»Ah. Er hat … nichts gesagt?«
Sie schüttelte den Kopf. »Er konnte nicht mehr sprechen. Er hat nur hin und wieder den Mund bewegt und leise gegurgelt.« Ihr Kinn verzog sich ein wenig vor Schmerz bei dieser Erinnerung, doch sie presste die Lippen zusammen. »Kurz vor dem Ende habe ich gemerkt, wie er versucht hat zu sprechen. Sein Mund hat versucht, die Worte zu bilden, und er hat mich angesehen und versucht, sich mir verständlich zu machen.« Sie sah ihn an.
»Einmal hat er ›Jamie‹ gesagt, das weiß ich mit Sicherheit. Ich dachte, er wollte nach dir fragen, und ich habe ihm gesagt, dass Dougal gesagt hatte, du wärst am Leben, und dass er versprochen hatte, dass dir nichts zustoßen würde. Das schien ihn ein bisschen zu trösten, und kurz danach ist er gestorben.«
Er schluckte krampfhaft, und es klang ihm laut in den Ohren. Es hatte wieder schwach zu regnen begonnen, und über ihnen prasselten Tröpfchen auf die Blätter.
»Taing«, sagte er schließlich leise. »Ich habe mich immer gefragt, wie es war. Ich wünschte, ich hätte ihm sagen können, dass es mir leidgetan hat.«
»Das hättest du nicht gebraucht«, erwiderte sie genauso leise. »Er hätte es auch so gewusst.«
Er nickte, und im ersten Moment konnte er nicht sprechen. Dann jedoch sammelte er sich, griff erneut nach ihrer Hand und wandte sich ihr zu.
»Zu dir kann ich aber sagen, dass es mir leidtut, a pìuthar, und das tue ich.«
»Was denn?«, fragte sie überrascht.
»Dass ich Dougal geglaubt habe, als er mir erzählt hat … nun, als er gesagt hat, du wärst die Hure eines englischen Soldaten geworden. Ich war ein Narr.« Er richtete den Blick auf seine verstümmelte Hand, weil er ihr nicht in die Augen sehen wollte.
»Aye, nun ja«, sagte sie und legte ihre Hand auf die seine, leicht und kühl wie die frischen Blätter, die ringsum im Regen flatterten. »Du hattest Dougal nötig. Ich nicht.«
Sie saßen noch eine Weile da, friedvoll, während sie sich an den Händen hielten.
»Was glaubst du, wo er jetzt ist?«, fragte Jenny plötzlich. »Ian, meine ich.«
Er blickte zum Haus hinüber, dann zu dem wartenden Grab, doch das, was das Grab aufnehmen würde, war natürlich nicht mehr Ian. Im ersten Moment stieg Panik in ihm auf, weil die Leere wieder da war. Doch dann wusste er es. Und mit großer Klarheit begriff er, was Ian zu ihm gesagt hatte.
Zu deiner Rechten, Mann. Zu seiner Rechten. Um seine schwache Seite zu decken.
»Er ist genau hier«, sagte er zu Jenny und wies kopfnickend auf die Stelle zwischen ihnen. »Wo er hingehört.«
Siebter Teil
… wird Sturm ernten
Kapitel 85
Sohn einer Hexe
Als Roger und Buccleigh zum Haus gefahren kamen, lief ihnen Amanda entgegen, und als sie zu ihrer Mutter zurückrannte, schwenkte sie ein kleines blaues Plastikwindrad an einem Stöckchen.
»Mama! Guck, was ich habe, guck, was ich habe!«
»Oh, wie hübsch!« Brianna bückte sich, um das Spielzeug zu bewundern, und pustete, damit es sich drehte.
»Ich mach das, ich mach das!« Amanda holte es sich zurück und pustete fest entschlossen, ohne jedoch viel zu bewirken.
»Von der Seite, a leannan, von der Seite.« William Buccleigh kam um das Auto herum und hob Amanda auf, um ihre Hand sanft so zu drehen, dass das Windrad im Lot zu ihrem Gesicht stand. »Jetzt kannst du pusten.« Er hielt das Gesicht an ihre Wange und half mit, und das Windrad surrte wie ein Maikäfer.
»Aye, das ist schön, nicht wahr? Dann versuch es jetzt einmal selbst.« Er sah Brianna an, zuckte halb entschuldigend mit den Achseln und trug Amanda über den Weg, während sie fleißig puffte und pustete. Sie kamen an Jem vorbei, der das Windrad ebenfalls gebührend bewunderte. Roger stieg mit ein paar Plastiktüten aus dem Auto und blieb stehen, um kurz unter vier Augen mit Brianna zu sprechen.
»Wenn wir einen Hund hätten, ob er ihn wohl auch mögen würde?«, murmelte sie und wies kopfnickend hinter ihrem Gast her, der sich jetzt angeregt mit beiden Kindern unterhielt.
