»Nein, ich mache mir Sorgen, wenn ich an deine Frau denke. Sie wird böse mit mir sein – wegen Laoghaire.«
Bei dem Gedanken an Laoghaire konnte er sich ein ironisches Lächeln nicht verkneifen.
»Laoghaire? Warum denn?«
»Was ich getan habe – als du Claire heim nach Lallybroch gebracht hast, aus Edinburgh. Ich habe mich nie dafür bei dir entschuldigt«, fügte sie hinzu und blickte ernst zu ihm auf.
Er lachte.
»Ich habe mich doch auch nie bei dir entschuldigt, oder? Dafür, dass ich Claire heimgebracht habe und zu feige war, ihr vorher von Laoghaire zu erzählen.«
Ihr Stirnrunzeln glättete sich, und ein flackerndes Leuchten kehrte in ihre Augen zurück.
»Nun, nein«, sagte sie. »Du hast dich nicht dafür entschuldigt. Dann sind wir also quitt, ja?«
Das hatte er aus ihrem Mund nicht mehr gehört, seit er Lallybroch mit vierzehn verlassen hatte, um als Ziehsohn nach Leoch zu gehen.
»Wir sind quitt«, bestätigte er. Er legte ihr den Arm um die Schultern, und sie ließ den ihren um seine Taille gleiten, und so standen sie dicht beieinander und sahen zu, wie Frankreich endgültig im Meer versank.
Kapitel 93
Erdstöße
Ich stand in Marsalis Küche und flocht Félicité die Haare, während ich mit einem Auge auf den Porridge über dem Feuer achtete, als die Glocke der Druckereitür klingelte. Rasch befestigte ich ein Bändchen am Ende des Zopfes, ermahnte die Mädchen, auf den Porridge zu achten, und ging nach vorn, um den Kunden zu begrüßen.
Zu meiner Überraschung war es Lord John. Doch ein Lord John, den ich noch nie gesehen hatte. Er sah weniger mitgenommen aus als vielmehr am Boden zerstört, alles picobello bis auf sein Gesicht.
»Was?«, sagte ich zutiefst alarmiert. »Was ist geschehen. Ist Henry –?«
»Nicht Henry«, sagte er heiser. Er legte eine Hand flach auf die Ladentheke, wie um sich zu stützen. »Ich habe – schlimme Neuigkeiten.«
»Das kann ich sehen«, sagte ich ein wenig schnippisch. »Setzt Euch doch, um Gottes willen, bevor Ihr umfallt.«
Er schüttelte den Kopf wie ein Pferd, das versucht, sich von den Fliegen zu befreien, und sah mich an. Sein Gesicht sah gespenstisch aus, schockiert und weiß, und seine Augen waren rot gerändert. Doch wenn es nicht Henry war …
»O Gott«, sagte ich, und in meiner Brust ballte sich eine Faust. »Dottie? Was ist mit ihr geschehen?«
»Euterpe«, entfuhr es ihm, und ich erstarrte bis ins Mark erschüttert.
»Was?«, flüsterte ich. »Was?«
»Verloren«, sagte er mit einer Stimme, die nicht die seine war. »Verloren. Mit Mann und Maus.«
»Nein«, sagte ich, um Vernunft bemüht. »Nein, das ist sie nicht.«
Da sah er mich zum ersten Mal direkt an und packte mich am Unterarm.
»Hört mir zu«, sagte er, und der Druck seiner Finger machte mir Angst. Ich versuchte, mich ihm zu entziehen, konnte es aber nicht.
»Hört zu«, sagte er erneut. »Ich habe es heute Morgen von einem Marinekapitän aus meiner Bekanntschaft erfahren. Ich bin ihm im Kaffeehaus begegnet, und er erzählte gerade von der Tragödie. Er hat es mit angesehen.« Seine Stimme bebte, und er hielt einen Moment inne und biss die Zähne zusammen. »Ein Sturm. Der Marinekapitän war dem Schiff auf den Fersen und wollte es anhalten und entern, als der Sturm sie beide überrascht hat. Sein eigenes Schiff ist davongekommen und schwer beschädigt in den Hafen gedümpelt, aber er hat gesehen, wie die Euterpe unter eine Weiße Wand geraten ist, hat er gesagt – ich habe keine Ahnung, was das ist –« Mit einer verärgerten Geste tat er seine abschweifenden Worte ab. »Sie ist vor seinen Augen untergegangen. Die Roberts – sein Schiff – ist noch in der Nähe geblieben, um vielleicht Überlebende aufzunehmen.« Er schluckte. »Es gab keine.«
»Keine«, sagte ich ausdruckslos. Ich hörte zwar, was er sagte, doch die Bedeutung seiner Worte drang nicht bis zu mir durch.
In der Küche roch es nach angebranntem Porridge.
