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»So oder so hätte es das Leben, das er führt, mit derselben Sicherheit zerstört, als ob du ihn auf ein Pulverfass gesetzt und die Lunte angezündet hättest. Man wüsste zwar nicht, wann es geknallt hätte, doch geknallt hätte es mit Sicherheit.«

»Mmpfm«, hatte sie gesagt, und damit war das Gespräch beendet gewesen. Doch seine Argumente waren nicht überzeugend gewesen, und er wusste, dass das Thema noch nicht erledigt war.

Inzwischen hatte er sämtliche Türen und Fenster im Parterre überprüft und war zum Schluss in sein Studierzimmer getreten.

Er schaltete das Licht ein und trat in das Zimmer. Er war hellwach, und seine Nerven lagen blank. Warum?, fragte er sich. Versuchte das Haus etwa, ihm etwas mitzuteilen? Er prustete schwach. Schwierig, sich so etwas nicht einzubilden, wenn mitten in der Nacht der Wind an den Fenstern rüttelte. Und doch fühlte er sich normalerweise in diesem Zimmer völlig zu Hause. Was war nur los?

Er warf einen raschen Blick auf den Schreibtisch, auf die tiefe Fensterbank und den kleinen Topf mit gelben Chrysanthemen, die Brianna dorthin gestellt hatte, die Bücherborde –

Er erstarrte, und sein Herz hämmerte wild drauflos. Die Schlange war nicht mehr da. Doch, doch, da war sie – jetzt fiel sein wandernder Blick darauf. Aber sie lag an der falschen Stelle. Sie lag nicht vor der Holzkiste mit Claires und Jamies Briefen, sondern zwei Bretter tiefer vor den Büchern.

Er nahm sie in die Hand und strich automatisch mit dem Daumen über das blanke Kirschholz. Vielleicht hatte Annie MacDonald sie verlegt? Nein. Sie staubte zwar im Studierzimmer ab und wischte den Boden, doch sie räumte nie etwas vom Fleck. Eigentlich räumte sie überhaupt nie etwas weg; er hatte zwar schon einmal gesehen, wie sie ein Paar Gummischuhe aufgehoben hatte, die jemand achtlos mitten in der Waschküche hatte stehen lassen, vorsichtig darunter den Boden gewischt und sie dann mitsamt ihren Schlammspritzern wieder an dieselbe Stelle gestellt hatte. Doch die Schlange hätte sie niemals weggesetzt.

Brianna hätte sie noch weniger weggenommen. Ohne zu wissen, woher, wusste er, dass die Schlange für sie dieselbe Bedeutung hatte wie für ihn; Willie Frasers Schlange hütete den Schatz seines Bruders.

Er hob die Kiste vom Regal, noch bevor sein Gedankengang bewusst zu einem logischen Schluss gelangt war.

Sämtliche Alarmglocken schrillten. Der Inhalt der Kiste war angerührt worden; die kleinen Bücher lagen oben auf den Briefen, nicht darunter. Er holte die Briefe heraus und verfluchte sich, weil er sie nie gezählt hatte. Woran sollte er nun erkennen, ob einer fehlte?

Er sortierte sie eilig in gelesene und ungelesene Briefe, und er glaubte, dass der Stapel der ungelesenen Briefe unverändert war; wer auch immer sich an der Kiste vergriffen hatte, hatte sie nicht geöffnet; das war immerhin etwas. Doch wahrscheinlich hatte er ja verhindern wollen, dass man ihm auf die Schliche kam.

Hastig blätterte er die geöffneten Briefe durch und merkte sofort, dass einer fehlte: der Brief auf Briannas handgeschöpftem Papier mit den Blumen. Der erste. Himmel, was hatte darin gestanden? Wir leben noch. So viel wusste er noch. Und dann hatte ihnen Claire die Explosion und den Brand des Hauses geschildert. Hatte sie da schon gesagt, dass sie nach Schottland fahren würden? Aber warum zum Teufel sollte –

Zwei Etagen über ihm fuhr Mandy im Bett auf und brüllte wie eine ban-sidhe.

Er war einen halben Schritt vor Brianna in Amandas Zimmer und hob das Kind aus dem Bett, um es an seinem hämmernden Herzen zu wiegen.

»Jemmy, Jemmy!«, schluchzte sie. »Er ist weg, er ist weg. Er ist WEG!!!« Das letzte Wort war ein Aufschrei, und sie bäumte sich in Rogers Armen auf und bohrte ihm die Füße fest in den Bauch.

