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»Eines guten Freundes«, wiederholte Richardson ohne besondere Betonung. Der Mann hätte kaum unauffälliger aussehen können, dachte Grey, und plötzlich stand ihm Hubert Bowles unangenehm vor dem inneren Auge. Die gefährlichsten Spione waren Männer, die niemand eines zweiten Blickes würdigen würde.

»Eines guten Freundes«, wiederholte Grey entschlossen. »Seine politischen Sympathien sind wohl nicht länger von Bedeutung, oder?«

»Nicht wenn er tatsächlich tot ist, nein«, pflichtete Richardson ihm bei. »Glaubt Ihr das?«

»Ich bin mir vollkommen sicher. Was ist es, das Ihr zu wissen wünscht, Sir? Ich habe zu tun.«

Richardson lächelte angesichts dieser unverhohlenen Lüge.

»Ich habe vor, die Dame als Spionin zu verhaften, Lord John, und wünschte mich zu vergewissern, dass es Eurerseits keine – persönlichen Bindungen gibt, bevor ich es tue.«

Grey setzte sich abrupt nieder und stützte die Hände auf den Tisch.

»Ich – sie – warum denn, zum Teufel?«

Richardson setzte sich höflich ihm gegenüber.

»Sie hat während der vergangenen drei Monate – möglicherweise sogar länger – in ganz Philadelphia aufwieglerische Schriften weitergeleitet. Und bevor Ihr fragt, ja, ich bin mir sicher. Einer meiner Männer hat einige der Materialien abgefangen; seht sie Euch an, wenn Ihr möchtet.« Er griff in seinen Rock und zog ein Bündel abgegriffener Papiere hervor, die anscheinend schon durch mehrere Hände gegangen waren. Grey glaubte zwar nicht, dass sich Richardson einen Scherz mit ihm erlaubte, doch er ließ sich Zeit bei der Betrachtung der Papiere. Dann legte er sie hin und fühlte sich völlig blutleer.

»Ich habe gehört, dass die Dame bei Euch empfangen worden ist und dass sie sich oft in dem Haus aufhält, in dem Euer Neffe untergebracht ist«, sagte Richardson. Sein Blick ruhte gebannt auf Greys Gesicht. »Doch sie ist keine … Freundin?«

»Sie ist Ärztin«, sagte Grey und genoss die leise Genugtuung, Richardsons Augenbrauen in die Höhe fahren zu sehen. »Sie ist für mich und meinen Neffen von – von größtem Nutzen gewesen.« Ihm kam der Gedanke, dass es wahrscheinlich besser war, wenn Richardson nicht wusste, wie sehr er Mrs Fraser schätzte, denn wenn er glaubte, es bestünde ein persönliches Interesse, würde Grey von ihm keine Informationen mehr bekommen. »Doch das ist vorbei«, fügte er so beiläufig wie möglich hinzu. »Ich respektiere die Dame natürlich, doch es gibt keinerlei Bindung, nein.« Dann erhob er sich entschlossen und verabschiedete sich, denn weitere Fragen zu stellen, hätte den Eindruck der Indifferenz gefährdet.

Er steuerte auf die Chestnut Street zu, nicht länger betäubt. Er fühlte sich wieder wie er selbst, stark und entschlossen. Es gab also doch noch einen Dienst, den er Jamie Fraser erweisen konnte.

»Ihr müsst mich heiraten«, wiederholte er.

Ich hatte ihn schon beim ersten Mal verstanden, doch beim zweiten Mal ergab es immer noch genauso wenig Sinn wie beim ersten. Ich steckte mir einen Finger ins Ohr und wackelte damit, dann wiederholte ich den Vorgang auf der anderen Seite.

»Ihr könnt unmöglich das gesagt haben, was ich glaube.«

»Doch, das habe ich«, sagte er und fand allmählich zu seiner üblichen Ironie zurück.

Die Betäubung des Schocks ließ allmählich nach, und etwas Grauenvolles kroch langsam aus einem kleinen Loch in meinem Herzen hervor. Ich konnte es mir naturgemäß nicht ansehen und suchte mein Heil darin, Lord John anzustarren.

»Ich weiß ja, dass ich unter Schock stehe«, sagte ich, »doch ich bin mir sicher, dass ich weder Halluzinationen habe noch Gespenster höre. Warum zum Teufel sagt Ihr das, in Gottes Namen?« Ich erhob mich, denn am liebsten hätte ich ihn geohrfeigt. Er merkte es und war so klug, einen Schritt zurückzutreten.

»Ihr werdet mich heiraten«, sagte er mit einem Unterton der Heftigkeit. »Ist Euch bewusst, dass Ihr im Begriff steht, als Spionin verhaftet zu werden?«

»Ich – nein.« So plötzlich, wie ich aufgestanden war, setzte ich mich wieder hin. »Was … Warum denn?«

»Das dürftet Ihr wohl besser wissen als ich«, antwortete er kühl.

