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Kapitel 17

Zwergdämonen

Der Pfad unterschied sich kaum von den anderen Wildwechseln auf ihrem Weg; er hatte sogar zweifellos einmal als solcher begonnen. Doch dieser Pfad hatte etwas an sich, das zu Ian »Menschen« sagte, und er hatte sich an solche Einschätzungen so gewöhnt, dass er sie kaum noch bewusst wahrnahm. Auch jetzt folgte er diesem Instinkt, als er an Clarence’ Führstrick zupfte und gleichzeitig sein Pferd zur Seite wandte.

»Warum halten wir an?«, fragte Herman argwöhnisch. »Hier ist doch nichts.«

»Da oben wohnt jemand.« Ian wies mit einem Ruck seines Kinns auf den bewaldeten Berghang. »Der Weg ist nicht breit genug für Pferde; wir binden sie hier an und gehen zu Fuß.«

Herman und Vermin wechselten wortlos einen Blick, der tiefe Skepsis ausdrückte, doch sie ließen sich vom Rücken des Maultiers gleiten und stapften hinter Ian den Weg hoch.

Allmählich kamen ihm Zweifel; niemand, den er in der vergangenen Woche angesprochen hatte, kannte irgendwelche Kuykendalls in der Gegend, und er konnte nicht allzu viel Zeit mit dieser Angelegenheit verlieren. Eventuell würde er die kleinen Wilden doch mit nach New Bern nehmen müssen, aber er hatte keine Ahnung, wie sie diesen Vorschlag aufnehmen würden.

Eigentlich hatte er ohnehin nicht viel Ahnung davon, was in ihnen vorging. Sie waren weniger schüchtern als vielmehr heimlichtuerisch. Sie tuschelten beim Reiten hinter ihm, doch sobald er sie ansah, verstummten sie abrupt und betrachteten ihn mit bewusst ausdruckslosen Mienen, hinter denen er die Gedanken arbeiten sehen konnte. Was zum Teufel führten sie im Schilde?

Falls sie vorhatten wegzulaufen, würde er sich keine besondere Mühe geben, ihnen nachzujagen. Falls sie aber vorhatten, ihm im Schlaf Clarence und das Pferd zu stehlen, war das etwas anderes.

Es gab tatsächlich eine Hütte, aus deren Schornstein sich Rauch ringelte; Herman warf ihm einen überraschten Blick zu, und er lächelte den Jungen an.

»Hab’s dir doch gesagt«, sagte er und rief: »Hallo.«

Die Tür öffnete sich ächzend, und der Lauf einer Muskete schob sich hindurch. Das war im einsamen Hinterland keine ungewöhnliche Reaktion auf Fremde, und Ian ließ sich davon nicht abweisen. Er erklärte mit lauter Stimme, warum er hier war, und schob Herman und Vermin vor sich hin, um seine guten Absichten zu demonstrieren.

Das Gewehr wurde nicht zurückgezogen, sondern es hob sich auf eindeutige Weise. Instinktiv warf sich Ian flach auf den Boden und riss die Jungen mit sich, als auch schon der Schuss über sie hinwegdonnerte. Eine Frauenstimme kreischte in einer fremden Sprache drauflos. Er verstand zwar die Worte nicht, begriff aber ihre Bedeutung. Er zog die Jungen hoch und schob sie hastig wieder den Pfad hinunter.

»Bei der bleiben wir nicht«, teilte ihm Vermin mit und richtete einen bösen Blick zurück über seine Schulter. »Das steht jedenfalls fest.«

»Nein, das stimmt«, pflichtete ihm Ian bei. »Nicht stehen bleiben, aye?« Denn Vermin hatte angehalten.

»Ich muss scheißen.«

»Oh, aye? Nun, dann beeil dich.« Er wandte sich ab, denn er hatte schnell festgestellt, dass die Jungen in solchen Situationen großen Wert darauf legten, für sich zu sein.

Herman war schon weitergegangen; sein wirres, schmutzig blondes Haar war zwanzig Meter weiter unten gerade noch zu sehen. Ian hatte vorgeschlagen, die Jungen sollten sich die Haare abschneiden oder gar kämmen und sich die Gesichter waschen – eine Geste der Höflichkeit gegenüber etwaigen Verwandten, die sich mit der Entscheidung konfrontiert sahen, die beiden aufzunehmen –, doch dieser Vorschlag war auf heftige Ablehnung gestoßen. Glücklicherweise war er nicht dafür verantwortlich, die kleinen Schufte zum Waschen zu zwingen – und wenn er ehrlich war, glaubte er auch nicht, dass das viel an ihrem Geruch geändert hätte, da sie eindeutig bereits seit Monaten dieselben Kleider trugen. Er ließ sie nachts auf der Seite des Feuers schlafen, die von ihm und Rollo abgewandt war, um möglichst wenig mit den Läusen in Berührung zu kommen, die sich auf beiden Kindern tummelten.

