Er schloss die Augen und verzog das Gesicht. Seine Finger klammerten sich instinktiv um meine Hand, weil er das Naheliegende nicht wahrhaben wollte. Ich klammerte mich nicht minder fest an seine Finger, ungeachtet der Tatsache, dass es seine empfindliche Rechte war, die ich hielt. Der Gedanke, überhaupt von ihm getrennt zu werden – noch dazu durch den Atlantischen Ozean, sodass es eine gefühlte Ewigkeit dauern würde, bis wir einander wiedersahen –, erfüllte mich mit bodenloser Trostlosigkeit und einem Gefühl vagen Grauens.
Er würde mit mir gehen, wenn ich ihn darum bat – wenn ich ihm auch nur den geringsten Spielraum für irgendwelche Zweifel ließ. Das durfte ich nicht.
Er brauchte das hier so sehr. Brauchte das bisschen Zeit mit Ian, das ihm noch blieb; musste erst recht für Jenny hier sein, wenn Ian starb, denn er konnte ihr auf eine Weise Trost spenden, wie es nicht einmal ihre Kinder konnten. Und wenn er schon zu Laoghaire hatte gehen müssen, weil ihn das schlechte Gewissen wegen ihrer gescheiterten Ehe plagte – wie viel größer würden seine Schuldgefühle sein, wenn er seine Schwester erneut im Stich ließ, und zwar dann, wenn ihre Not am größten war.
»Du kannst nicht fort«, flüsterte ich drängend. »Ich weiß, Jamie.«
Er öffnete die dunklen Augen und sah mich angstvoll an.
»Ich kann dich aber nicht gehen lassen. Nicht ohne mich.«
»Es … wird nicht lange dauern«, sagte ich und zwang die Worte an dem Kloß in meinem Hals vorüber. Noch größer als der Schmerz, mich von ihm trennen zu müssen, war der Schmerz angesichts des Grundes, warum unsere Trennung nicht von langer Dauer sein würde.
»Ich bin schließlich schon sehr viel weiter allein gereist«, sagte ich und versuchte zu lächeln. Sein Mund bewegte sich, weil er gern geantwortet hätte, doch der Kummer in seinen Augen blieb unverändert.
Ich hob seine verkrüppelte Hand an meine Lippen und küsste sie, presste meine Wange darauf und wandte den Kopf ab – doch mir lief eine Träne über die Wange, und ich wusste, dass er die Feuchtigkeit spürte, denn seine andere Hand griff nach mir und zog mich an ihn. Und dann saßen wir lange, lange aneinandergepresst da und lauschten dem Wind, der das Gras und das Wasser sacht bewegte. Der Reiher war am anderen Ufer des Sees gelandet und stand auf einem Bein abwartend in den kleinen Wellen.
»Wir brauchen einen Anwalt«, sagte ich schließlich, ohne mich zu bewegen. »Lebt Ned Gowan eigentlich noch?«
Zu meinem großen Erstaunen lebte Ned Gowan tatsächlich noch. Wie alt mochte er nur sein?, fragte ich mich, als ich ihn betrachtete. Fünfundachtzig? Neunzig? Er war so zahnlos und verschrumpelt wie eine zusammengeknüllte Papiertüte, doch immer noch munter wie ein Fisch im Wasser. Und der Blutdurst seines Berufes hatte keineswegs gelitten.
Er hatte damals die Vereinbarung zur Annullierung der Ehe zwischen Jamie und Laoghaire aufgesetzt und fröhlich die jährlichen Zahlungen an Laoghaire festgelegt, die Mitgiftsummen für Marsali und Joan. Genauso fröhlich machte er sich nun an die Demontage dieser Abmachungen.
»Also, noch einmal die Frage von Mrs Joans Mitgift betreffend«, sagte er trotz seiner fehlenden Zähne überraschend deutlich und leckte nachdenklich an der Spitze seines Federkiels. »Ihr habt im ursprünglichen Dokument festgelegt, Sir, dass diese Summe – darf ich sagen, diese außerordentlich großzügige Summe – der jungen Frau bei ihrer Eheschließung zu überlassen sei und danach ihr alleiniges Eigentum bleiben und nicht in den Besitz ihres Mannes übergehen solle.«
»Aye, das stimmt«, sagte Jamie nicht besonders geduldig. Er hatte vorher unter vier Augen zu mir gesagt, dass er sich lieber nackt und gefesselt auf einen Ameisenhügel setzen würde, als länger als fünf Minuten mit einem Anwalt zu tun haben zu müssen. Und wir waren nun schon eine gute Stunde mit den Komplikationen dieser Vereinbarung befasst. »Und?«
»Und sie heiratet aber nicht«, erklärte Mr Gowan mit der Geduld, die er jemandem entgegenbrachte, der zwar etwas begriffsstutzig sein mochte, der aber dennoch Respekt verdiente, da er ja das Anwaltshonorar bezahlte. »Die Frage, ob sie gemäß diesem Vertrag Anspruch auf die Mitgift hat –«
»Sie heiratet doch«, beharrte Jamie. »Sie wird eine Braut Christi, ignoranter Protestant.«
Verdutzt sah ich Ned an, da mir noch nie etwas davon zu Ohren gekommen war, dass er Protestant war, doch er widersprach nicht. Hellwach wie immer bemerkte Mr Gowan meine Verblüffung und lächelte mit glitzernden Äuglein.