»Hey, hey«, sagte er tröstend und versuchte, sie wieder auf seinen Arm zu setzen und sie streichelnd zu beruhigen. »Ist ja gut, Jemmy geht es gut. Es geht ihm gut, er schläft nur bei Bobby. Morgen ist er wieder da.«

»Er ist WEG!« Sie wand sich wie ein Aal, nicht, weil sie fortwollte, sondern weil sie von panischem Schmerz geschüttelt wurde. »Er ist nicht hier, er ist nicht hier!«

»Aye, ich sage doch, er ist bei Bobby, er –«

»Nicht hier«, sagte sie drängend und hieb sich immer wieder mit der Handfläche vor die Stirn. »Nicht hier bei mir!«

»Komm, Schätzchen, komm her«, sagte Brianna und nahm ihm das tränenüberströmte Kind aus dem Arm.

»Mama, Mama! Jemmy ist WEG!« Verzweifelt klammerte sie sich an Brianna und schlug sich immer noch vor den Kopf. »Er ist nicht bei mir!«

Brianna betrachtete Mandy stirnrunzelnd und verwundert, tastete sie mit der Hand ab, um zu überprüfen, ob sie Temperatur hatte, geschwollene Mandeln, Bauchschmerzen …

»Nicht bei dir«, wiederholte sie eindringlich und versuchte, Mandy aus ihrer Panik zu holen. »Sag Mami, was du meinst, Schätzchen.«

»Nicht hier!« Völlig verzweifelt senkte Mandy den Kopf und rammte ihn ihrer Mutter vor die Brust.

»Uff!«

Die Treppen knarzten, und William Buccleigh kam in Rogers wollenem Morgenmantel herbei.

»Was im Namen der Heiligen Jungfrau soll denn dieser Lärm?«, erkundigte er sich verschlafen.

»Er hat ihn, er hat ihn!«, kreischte Mandy und vergrub den Kopf an Briannas Schulter.

Roger ließ sich unwillkürlich von Amandas Angst anstecken und war plötzlich selbst überzeugt, dass etwas Furchtbares passiert war.

»Wissen Sie, wo Jem ist?«, herrschte er Buccleigh an.

»Nein.« Buccleigh sah ihn stirnrunzelnd an. »Ist er denn nicht im Bett?«

»Nein, das ist er nicht!«, fauchte ihn Brianna an. »Sie haben doch gesehen, wie er gefahren ist, zum Kuckuck.« Sie schob sich zwischen die beiden Männer. »Schluss damit, ihr zwei! Roger, nimm Mandy. Ich rufe Martina Hurragh an.« Sie gab ihm Amanda, die mit dem Daumen im Mund weiterjammerte, und lief zur Treppe. Ihr hastig angelegter Schlafanzug raschelte wie Laub.

Er wiegte Amanda, geistesabwesend, alarmiert, beinahe überwältigt von ihrer Panik. Sie strahlte Angst und Schmerz aus wie ein Radioturm, und auch ihm verschlug es den Atem, und seine Hände klammerten sich verschwitzt an ihr Winnie-Puh-Nachthemd.

»Ruhig, a chuisle«, sagte er, so gefasst er konnte. »Ganz ruhig. Wir bringen das in Ordnung. Du erzählst Papa, was dich aufgeweckt hat, und ich bringe es in Ordnung, versprochen.«

Gehorsam versuchte sie, das Schluchzen zu unterdrücken, und rieb sich mit den Fäustchen die Augen.

»Jemmy«, jammerte sie. »Ich will Jemmy!«

»Wir holen ihn sofort zurück«, versprach Roger. »Sag, was hat dich denn aufgeweckt? Hattest du einen bösen Traum?«

»Ah-hah.« Angsterfüllt klammerte sie sich fester an ihn. »Teine, goße Teine. Haben mich angeschwien!«

Eiswasser schoss ihm durch die Adern. Himmel, o Himmel. Vielleicht konnte sie sich ja doch an den Weg durch die Steine erinnern.

»Aye, ich verstehe«, sagte er und tätschelte sie, so tröstend er konnte, um den Aufruhr in seiner eigenen Brust zu beruhigen. Er verstand sie tatsächlich. Im Geiste sah er diese Steine, spürte und hörte sie wieder. Und als er sich zur Seite wandte, sah er William Buccleighs blasses Gesicht und wusste, dass auch er den Unterton der Wahrheit in Mandys Stimme hörte.

»Was ist denn passiert, a leannan? Bist du zu nah an die großen Steine gekommen?«

»Nicht ich, Jem! Der Mann hat ihn hingefahn, die Teine ham ihn verschluckt!« Damit brach sie wieder in Tränen aus und schluchzte untröstlich vor sich hin.

»Der Mann«, sagte Roger langsam und drehte sich noch ein Stück weiter, sodass sie William Buccleigh sehen konnte. »Meinst du diesen Mann, Schätzchen? Onkel Buck?«

»Nein, neineineineineineinein, ein ander Mann!« Sie richtete sich auf und starrte ihn mit großen, tränengefüllten Augen an, versuchte verzweifelt, ihn dazu zu bringen, dass er sie verstand. »Bobbys Papi!«