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Langsam stand ich auf, als wäre ich unter Wasser.

»Ich werde heute Nacht nicht allein um ihn trauern«, sagte er rau und schloss die Tür.

Ich war überrascht darüber, aufzuwachen. Eigentlich hatte ich nicht damit gerechnet, und eine Weile lag ich da und versuchte, die Realität ringsum wieder einrasten zu lassen. Ich hatte nur sehr schwache Kopfschmerzen, was beinahe noch überraschender war als die Tatsache, dass ich noch lebte.

Doch beides verblasste angesichts der Person des Mannes neben mir im Bett.

»Wie lange ist es her, dass Ihr zuletzt mit einer Frau geschlafen habt, wenn Ihr mir die Frage verzeiht?«

Er schien sie mir zu verzeihen. Er zog die Stirn in kleine Falten und kratzte sich nachdenklich an der Brust.

»Oh, fünfzehn Jahre? Mindestens.« Er sah mich an, und sein Gesicht nahm eine fürsorgliche Miene an. »Oh. Ich entschuldige mich.«

»Ihr entschuldigt Euch? Wofür denn?« Ich zog eine Augenbraue hoch. Ich konnte mir eine ganze Reihe von Dingen vorstellen, für die er sich möglicherweise entschuldigen wollte, doch wahrscheinlich zählte keines davon zu dem, was ihm vorschwebte.

»Ich fürchte, ich habe mich vielleicht nicht verhalten«, er zögerte – »wie ein Gentleman.«

»Oh, das stimmt!«, sagte ich bissig. »Aber ich versichere Euch, dass ich auch überhaupt nicht damenhaft gewesen bin.«

Er sah mich an, und sein Mund bewegte sich, als versuchte er, sich eine Antwort darauf zurechtzulegen, doch nach ein oder zwei Sekunden schüttelte er den Kopf und gab es auf.

»Außerdem war ich es ja nicht, die Ihr da geliebt habt«, sagte ich, »und das wissen wir beide.«

Er blickte verblüfft auf, und seine Augen waren sehr blau. Dann huschte der Hauch eines Lächelns über sein Gesicht, und er senkte den Blick auf die Bettdecke.

»Nein«, sagte er leise. »Und ich glaube genauso wenig, dass Ihr mich geliebt habt. Oder?«

»Nein«, sagte ich. Der Schmerz der vergangenen Nacht war jetzt gedämpfter, doch sein Gewicht war unvermindert da. Meine Stimme war leise und heiser; auch jetzt schnürte mir die Umklammerung der Trauer ohne Vorwarnung die Kehle zu.

John setzte sich und griff zum Tisch hinüber, auf dem eine Karaffe mit einer Flasche und einem Glas stand. Er goss etwas aus der Flasche in das Glas und reichte es mir.

»Danke«, sagte ich und hob es mir an die Lippen. »Grundgütiger, ist das Bier?«

»Ja, und zwar ziemlich gutes Bier«, sagte er und setzte sich die Flasche an den Mund. Mit halb geschlossenen Augen trank er einige herzhafte Schlucke und ließ die Flasche dann mit einem zufriedenen Seufzer sinken. »Reinigt den Gaumen, erfrischt den Atem und bereitet den Magen auf die Verdauung vor.«

Unwillkürlich empfand ich Belustigung – und war zugleich schockiert.

»Wollt Ihr damit sagen, dass Ihr die Angewohnheit habt, jeden Morgen zum Frühstück Bier zu trinken?«

»Natürlich nicht. Ich esse dazu etwas.«

»Ich bin erstaunt, dass Ihr auch nur einen einzigen Zahn in Euren Kiefern habt«, sagte ich ernst – riskierte aber ungeachtet dessen einen kleinen Schluck. Es war gutes Bier, kräftig und süß mit genau dem richtigen Hauch von Säure.

An diesem Punkt fiel mir auf, dass er sich auf eine Weise steif hielt, die nichts mit unserem Gespräch zu tun haben konnte. Langsam, wie ich nun einmal war, brauchte ich einen Moment, um zu begreifen, was nicht stimmte.

»Oh. Wenn Ihr furzen müsst«, sagte ich, »macht Euch meinetwegen keine Gedanken. Nur zu.«

Diese Beobachtung verblüffte ihn so sehr, dass er es tat.

»Ich bitte um Verzeihung, Madam!«, sagte er, und seine helle Haut wurde bis zum Haaransatz rot.

Ich versuchte, mir das Lachen zu verkneifen, doch meine unterdrückte Belustigung ließ das Bett erbeben, und er wurde noch röter.

»Hättet Ihr auch gezögert, wenn Ihr mit einem Mann im Bett wärt?«, fragte ich aus reiner Neugier.

Er rieb sich mit den Fingerknöcheln über den Mund, und seine Wangen erblassten wieder.