Konnte dieser unübersehbare Läusebefall der Grund sein, warum die Eltern dem Jüngeren der beiden einen Namen gegeben hatten, der Ungeziefer bedeutete? Oder hatten sie keine Ahnung, was das Wort bedeutete, und hatten den Namen nur ausgesucht, weil er sich auf den seines älteren Bruders reimte?

Clarence riss ihn mit ohrenbetäubendem Gebrüll aus seinen Gedanken. Er beschleunigte seine Schritte und machte sich Vorwürfe, weil er sein Gewehr in der Schlinge an seinem Sattel gelassen hatte. Er hatte sich dem Haus nicht bewaffnet nähern wollen, aber –

Unter ihm erscholl ein Aufschrei. Er verließ den Pfad und rannte zwischen den Bäumen hindurch. Ein zweiter Aufschrei verstummte abrupt, und er hastete lautlos den Hang hinunter, so schnell es ging. Ein Panther? Ein Bär? Nein, wenn es das gewesen wäre, hätte Clarence gegrölt wie ein Walross; stattdessen gurgelte und keuchte er wie üblich, wenn er jemanden sah …

… den er kannte.

Ian erstarrte hinter einer Gruppe junger Pappeln; das Herz kalt in seiner Brust.

Arch Bug wandte den Kopf, denn er hatte das Geräusch gehört, so leise es auch war. »Komm heraus, Junge«, rief er. »Ich kann dich sehen.«

Das stimmte offensichtlich; die Augen des Alten sahen ihn direkt an, und Ian trat langsam zwischen den Bäumen hervor.

Arch hatte das Gewehr vom Sattel genommen und es sich über die Schulter geschlungen. Er hatte Herman den Arm um die Kehle gelegt, und das Gesicht des Jungen war rot angelaufen, weil er keine Luft bekam; seine Füße zuckten ein paar Zentimeter über dem Boden wie die eines sterbenden Kaninchens.

»Wo ist das Gold?«, sagte Arch ohne Umschweife. Sein weißes Haar war ordentlich zusammengebunden, und soweit Ian sehen konnte, schien ihm der Winter nichts angehabt zu haben. Er musste jemanden gefunden haben, bei dem er untergekommen war. Wo?, fragte er sich. Vielleicht in Brownsville? Verdammt gefährlich, wenn er den Browns von dem Gold erzählt hatte – aber er hielt Arch für zu klug, um in solcher Gesellschaft zu plaudern.

»An einem Ort, an dem Ihr es nie finden werdet«, sagte Ian unverblümt. Seine Gedanken rasten. Er hatte ein Messer in seinem Gürtel – aber Arch stand zu weit weg, um damit nach ihm zu werfen, und wenn er nicht traf …

»Was wollt Ihr von dem Kind?«, fragte er und ging etwas dichter an den Alten heran. »Der Junge hat nichts mit Euch zu tun.«

»Nein, aber mit dir scheint er etwas zu tun zu haben.« Herman stieß jetzt rasselnde Quietschlaute aus, und die Bewegungen seiner Füße wurden langsamer.

»Nein, mit mir hat er auch nichts zu tun«, sagte Ian, um Beiläufigkeit bemüht. »Ich helfe ihm nur, seine Verwandten zu suchen. Habt Ihr vor, ihm die Kehle durchzuschneiden, wenn ich Euch nicht sage, wo das Gold ist? Bitte; ich sage es Euch nicht.«

Er sah nicht, wie Arch das Messer zog, doch plötzlich war es da, in seiner rechten Hand. Er hielt es ungeschickt, weil ihm dort die Finger fehlten, doch benutzen konnte er es wohl trotzdem.

»Also schön«, sagte Arch ruhig und hielt Herman die Spitze des Messers unter das Kinn.

Hinter Ian erscholl ein Aufschrei, und Vermin kam die letzten Meter des Pfades halb gerannt, halb hinuntergestürzt. Arch Bug blickte verblüfft in seine Richtung, und Ian duckte sich, um ihn anzugreifen. Doch Vermin kam ihm zuvor.

Der kleine Junge rannte auf Arch zu, versetzte ihm einen heftigen Tritt vor das Schienbein und brüllte: »Du böser alter Mann! Lass sie sofort los!«

Arch schienen die Worte genauso zu erstaunen wie der Tritt, aber er ließ nicht los.

»Sie?«, sagte er und blickte auf das Kind hinunter, das er festhielt – und das jetzt prompt den Kopf verdrehte und ihn fest in das Handgelenk biss. Ian nutzte die Gelegenheit und stürzte sich auf ihn, doch Vermin war ihm im Weg. Der Junge hatte sich jetzt an Archs Oberschenkel geklammert und versuchte, ihm mit der geballten Faust einen Hieb in die Hoden zu versetzen.