»Dass einer lächeln und doch ein Schurke sein kann«, erwiderte Roger, der die Szene mit zusammengekniffenen Augen beobachtete. »Von unserem Instinkt einmal ganz abgesehen, glaube ich nicht, dass Hunde oder Kinder unbedingt gute Menschenkenner sind.«
»Mm. Hat er dir noch irgendetwas erzählt, als ihr unterwegs wart?« Roger war mit William Buccleigh in Inverness gewesen, um ihm etwas zum Anziehen zu kaufen, da er nicht mehr besaß als die Jeans, das T-Shirt und die geschenkte Jacke, in denen er gekommen war.
»Ein paar Dinge. Ich habe ihn gefragt, wie er hierhergekommen ist – nach Lallybroch, meine ich – und warum er sich hier herumgetrieben hat. Er sagt, er hätte mich in Inverness auf der Straße gesehen und mich erkannt, aber ich hätte schon im Auto gesessen und wäre losgefahren, bevor er sich dazu aufraffen konnte, mich anzusprechen. Er hat mich aber noch ein paarmal gesehen und sich vorsichtig erkundigt, wo ich wohne. Er –« Er hielt inne und sah sie mit dem Hauch eines Lächelns an. »Vergiss nicht, was er ist und wo er herkommt. Er dachte – und ich glaube nicht, dass er mir ein Märchen erzählt hatte –, dass ich einer vom Alten Volk sein musste.«
»Wirklich?«
»Aye, wirklich. Und oberflächlich betrachtet … Nun, ich habe das Hängen überlebt, was ja den wenigsten gelingt.« Sein Mund verzog sich ein wenig, als er die Narbe an seiner Kehle berührte. »Und ich bin … wir sind offensichtlich unversehrt durch die Steine gereist. Ich meine … Na ja, ich konnte ihn schon verstehen.«
Obwohl sie beunruhigt war, zog sie belustigt die Nase hoch.
»Tja. Du meinst, er hatte Angst vor dir?«
Roger zuckte hilflos mit den Achseln. »Ja. Und ich glaube ihm – obwohl ich sagen muss, dass er sich dafür ziemlich wacker schlägt.«
»Würdest du so tun, als hättest du Angst, wenn du einem mächtigen übernatürlichen Wesen gegenübertrittst? Oder würdest du den Abgebrühten spielen? Als männlicher Vertreter der Gattung, wie Mama es formulieren würde. Oder als richtiger Mann, wie Pa sagt. Du und Pa, ihr verhaltet euch doch beide wie John Wayne, wenn etwas im Busch ist, und dieser Kerl ist mit euch beiden verwandt.«
»Das stimmt«, sagte er, obwohl sein Mund bei dem »übernatürlichen Wesen« zuckte. Oder vielleicht bei dem Teil mit John Wayne. »Und er hat zugegeben, dass er vor Schreck noch ziemlich benommen war. Das konnte ich nachvollziehen.«
»Mm. Und er wusste, was mit uns ist. Mehr oder weniger. Er hat mir erzählt, was passiert ist, als er durch die Steine gekommen ist – hat er dir das auch erzählt?«
Sie waren zwar langsam gegangen, doch sie waren jetzt fast an der Tür; Brianna konnte Annies Stimme im Flur hören, die eine Frage stellte, die plappernden Kinder zur Ordnung rief, dann William Buccleighs gebrummte Antwort.
»Aye, das hat er. Er wollte – er will, und zwar sehnlichst – in seine eigene Zeit zurück. Ich wüsste doch offensichtlich, wie es geht, hat er gesagt, und er hätte einfach herkommen und mich ansprechen müssen, um es herauszufinden. Aber nur ein Dummkopf würde einfach bei einem Fremden anklopfen, geschweige denn einem Fremden, den er schon einmal beinahe umgebracht hätte, erst recht zu schweigen von einem Fremden, der ihn auf der Stelle vernichten oder in eine Krähe verwandeln konnte.« Er zuckte noch einmal mit den Achseln.
»Also hat er seinem Aushilfsjob den Rücken gekehrt und angefangen, hier herumzulungern und uns zu beobachten. Wahrscheinlich, um zu sehen, ob wir Menschenknochen auf den Abfall werfen. Jem ist einmal am Turm mit ihm zusammengestoßen, und er hat ihm gesagt, er wäre ein Nuckelavee – einerseits, um Jem zu verjagen, andererseits, weil er dachte, wenn Jem mir erzählen würde, dass auf dem Hügel ein Nuckelavee wohnt, würde ich vielleicht hinaufsteigen und mich meiner Zauberkraft bedienen. Und dann …« Er breitete die Hände aus.