»Ah. Nun, das würde davon abhängen, mit welchem Mann. Im Großen und Ganzen jedoch nein.«

Mit welchem Mann. Ich wusste, dass Jamie der Mann war, den er im Sinn hatte – genau wie ich ihn im Sinn hatte. Im Moment war mir nicht danach, es ihm übel zu nehmen.

Er wusste ebenfalls, was ich dachte.

»Er hat mir einmal angeboten, sich mir hinzugeben. Wusstet Ihr das?« Seine Stimme war trocken.

»Ich gehe davon aus, dass Ihr verzichtet habt?« Ich wusste, dass er das getan hatte, doch ich war mehr als neugierig darauf, aus seiner Sicht von dieser Begegnung zu hören.

»Ja. Was ich von ihm wollte, war nicht das – zumindest nicht nur das«, fügte er aufrichtig hinzu. »Ich wollte ihn ganz – und ich war jung und stolz genug zu denken, dass ich mich nicht mit weniger zufriedengeben würde, wenn ich das nicht haben konnte. Und das konnte er mir natürlich nicht geben.«

Ich überlegte eine Weile und schwieg. Das Fenster stand offen, und die langen Musselinvorhänge bewegten sich im Wind.

»Habt Ihr es bedauert?«, fragte ich. »Dass Ihr nicht auf sein Angebot eingegangen seid?«

»Mindestens zehntausendmal«, versicherte er mir mit einem reumütigen Grinsen. »Gleichzeitig … war es eine der wenigen wirklich noblen Taten in meinem Leben, dies abzulehnen. Es stimmt nämlich, wisst Ihr«, fügte er hinzu, »dass sich die Selbstlosigkeit selbst belohnt – denn wenn ich darauf eingegangen wäre, hätte ich für immer alles zerstört, was zwischen uns war. Ihm stattdessen mein Verständnis geschenkt zu haben – so sauer es auch verdient war«, fügte er ironisch hinzu, »hat mir seine Freundschaft geschenkt. Also stehe ich einerseits mit einem Moment des Bedauerns da, andererseits aber mit Genugtuung. Und am Ende war es seine Freundschaft, die mir am wichtigsten war.«

Nach kurzem Schweigen wandte er sich mir zu.

»Darf ich … Ihr werdet mich für merkwürdig halten.«

»Nun ja, Ihr seid ja auch ein wenig merkwürdig, nicht wahr?«, sagte ich geduldig. »Das stört mich aber eigentlich nicht. Was ist denn?«

Er warf mir einen Blick zu, der mit Nachdruck besagte, dass er nicht glaubte, dass er der Merkwürdige von uns beiden war. Doch der Instinkt des Gentlemans verbot ihm jede diesbezügliche Bemerkung.

»Würdet Ihr gestatten, dass ich Euch sehe? Äh … nackt?«

Ich schloss ein Auge und peilte ihn mit dem anderen an.

»Das war aber doch gewiss nicht das erste Mal, dass Ihr mit einer Frau geschlafen habt?«, fragte ich. Er war schließlich verheiratet gewesen, auch wenn ich mich zu erinnern glaubte, dass er einen Großteil der Zeit von seiner Frau getrennt gelebt hatte.

Er spitzte nachdenklich die Lippen, als versuchte er, sich zu erinnern.

»Nun, nein, ich glaube aber, es könnte das erste Mal gewesen sein, dass ich es vollständig aus freien Stücken getan habe.«

»Oh, ich bin geschmeichelt.«

Er sah mich an und lächelte schwach.

»Das solltet Ihr auch sein«, sagte er leise.

Ich war schließlich in einem Alter, in dem … Nun, andererseits verfügte er wahrscheinlich aber auch nicht über dieselben instinktiven Reaktionen wie die meisten anderen Männer, wenn es um weibliche Reize ging. Womit sich dann die Frage aufdrängte …

»Warum?«

Ein schüchternes Lächeln umspielte seine Mundwinkel, und er lehnte sich an sein Kissen.

»Ich … bin mir nicht ganz sicher, um ehrlich zu sein. Vielleicht ist es ja nur der Versuch, meine Erinnerungen an die vergangene Nacht mit dem … äh … eigentlichen Erlebnis in Einklang zu bringen?«

Das versetzte mir einen Stoß, als hätte er mir vor die Brust geboxt. Er konnte ja nicht wissen, was ich beim Aufwachen gedacht hatte, als ich ihn sah – dieses verwirrende Aufblitzen, als ich ihn für Jamie gehalten hatte, mich so akut an Jamies warmen Körper erinnert hatte und mir so sehr gewünscht hatte, er wäre Jamie, dass ich mir im ersten Moment hatte einreden können, dass er es war, nur um angesichts der Erkenntnis, dass er es nicht war, zerquetscht zu werden wie eine Weintraube, deren saftiges Inneres ins Freie spritzt.