»Ich kenne keine Religion außer dem Gesetz, Ma’am«, erklärte er. »Rituale bedeuten mir nichts; für mich ist Gott die Personifikation der Justiz, und in dieser Form diene ich Ihm.«
Jamie reagierte mit einem tiefen schottischen Kehllaut auf diese Aussage.
»Aye, und das wird Euch gewiss viel nützen, sollte Euren Klienten hier jemals bewusst werden, dass Ihr kein Papist seid.«
Mr Gowans kleine dunkle Augen glitzerten unvermindert weiter, als er sie jetzt auf Jamie richtete.
»Gewiss wollt Ihr damit doch nicht sagen, dass Ihr mich erpressen wollt, Sir? Oh, ich zögere, diese ehrenvolle schottische Erfindung in einem Atemzug mit Eurem edlen Charakter zu erwähnen – und mit der Tatsache, dass Ihr diesen vermaledeiten Vertrag ohne mich niemals hinbekommen werdet.«
Jamie seufzte tief und machte es sich auf seinem Stuhl so bequem wie möglich.
»Aye, also weiter. Was fangen wir wegen der Mitgift an?«
»Ah.« Mr Gowan widmete sich dienstbeflissen wieder dem eigentlichen Anliegen. »Ich habe mit der jungen Dame gesprochen und sie diesbezüglich nach ihren Wünschen gefragt. Als Urheber des Vertrags könnt Ihr – mit der Zustimmung der anderen Unterzeichnenden, die Euch, wie ich höre, erteilt wurde« – er hüstelte trocken bei dieser angedeuteten Erwähnung Laoghaires –, »die Bedingungen des Originaldokuments ändern. Da Mrs Joan, wie ich ja bereits sagte, nicht zu heiraten plant, würdet Ihr nun die Mitgift gern vollständig zurücknehmen, die existierenden Bedingungen beibehalten oder sie irgendwie ändern?«
»Ich möchte, dass Joan das Geld bekommt«, sagte Jamie, dem die Erleichterung, endlich eine konkrete Frage gestellt zu bekommen, deutlich anzumerken war.
»Absolut?«, erkundigte sich Mr Gowan mit erhobenem Federkiel. »Das Wort ›absolut‹ hat in der Rechtssprache eine andere Bedeutung als –«
»Ihr sagt, Ihr habt mit Joan gesprochen. Was zum Teufel möchte sie denn?«
Mr Gowan sah glücklich aus, wie es bei ihm stets der Fall war, wenn er eine neue Komplikation witterte.
»Sie möchte nur einen kleinen Teil der eigentlichen Mitgift erhalten, um damit ihre Aufnahme in einen Konvent zu bewirken; eine solche Spende ist meines Wissens üblich.«
»Aye?« Jamie zog eine Augenbraue hoch. »Und was ist mit dem Rest?«
»Sie wünscht, dass der Rest ihrer Mutter Laoghaire MacKenzie übereignet wird, allerdings nicht absolut, falls Ihr mir folgen könnt. Sondern unter gewissen Bedingungen.«
Jamie und ich wechselten einen Blick.
»Was für Bedingungen?«, fragte er vorsichtig.
Mr Gowan hielt seine verwitterte Hand hoch, um einen Finger nach dem anderen einzuklappen, während er die Bedingungen aufzählte.
»Erstens, dass das Geld erst freigegeben wird, wenn die Eheschließung zwischen Laoghaire MacKenzie Fraser und Joseph Boswell Murray ordnungsgemäß im Pfarrbuch von Broch Mordha vermerkt wird, bezeugt und bescheinigt von einem Priester. Zweitens, dass ein Vertrag unterzeichnet wird, der das Anwesen Balriggan und all seine beweglichen Güter zum alleinigen Eigentum Laoghaire MacKenzie Frasers erklärt, bis zu ihrem Tod, worüber hinaus die erwähnte Laoghaire MacKenzie Fraser in einem ordentlichen Testament darüber verfügen kann. Drittens soll ihr das Geld nicht absolut überlassen werden, sondern von einem Treuhänder verwaltet und in jährlichen Raten zu zwanzig Pfund ausgezahlt werden, die gemeinsam an die erwähnten Laoghaire MacKenzie Fraser und Joseph Boswell Murray zu zahlen sind. Viertens, dass diese jährlichen Zahlungen einzig zum Erhalt und der Instandsetzung des Anwesens Balriggan zu verwenden sind. Fünftens, dass die jährliche Zahlung vom ordentlichen Nachweis der Verwendung der Zahlung des Vorjahres anhängig zu machen sei.« Er klappte auch den Daumen ein, ließ die geschlossene Faust sinken und hob einen Finger seiner anderen Hand.