John Grey hielt inne, weil er das Ende der Straße erreicht hatte. Er ging schon den ganzen Tag die State Street auf und ab. Die Sonne stand jetzt hoch am Himmel; schweißnasse Staubkörner kratzten ihn im Nacken, seine Strümpfe waren voller Schlamm- und Dungspritzer, und jeder Schritt schien ihm die Nägel seiner Schuhsohlen in die Fußsohle zu treiben. Es kümmerte ihn nicht.
Der Delaware River floss quer durch sein Blickfeld. Er war schlammig und roch nach Fisch. Die Leute drängten sich an ihm vorbei und strömten auf das Ende des Docks zu, um die Fähre zu erwischen, die vom anderen Ufer her auf sie zukam. Kleine Wellen schlugen mit einem nervösen Geräusch an die Pier, das die Wartenden aufzustacheln schien, denn sie begannen zu drängeln. Einer der Soldaten auf dem Dock nahm sich daraufhin die Muskete von der Schulter und benutzte sie, um eine Frau zurückzuschubsen.
Sie stolperte und kreischte auf, und ihr Mann, ein wahrer Kampfhahn, stürzte mit geballten Fäusten vor. Der Soldat sagte etwas, entblößte die Zähne und machte eine abwehrende Bewegung mit der Muskete. Sein Kamerad, der jetzt auf die Störung aufmerksam wurde, wandte sich um, und mehr brauchte es nicht, um die Menge am Ende des Docks in ein wogendes Knäuel zu verwandeln. In der restlichen Menge breiteten sich Rufe und Schreie aus, als die Leute weiter hinten versuchten, vor dem Gewaltausbruch zu flüchten, die Männer in der Traube versuchten, sich darauf zuzudrängen, als jemand ins Wasser geschubst wurde.
Grey trat drei Schritte zurück und beobachtete, wie sich zwei kleine Jungen mit angsterfüllten Gesichtern aus der Menge lösten und über die Straße davonliefen. Irgendwo inmitten der Menge hörte er den schrillen, bestürzten Ausruf einer Frau: »Ethan! Johnny! Jooooohnnny!«
Ein dumpfer Instinkt sagte ihm, dass er vortreten sollte, seinerseits die Stimme erheben sollte, die Lage kraft seiner Autorität unter Kontrolle bringen sollte. Er machte kehrt und ging davon.
Er trug ja keine Uniform, verteidigte er sein Tun. Sie würden ihm nicht zuhören; er würde nur Verwirrung stiften, mehr Schaden anrichten, als zu helfen. Doch er neigte nicht dazu, sich selbst etwas vorzumachen, und so beendete er diese stille Argumentation, kaum dass sie begonnen hatte.
Es war nicht das erste Mal, dass er jemanden verlor. Den einen oder anderen hatte er sehr geliebt, mehr als das Leben selbst. Doch jetzt hatte er sich selbst verloren.
Benommen machte er sich langsam auf den Rückweg zu seinem Haus. Er hatte nicht mehr geschlafen, seit er die Nachricht erhalten hatte, außer in den Klauen der völligen körperlichen Erschöpfung, zusammengesunken auf dem Sessel auf Mercy Woodcocks Veranda, um dann orientierungslos aufzuwachen, verklebt vom Saft der Platanen in ihrem Garten, überall mit den kleinen grünen Räupchen behängt, die sich an unsichtbaren Seidenfäden von den Bäumen schwangen.
»Lord John.« Er wurde sich nun einer beharrlichen Stimme bewusst und begriff, dass der Sprecher ihn bereits mehrmals beim Namen gerufen hatte. Er blieb stehen, drehte sich um und sah sich Hauptmann Richardson gegenüber. Sein Kopf war plötzlich leer. Sein Gesicht wahrscheinlich auch, denn Richardson nahm ihn höchst vertraulich beim Arm und zog ihn in ein Wirtshaus.
»Kommt mit mir«, sagte Richardson leise und ließ seinen Arm los, wies jedoch mit einem Ruck seines Kopfes zur Treppe. Inmitten des Nebels, der ihn einhüllte, regten sich schwache Neugier und leiser Argwohn, doch er folgte dem Mann, und das Echo seiner Schuhe klang hohl auf der hölzernen Treppe wider.
Richardson schloss die Zimmertür hinter ihm, und bevor sich Grey so weit sammeln konnte, dass er ihn nach den höchst merkwürdigen Umständen befragte, von denen ihm William berichtet hatte, begann er zu sprechen.
»Mrs Fraser«, sagte Richardson ohne Umschweife. »Wie gut kennt Ihr sie?«
»Sie ist die Frau – die Witwe –«, verbesserte er sich mit dem Gefühl, sich eine Nadel in eine frische Wunde gestochen zu haben, »– eines guten Freundes.«