ihrer Stimme. »Lest das. Bitte«, fügte sie hinzu und presste die Lippen fest aufeinander.

Ich warf einen skeptischen Blick auf ihre Tasche, doch sie war flach; wenn sie eine Pistole dabeihatte, trug sie sie zumindest nicht dort. Ich ergriff den Brief und zeigte auf den Stuhl auf der anderen Seite des Schreibtischs. Wenn sie auf die Idee kam, auf mich loszugehen, würde mir Zeit bleiben zu reagieren.

Eigentlich jedoch hatte ich keine Angst vor ihr. Sie war bestürzt, das war klar. Doch sie hatte sich fest im Griff.

Ich öffnete den Brief, und während ich mich hin und wieder mit einem raschen Blick davon überzeugte, dass sie blieb, wo sie war, begann ich zu lesen.

15. Februar 1778

Philadelphia

»Philadelphia?«, sagte ich verblüfft und blickte zu Laoghaire auf.

»Sie sind letzten Sommer dorthin gezogen, weil er dachte, dass es da sicherer sein würde.« Ihre Lippen verzogen sich ein wenig. »Zwei Monate später ist die britische Armee in die Stadt einmarschiert und hält sie seitdem besetzt.«

»Er« war dann wohl Fergus. Laoghaire sprach ohne Groll von ihm, offensichtlich hatte sie ihren Frieden mit dem Mann ihrer älteren Tochter geschlossen.

Liebe Mama,

ich muss Dich aus Liebe zu mir und den Kindern um einen Gefallen bitten. Das Problem liegt bei Henri-Christian. Wegen seiner ungewöhnlichen Gestalt hat er immer schon schwer Luft bekommen, vor allem, wenn er erkältet ist, und er schnarcht schon seit seiner Geburt. Jetzt hat er angefangen, im Schlaf ganz mit dem Atmen aufzuhören, es sei denn, wir bringen ihn mithilfe von Kissen in eine ganz bestimmte Position. Mutter Claire hat ihm in den Hals geschaut, als sie und Pa uns in New Bern besucht haben, und sie hat damals gesagt, seine Rachenmandeln wären vergrößert und könnten ihm zukünftig Schwierigkeiten bereiten. (Germain hat dies auch, und er atmet oft mit offenem Mund, doch für ihn bedeutet das nicht dieselbe Gefahr wie für Henri-Christian.)