Da hatte er recht. Ich unterdrückte den Anflug von Panik, der mich zu überwältigen drohte, als ich an die Papiere dachte, die ich in meinem Korb versteckt von Hand zu Hand weitergereicht hatte, um das geheime Netzwerk der Söhne der Freiheit zu speisen.

»Selbst wenn das wahr wäre«, sagte ich und kämpfte um einen neutralen Ton, »warum zum Teufel sollte ich Euch heiraten? Ganz zu schweigen davon, warum Ihr den Wunsch haben solltet, mich zu heiraten, was ich keine Sekunde lang glaube.«

»Glaubt es ruhig«, riet er mir knapp. »Ich werde es tun, weil es der letzte Dienst ist, den ich Jamie Fraser erweisen kann. Wenn Ihr meine Frau seid, kann ich Euch schützen, und niemand kann Euch anrühren. Und Ihr werdet es tun, weil …« Er warf einen trostlosen Blick hinter mich und hob sein Kinn, und als ich mich umsah, entdeckte ich alle vier Kinder, die in der Türöffnung kauerten. Die Mädchen und Henri-Christian beobachteten mich mit großen runden Augen. Germain hatte den Blick direkt auf Lord John gerichtet, und Angst und Trotz standen ihm deutlich in das längliche, hübsche Gesicht geschrieben.

»Sie auch?«, fragte ich. Ich holte tief Luft und wandte mich von den Kindern ab, um ihn zu fixieren. »Sie könnt Ihr auch schützen?«

»Ja.«

»Ich – ja. Gut.« Ich legte beide Hände flach auf die Ladentheke, als könnte ich so irgendwie verhindern, dass ich ins All davontrudelte. »Wann denn?«

»Sofort«, sagte er und ergriff meinen Ellbogen. »Wir haben keine Zeit zu verlieren.«

Ich erinnerte mich nicht an die kurze Zeremonie, die im Salon von Lord Johns Haus stattfand. Das Einzige, was mir von diesem Tag im Gedächtnis blieb, war William, der nüchtern als Trauzeuge neben seinem Vater – seinem Stiefvater – stand. Hochgewachsen, kerzengerade, mit einer langen Nase und schrägen Katzenaugen, die unsicher und mitfühlend auf mir ruhten.

Er kann gar nicht tot sein. Mit ungewöhnlicher Klarheit fiel mir ein, dass ich das gedacht hatte. Da steht er doch.

Ich sagte die Worte, die man mir zu sagen auftrug, und wurde nach oben geleitet, um mich hinzulegen. Ich schlief auf der Stelle ein und erwachte erst am nächsten Nachmittag.

Unglücklicherweise blieb es die Wirklichkeit.

Dorothea war bei mir und betrachtete mich besorgt. Sie verbrachte den Tag an meiner Seite, versuchte, mich dazu zu bewegen, etwas zu essen, und bot mir Whisky und Brandy an. Ihre Anwesenheit war mir zwar kein Trost – das war auch gar nicht möglich –, doch immerhin bildete sie eine harmlose Ablenkung, und ich ließ sie reden, ließ ihre Worte über mich hinwegspülen wie fließendes Wasser.

Gegen Abend kehrten die Männer zurück – Lord John und Willie. Ich konnte sie unten hören. Dottie ging zu ihnen hinunter, und ich hörte, wie sie sich unterhielten, hörte, wie sich Interesse in Dotties Stimme stahl, und dann ihre Schritte auf der Treppe, rasch und leichtfüßig.

»Tante Claire«, sagte sie atemlos. »Glaubst du, du fühlst dich so gut, dass du herunterkommen kannst?«

»Ich – ja, ich denke schon.« Etwas verblüfft, dass sie mich »Tante« nannte, stand ich auf und begann vage, mich ein wenig zurechtzumachen. Sie nahm mir die Bürste aus der Hand, drehte mir das Haar zu einem Knoten und steckte ihn liebevoll unter ein mit Bändern verziertes Häubchen, das sie irgendwo hervorzauberte. Ich ließ es zu, und dann führte sie mich vorsichtig nach unten, wo ich Lord John und William etwas errötet im Salon vorfand.

»Mutter Claire.« William ergriff meine Hand und küsste sie sacht. »Komm und sieh. Papa hat etwas gefunden, das dir vielleicht gefallen wird. Komm und sieh es dir an«, wiederholte er und zog mich sanft auf den Tisch zu.

Besagtes »Etwas« war eine große Holzkiste, die aus einem kostbaren Holz gefertigt war und goldene Beschläge hatte. Ich betrachtete sie stirnrunzelnd und berührte sie mit der Hand. Sie sah aus wie ein Besteckkasten, nur viel größer.